Berliner Wärme: OVG BB, OVG 11 N 103.17

Berlin und Vattenfall schlossen 1994 einen Konzes­si­ons­vertrag über die Fernwär­me­ver­sorgung in Berlin. Dieser enthielt eine Endschafts­klausel in § 16 Abs. 1. Hier stand, dass nach dem Ende des Vertrages die Energie­ver­sor­gungs­an­lagen an Berlin zu übereignen seien.

2014 lief dieser Vertrag aus. Berlin forderte nun von Vattenfall das Fernwär­menetz heraus. Doch der schwe­dische Konzern weigerte sich: Das Fernwär­menetz sei von den Energie­ver­sor­gungs­an­lagen, die nach Ende der Vertrags­laufzeit zu übereignen waren, gar nicht umfasst. Das wollte Berlin so nicht hinnehmen und erhob Klage vorm Verwal­tungs­ge­richt (VG) Berlin mit dem Ziel, gerichtlich feststellen zu lassen, dass Vattenfall dem Land die Leitungen schuldet.

Doch das VG Berlin sah das anders: Mit Urteil vom 30.06.2017 wies das Gericht die Klage ab. Weder auf Basis des 2016 noch einmal geänderten Vertrages, noch auf straßen­recht­licher Grundlage sah das Gericht einen Rechts­grund, der einen Heraus­ga­be­an­spruch des Landes begründen könnte. Die (vor den Verwal­tungs­ge­richten nicht automa­tisch mögliche) Berufung eröffnete das VG nicht. Doch Berlin akzep­tierte die Entscheidung nicht und beantragte gem. § 124 VwGO die Berufungs­zu­lassung. Diesen, dem eigent­lichen Berufungs­ver­fahren vorge­schal­teten Antrag wies das OVG Berlin-Brandenburg nun am 5. Juli 2021 ab. Die Gründe für die Zulassung einer Berufung lägen nicht vor:

Berlin hatte zunächst umfang­reich mit Verfah­rens­fehlern argumen­tiert: Zunächst sei die 4. Kammer des VG Berlin unzuständig gewesen. Das OVG hielt dies aber für unzutreffend, denn es handele sich primär um eine energie­wirt­schafts­recht­liche Sache, nicht um Straßen­recht, weswegen die 4. und nicht die 1. Kammer zu Recht mit der Sache befasst worden war. Weiter hatte das Land gerügt, im Urteil des VG Berlin hätten Ausfüh­rungen zu § 1004 BGB gefehlt, weswegen ein verfah­rens­feh­ler­hafter Begrün­dungs­mangel vorge­legen hätte. Dies überzeugte den Senat aber nicht, denn es ergebe sich eine hinrei­chende Begründung aus dem Gesamt­zu­sam­menhang der Entschei­dungs­gründe. Der Senat sah auch keinen Verstoß gegen das Verbot der Beweis­an­ti­zi­pation. Das Gericht hätte in der bemän­gelten Passage nur sein Verständnis der maßgeb­lichen Vertrags­klausel erläutert. Das VG Berlin hätte auch keine Hinweis­pflicht auf sachdien­liche Anträge verletzt, unabhängig davon würde das Urteil nicht auf einem Verfah­rens­mangel beruhen, wäre also nicht anders ausge­fallen, wenn das VG sich so verhalten hätte, wie das Land es in seiner Berufungs­zu­lassung für richtig erklärt hatte: Das VG hatte seine Entscheidung nicht allein auf die Auslegung des Konzes­si­ons­ver­trags aus 1994 gestützt, sondern parallel begründet, so dass das Urteil nicht allein auf den Punkten „beruhte“, die als verfah­rens­feh­lerhaft vorge­tragen wurden.

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Daneben sah der Senat aber auch keine ernst­lichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung, die ebenfalls eine Zulassung der Berufung geboten hätten. Die Begründung sei weder wider­sprüchlich, noch hätte das Gericht einen Formzwang und einen hieraus resul­tie­renden Ausle­gungs­auftrag übersehen. Auch straßen­rechtlich hätte das Gericht nichts falsch gemacht. Ein straßen­recht­licher Besei­ti­gungs­an­spruch bestehe nicht, weil Vattenfall nicht unerlaubt, sondern erlaubt das Leitungs­netze betreibe. Das sei auch keine nicht vollwertige Interimslösung.

