Das 7. Türchen: Die Indus­trie­anlage, die keine Indus­trie­anlage sein darf

Industrie- oder Strom­erzeu­gungs­anlage – von dieser Einordnung hängt im EU-Emissi­ons­handel viel ab. Denn für die Strom­erzeugung gibt es keine Zerti­fi­kat­zu­teilung mehr. Die Betreiber von Kraft­werken müssen die Berech­ti­gungen, die einmal jährlich an die Deutsche Emissi­ons­han­dels­stelle (DEHSt) abgeführt werden müssen, kaufen, weil der EU-Gesetz­geber davon ausgeht, dass die Berech­ti­gungen sowieso einge­preist werden. Bei Indus­trie­an­lagen ist das anders, denn hier stehen Unter­nehmen in einem weltweiten Wettbewerb, der auch über Preise geführt wird. Einge­preist werden kann deswegen kaum, so dass die Zerti­fikate mit je nach Anlagentyp und Branche unter­schiedlich hohen Abschlägen auf dem Niveau best verfüg­barer Technik zugeteilt werden. Unter­nehmen, die noch nicht so gut sind wie andere, haben also weiterhin Anreize, besser zu werden und ihre Lasten zu verringern. Ist ein Betreiber schon hochef­fi­zient, steht er dagegen nicht schlechter als Betreiber aus Ländern, in denen kein Emissi­ons­handel die Produktion verteuert.

Dass danach der Standort der AOS Stade GmbH in Nieder­sachsen, wo Alumi­ni­umoxid herge­stellt wird, nur als Indus­trie­anlage einge­ordnet werden kann, versteht sich eigentlich von selbst: Alumi­ni­umoxid ist ein Folge­produkt von Bauxit, es handelt sich um ein Zwischen­produkt der Erzeugung von Primär­alu­minium. Die Anlage ist hochef­fi­zient, keine Anlage ihrer Wettbe­werber hat pro Tonne Produkt einen gerin­geren Carbon Footprint. Apropos Wettbe­werber: In der EU gibt es nur noch drei weitere Anlagen, in Deutschland ist diese die letzte ihrer Art.

In den ersten drei Handel­s­pe­rioden hat die DEHSt die Anlage entspre­chend auch als Indus­trie­anlage einge­ordnet und entlang dieser Einordnung Zerti­fikate zugeteilt. Doch in der aktuell vierten Handel­s­pe­riode von 2021 bis 2025 soll die Anlage nun auf einmal ein Kraftwerk sein. Hinter­grund dieser Einordnung: Statt nur Wärme selbst herzu­stellen und Strom aus dem Netz zu beziehen, produ­ziert AOS die für den Standort benötigte Energie in einem hochef­fi­zi­enten Heizkraftwerk und gibt prozess­be­dingt geringe Mengen an Überschuss­strom ins Netz der öffent­lichen Versorgung ab. Nicht verwerflich an sich, aber es kostet das Unter­nehmen einen zweistel­ligen Millio­nen­betrag in Gestalt von Zerti­fi­katen. Begründung der DEHSt: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe in einer Entscheidung vom 20.06.2019 (Rs. C‑682/17, Exxon­Mobil) über die Auslegung der Emissi­ons­han­dels­richt­linie festge­stellt, dass Anlagen, die Strom ins Netz einspeisen und keiner anderen in der Emissi­ons­han­dels­richt­linie aufge­führten Tätigkeit außer „Verbrennung von Brenn­stoffen“ zuzuordnen sind, nur für Fernwärme und hochef­fi­ziente KWK-Wärme Berech­ti­gungen bekommen.

An der AOS Stade GmbH indes geht diese Entscheidung vorbei. Die Anlage ist einer anderen Tätigkeit als nur „Verbrennung“ zuzuordnen, nämlich der Herstellung von Primär­alu­minium. Zudem verbietet die Emissi­ons­han­dels­richt­linie nach Überzeugung des Unter­nehmens nur die Zuteilung für nicht hochef­fi­ziente Prozess­wärme, aber nicht die verwehrte Zuteilung für Brennstoffemissionen.

Aktuell verfolgt das Unter­nehmen seinen Anspruch vor dem Verwal­tungs­ge­richt (VG) Berlin (VG 10 K 333/21). Die Vorlage an den EuGH ist angeregt, das Unter­nehmen hofft auf eine zumindest erstin­stanz­liche Entscheidung im kommenden Jahr.

Das Verfahren führt Dr. Miriam Vollmer.

2022-12-09T19:35:04+01:009. Dezember 2022|Emissionshandel|

EU-Emissi­ons­handel: Die vorläufige NIMs-Liste ist da!

In der letzten Handel­s­pe­riode kamen die Zutei­lungs­be­scheide erst im Februar 2014, als die Abgabe für das Jahr 2013 schon vor der Tür stand und die dritte Handel­s­pe­riode schon über ein Jahr lief. Diesmal sieht es viel besser aus: Die Handel­s­pe­riode läuft seit Januar 2021. Und schon gibt es nicht nur einen Beschluss über den CSCF, sondern auch eine Liste der vorläu­figen Zutei­lungen. Diese finden Sie hier.

Wie die für die Zuteilung zuständige Behörde mitteilt, fehlen hier noch die Abzüge für die lineare Kürzung der Strom­erzeuger um jährlich 2,2%. Es bleibt also nicht bei den hier verzeich­neten Mengen. Doch schon der erste Blick verdeut­licht, dass mit erheb­lichen Verrin­ge­rungen gegenüber der letzten Handel­s­pe­riode zu rechnen ist, insbe­sondere bei der Wärme­er­zeugung, aber auch bei vielen anderen Produkten. Dies beruht auf den drastisch gesun­kenen Bench­marks, auf denen die Zutei­lungen fußen.