Zuletzt betrachtet das OVG die Sache auch nicht als tatsächlich oder rechtlich schwierig, was auch zur Zulassung der Berufung geführt hätte. Bemer­kenswert in diesem Kontext die Anmerkung des Senats, dass der schiere Hinweis auf die Länge der erstin­stanz­lichen Entscheidung nicht ausreicht, um eine besondere Schwie­rigkeit zu indizieren. Poten­tiell schwierige Fragen dagegen seien nicht tragend für das Urteil gewesen. Dies gelte auch für die Fragen, die das Land als von „grund­sätz­licher Bedeutung“ betrachtet und deswegen die Berufungs­zu­lassung verlangt.

Die Entscheidung ist damit rechts­kräftig. Vattenfall kann sein Netz behalten. Für die öffent­liche Hand, die ein Interesse daran hat, den Wärme­netz­be­trieb nur auf Zeit zu konzes­sioneren, ist das indes keine ganz befrie­di­gende Konse­quenz. Hier liegt der Schlüssel in der möglichst präzisen Ausge­staltung von Endschafts­klauseln: Diese müssen ganz klar regeln, wie Gemeinden nach Ende der Vertrags­laufzeit wieder an ihre Netze kommen. Oder der Gesetz­geber wird hier aktiv. (Miriam Vollmer).

Sie möchten mit uns über Fernwärme sprechen? Am 12. Oktober 2021 laden wir zum Fernwär­metalk. Infos und Anmeldung hier.

2021-09-30T00:03:10+02:0029. September 2021|Konzessionsrecht, Wärme|

Berliner Revolution im Fernwärmerecht

Die Neure­gelung des Berliner Klima­schutz- und Energie­wen­de­gesetzes wird vor allem wegen der Solar­pflicht disku­tiert. Inter­essant und wegen einer denkbaren Vorbild­wirkung auch über Berlins Grenzen hinaus inter­essant sind aber auch die Regeln, die in Berlin künftig für Fernwärme gelten:

Ein neuer § 22 fordert von Fernwär­me­netz­be­treibern einen Dekar­bo­ni­sie­rungs­fahrplan mit Nulllinie 2040/2045. 2030 sollen schon 40% der Wärme im Netz aus Erneu­er­baren oder unver­meid­barer Abwärme bestehen. Offen bleibt aller­dings, was passiert, wenn dieses ehrgeizige Ziel nicht erreicht wird. Hier setzt man offenbar auf Rechts­treue und den Umstand, dass sich hier in erster Linie das Land Berlin selbst in die Pflicht nimmt.

In Berlin haben nach § 23 Abs. 1 künftig Einspeiser grüner Fernwärme Anspruch auf Anschluss ans Netz, abgelehnt werden darf nur bei unvertret­barem Aufwand und wirtschaft­licher Unzumut­barkeit und Genemigung durch die neue Fernwärmeregulierungsbehörde.

§ 23 Abs. 2 enthält sodann eine Abnah­me­ver­pflichtung für klima­scho­nende Wärme. Das ist im Fernwär­me­recht ganz neu, man kennt solche Regelungen bisher vor allem aus dem EEG. Der Wärme­netz­be­treiber muss die Wärme angemessen vergüten, wenn dem Anlagen­be­treiber die Vergütung für die Wärme nicht reicht, kann er dies behördlich überprüfen lassen. Außerdem sieht die Neure­gelung weitge­hende Trans­pa­renz­pflichten für Netzbe­treiber vor.

Eine wichtige Stellung im neuen Berliner Fernwär­me­recht hat die neue Regulie­rungs­be­hörde. Diese ist im Wärme­recht bisher ein Novum, man kennt sie aus den Regulie­rungen für Strom und Gas. Sie wird bei der für Energie zustän­digen Senats­ver­waltung (= Wirtschaft) angesiedelt. Außer der Regulierung im Verhältnis von Anlagen­be­treiber und Netz hat sie die kartell­recht­liche Aufgabe, die Verbrau­cher­preise für Fernwär­me­kun­denalle fünf Jahre zu prüfen und die Ergeb­nisse zu publizieren. 

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Mit diesen Regelungen beschreitet Berlin ganz neue Wege. Man kennt die einzelnen Instru­mente wie die starke Regulie­rungs­be­hörde, die Abnah­me­ver­pflichtung für grüne Energie etc. zwar alle bereits aus den Bereichen Strom und Gas. Doch die Ausweitung auf die bisher noch unregu­lierte Fernwärme im größten Wärme­netz­gebiet Deutsch­lands zeigt, dass der klima­po­li­tische Dornrös­chen­schlaf des Sektors Gebäude endgültig der Vergan­genheit angehören dürfte. Für Versorger bedeutet das: Auch außerhalb Berlins müssen nun schnell Konzepte für grüne Wärme her. Anderen Akteuren dagegen eröffnen sich Chancen (Miriam Vollmer)

 

 

 

 

2021-08-20T17:34:41+02:0020. August 2021|Erneuerbare Energien, Wasser|

Weiteres Eilver­fahren gegen Radfahr­streifen ohne Erfolg

Kürzlich hatte das Oberver­wal­tungs­ge­richt (OVG) Berlin-Brandenburg in einem Eilver­fahren einen Antrag gegen die Einrichtung von Pop-up-Radwegen in Fried­richshain-Kreuzberg nach der Beschwerde der Antrags­geg­nerin abgewiesen. Nachdem das Verwal­tungs­ge­richt Berlin dem Antrag zunächst statt­ge­geben hatte.

In einem weiteren Verfahren hat das OVG per Presse­er­klärung heute die Entscheidung über eine Beschwerde bekannt­ge­geben. Diesmal ging es um die Invali­den­straße im Bezirk Mitte. Hier waren letzten Herbst bei einer Umgestaltung der Straße beidseitig geschützte Radfahr­streifen einge­richtet worden. Nicht zuletzt war dies unter dem Eindruck eines schweren Unfalls geschehen, bei dem der Fahrer eine Sports Utility Vehicles (SUV) bei einem epilep­ti­schen Anfall die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hatte und dabei vier Passanten von dem Fahrzeug getötet worden waren. 

Für die Umgestaltung fielen etliche Parkplätze und auch Ladezonen vor einer Weinhandlung weg. Daher stellte der Weinhändler nach Erhebung der Klage einen Eilantrag gegen die Einrichtung der Radfahr­streifen. Aller­dings hatte dies bereits in erster Instanz keinen Erfolg: Denn bei Gefahren für die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs können Straßen­ver­kehrs­be­hörden Anord­nungen treffen, die den Verkehr beschränken. Aufgrund der geringen Breite der Invali­den­straßen und der dort auch verlau­fenden Straßenbahn war es immer wieder zu Unfällen mit Betei­ligung von Fahrrad­fahrern gekommen. 

Diese Gefahren würden durch die Anordnung des geschützten Radfahr­streifens und den Wegfall der Parkplätze verringert. Durch beide Maßnahmen wurde insbe­sondere Übersicht­lichkeit und damit Verkehrs­si­cherheit für alle Verkehrs­teil­nehmer erreicht. Zudem fällt die Gefahr der sich öffnenden Autotüren weg, die inbesondere in Kombi­nation mit den Straßen­bahn­schienen eine erheb­liche Gefahr für die Radfahrer darstellten.

Das OVG hat den Beschluss des Verwal­tungs­ge­richts ausweislich der Presse­ver­laut­barung im Wesent­lichen bestätigt. Zudem sei der Händler durch den Wegfall der Ladezone vor seinem Geschäft auch nicht unzumutbar beein­trächtigt. Die Belie­ferung bleibe weiterhin über die Seiten­straßen möglich. Aus dem Anlie­ger­recht folge für den Antrag­steller keinen Anspruch auf Einrichtung oder Beibe­haltung von Park- und Lademög­lich­keiten vor seinem Geschäft (Olaf Dilling).

2021-01-28T23:25:49+01:0028. Januar 2021|Verkehr|