Wie geht es nun weiter? Im Juli sollen die Zutei­lungs­be­scheide kommen. Wer Grund hat, mit seinem Bescheid unzufrieden zu sein, kann gegen diese Bescheide per Wider­spruch vorgehen. Aber Achtung! Es gilt die Monats­frist für die Erhebung des Wider­spruchs ab Eingang der Bescheide in der VPS, nicht die Kennt­nis­nahme. Anlagen­be­treiber, denen nicht alle beantragten Zutei­lungs­be­scheide bzw. Mengen anerkannt wurden, müssen also den ganzen Sommer sorgfältig auf ihre virtuelle Poststelle aufpassen.

Fabrik, Schornstein, Meer, Bucht, See, Rauch, Industrie

Eine Wider­spruchs­ein­legung vorab dürfte kaum denkbar sein. Denn sie stellt keinen anfecht­baren Verwal­tungsakt dar. Sofern ein Realakt vorliegt, wäre an eine Allge­meine Leistungs­klage zu denken, aber diese ist wohl nicht zulässig, da es schon an der Klage­be­fugnis fehlen dürfte. Auch § 9 Abs. 3 S. 3 TEHG macht deutlich, dass das ganze Procedere „hinter den Kulissen“ noch nicht gerichtlich angreifbar ist. Die Betreiber müssen auf die Zuteilung warten und können diese dann anfechten.

Unsere Prognose: Auch, weil es keinen CSCF gibt, wird es viel weniger Wider­sprüche geben als in der Vergan­genheit. Auch die Verein­fa­chung der Berech­nungen für Neuan­lagen und Kapazi­täts­er­wei­te­rungen und ‑verrin­ge­rungen führen zu drastisch weniger Streit. Doch die relativ wenigen, hoch indivi­du­ellen Ausein­an­der­set­zungen, in denen die Vorstel­lungen von Behörde und Unter­nehmen ausein­an­der­liegen, haben es rechtlich wie wirtschaftlich dafür um so mehr in sich (Miriam Vollmer).

Sie wollen mehr über den aktuellen Stand im Emissi­ons­handel wissen? Wir schulen:

Am 6. September 2021 von 10.00 Uhr bis 12.00 Uhr per Zoom „Update EUETS

Am 6. Oktober 2021 von 10.00 Uhr bis 16.00 Uhr bei uns in Berlin „Grund­la­gen­se­minar EU-Emissionshandel“

2021-06-15T23:48:35+02:0015. Juni 2021|Emissionshandel, Industrie, Strom, Umwelt, Verwaltungsrecht, Wärme|

Emissi­ons­handel: Keine Sicherung von Zutei­lungs­an­sprüchen in Eilverfahren

Der EU-Emissi­ons­handel ist bekanntlich perioden­be­zogen, d. h. alle paar Jahre wird neu geplant und budge­tiert und ein teilweise neues Regelwerk geschaffen. Auch die kostenlose Zuteilung von Emissi­ons­be­rech­ti­gungen bezieht sich jeweils auf abgeschlossene Zutei­lungs­pe­rioden. Für die derzeit laufende 4. Handel­s­pe­riode hat im Sommer 2019 ein Antrags­ver­fahren statt­ge­funden, die Zuteilung für die Jahre 2021 bis 2025 wird für den Sommer erwartet.

Doch was ist mit den in der 3. Handel­s­pe­riode von 2013 bis 2020 unerfüllten Zutei­lungs­an­sprüchen? Es sind noch eine ganze Reihe Gerichts­ver­fahren anhängig, mit denen Unter­nehmen geltend machen, dass sie nicht alle Emissi­ons­be­rech­ti­gungen erhalten haben, die ihnen zustehen (bereits hier). Nachdem am Ende der 2. Handel­s­pe­riode diese Ansprüche unerfüllt ersatzlos unter­ge­gangen sind, haben Anlagen­be­treiber Ende letzten Jahres letztlich vergeblich versucht, ihre Ansprüche zu sichern:

Zunächst hatten die Unter­nehmen Exxon Mobile und Aurubis beim Verwal­tungs­ge­richt (VG) Berlin im vorläu­figen Rechts­schutz die DEHSt am 15.12.2020 verpflichtet, Zusiche­rungen abzugeben, sie bei Obsiegen in Haupt­sa­che­ver­fahren in jedem Fall so zu stellen, als sei kein Anspruchs­un­tergang einge­treten. Das OVG Berlin-Brandenburg aller­dings hob diese Beschlüsse am 23.12.2020 wieder auf. Die Zusiche­rungen seien keine geeignete Siche­rungs­maß­nahme für ansonsten unter­ge­hende Ansprüche, sondern wären eigen­ständige Rechts­grund­lagen für auf Schadens­ersatz gerichtete Sekun­där­an­sprüche. Der vorläufige Rechts­schutz sei hierfür nicht das richtige Instrument.

Das OVG verwies auf die europäi­schen Gerichte. Nur diese könnten geeig­neten vorläufien Rechts­schutz gewähren, insbe­sondere durch vorläufige Zerti­fi­kat­über­tra­gungen. Exakt dies hatten die Unter­nehmen auch beantragt. Die Anträge wurden aber vom EuG am 31.12.2020 abgewiesen: Vorläu­figer Rechts­schutz setze einen schweren und unwider­bring­lichen Schaden voraus. In den Zutei­lungs­klagen gehe es aber nur um Geld. Das reichte den Luxem­burger Richtern nicht aus (Az: T‑729/20 R und T‑731/20 R) (Miriam Vollmer).

 

2021-02-05T19:02:25+01:005. Februar 2021|Emissionshandel, Verwaltungsrecht|