Friedhof der verges­senen Gerichtsurteile

In Berlin-Kreuzberg sind im Vikto­riapark diesen Sommer Gedenk­tafeln für Gerichts­ent­schei­dungen einge­weiht worden, die vor ca. 140 Jahren ergangen sind. In dem Zusam­menhang hat der Initator der Tafeln, der Bezirks­ver­ordnete und Staats­rechtler Dr. Timur Husein, auch angeregt, das öffent­liche Gedenken auch bezüglich weiterer Gerichts­ent­schei­dungen zu pflegen. In der Legal-Tribune-Online wurden bereits die Elfes-Urteil-Straße oder ein Brokdorf-Beschluss-Boulevard ins Spiel gebracht. Für Nicht­ju­risten ist das wohl eine eher abwegige Vorstellung.

Luftbild des Viktoriaparks mit Kreuzbergdenkmal

Tatsächlich haben die Kreuzberg-Entschei­dungen aber zu Recht Rechts­ge­schichte gemacht. Hinter­grund ist das polizei­liche Verbot in der Methfes­sel­straße in Berlin-Kreuzberg große Miets­häuser zu errichten. Das Verbot hatte den Hinter­grund, dass auf dem Kreuzberg im heutigen Vikto­riapark ein Denkmal von Schinkel an die Befrei­ungs­kriege erinnert. Dieses Denkmal wäre durch die Bebauung verdeckt worden. Das Verbot sollte also lediglich ästhe­ti­schen Gründen dienen.

Das damalige Preus­si­schen Oberver­wal­tungs­ge­richt entschied, dass es nicht Aufgabe der Polizei sei, ein solches Verbot zu erlassen, denn die Aufgabe der Polizei sei die Gefah­ren­abwehr. Zudem sei auch die Polizei an Gesetz und Recht gebunden. Insofern wird die Entscheidung auch heute noch in Polizei­rechts­vor­le­sungen als ein Ursprung von Rechts­staat­lichkeit referiert.

Das Kreuz­berg­denkmal ist übrigens heute noch sichtbar. Das liegt daran, dass es später unter erheb­lichem techni­schen Aufwand auf eine Art gemau­ertes Podest gesetzt wurde. Manchmal hat eben doch nicht das Recht, sondern die Technik das letzte Wort (Olaf Dilling).

2022-08-25T00:05:17+02:0025. August 2022|Allgemein, Verwaltungsrecht|

Berlin beats Bund: Verkehrs­wende in Koalitionsverträgen

Die Diskussion von verkehrs­po­li­tisch und ‑rechtlich Inter­es­sierten über den Koali­ti­ons­vertrag des Bundes ist kaum abgeklungen, schon kommen Nachrichten über einen „neuen Koali­ti­ons­vertrag“ aus Berlin. Aller­dings geht es nicht um eine Neuauflage der Ampel in letzter Minute, sondern um die Landes­ebene, also um den Vertrag des rot-grün-roten Bündnisses. Nach der Wahl stellt es die Mehrheit im Abgeord­ne­tenhaus und will die Regierung im Roten Rathaus bilden. Ein paar spekta­kuläre Details zum Verkehr, wie der geplante Rückbau von Stadt­au­to­bahn­strecken und der Bau von Seilbahnen sind bereits an die Öffent­lichkeit gedrungen.

Drei Fahrradfahrer vor Regierungsgebäuden an der Spree

Aber auch die versteck­teren Details sind spannend. Schließlich geht es um die Blaupause, wie in der nächsten Berliner Legis­la­tur­pe­riode die Verkehrs­wende durch die Politik voran­ge­trieben oder auch ausge­bremst werden könnte. Anders als der Koali­ti­ons­vertrag des Bundes ist das Berliner Regie­rungs­pro­gramm insofern vielversprechender.

Das geht schon rein äußerlich los: Das Kapitel ist etwa doppelt so lang wie das Verkehrs­ka­pitel im Koali­ti­ons­vertrag der designierten Bundes­re­gierung. An diesem war von Verkehrs­po­li­tikern unter anderem kriti­siert worden, dass das Stichwort „Verkehr­wende“ vermutlich aufgrund von Empfind­lich­keiten der FDP sorgfältig vermieden wurde. Ganz anders in Berlin, da fällt das Stichwort gleich sieben Mal und das nicht nur im Kapitel über Mobilität. Es bleibt aber nicht bei dieser sehr allge­meinen Flughöhe… es finden sich auch sehr viel konkretere und zugleich kontro­versere Stich­worte, wie etwa „Lasten­rad­för­der­pro­gramm“.

Ein großer Teil des Vertrages ist jedoch ganz boden­ständig dem Ausbau des öffent­lichen Schie­nen­ver­kehrs, genauer gesagt der Schie­nen­in­fra­struktur der Regional‑, S‑, U- und Straßen­bahnen gewidmet. Die Taktfre­quenzen sollen ebenso erhöht werden sie die Fahrgast­si­cherheit durch spezi­elles Personal und Notfall­mel­de­systeme. Zugleich soll eine Tarif- und Finanz­reform des ÖPNV ohne Reduzierung der Steuer­mittel angestrebt werden. Um dies dennoch halbwegs haushalts­neutral hinzu­be­kommen, soll an anderer Stelle Geld einge­nommen werden, insbe­sondere im Bereich Parkraumbewirtschaftung:

Als Grundlage dafür soll ein digitales Parkraum­ma­nage­ment­system geschaffen werden, und die Parkraum­be­wirt­schaftung im Innen­stadtring soll ausweitet werden. Weiterhin geplant ist die Erhöhung der Parkge­bühren des Kurzzeit­parkens. Das Anwoh­ner­parken soll mit Ausnahmen für soziale Härte­fälle auf 10 Euro im Monat angehoben werden.

Weitere Schwer­punkte bilden sicherer Rad- und Fußverkehr. Insbe­sondere soll die Umsetzung des Radver­kehrs­we­ge­plans, nach dem ein Vorrangnetz und geschützte Infra­struk­turen an Haupt­straßen bis 2026 reali­siert werden. Außerdem soll weiter an Radschnellwege gebaut werden, aller­dings unter möglichster Schonung von Grünan­lagen, um bestehende Konflikte mit dem Fußverkehr zu entschärfen.

Der Fußverkehr und die Verkehrs­si­cherheit soll unter anderem durch Unter­stützung von Maßnahmen zur Vermeidung von motori­siertem Durch­gangs­verkehr und zur Verkehrs­be­ru­higung, zum Beispiel Kiezblocks und sichere, barrie­re­freie und komfor­table Gehwege gefördert werden. Daneben sollen alle recht­lichen Möglich­keiten zur Ausweitung von Tempo 30-Zonen genutzt werden. 

Obwohl es von Verkehrs­experten auch schon Kritik an einem mangelnden Gesamt­konzept gab, finden sich doch im Koali­ti­ons­vertrag von Berlin zahlreiche sinnvolle verkehrs­po­li­tische Maßnahmen, die im Koali­ti­ons­vertrag des Bundes von Kommunen und Verkehrs­wen­de­ex­perten schmerzlich vermisst werden. Mit anderen Worten auch in den nächsten vier bzw. fünf Jahren kommen die Initia­tiven aus Berlin zur nachhal­tigen Mobilität voraus­sichtlich eher vom Senat als von der Bundes­re­gierung (Olaf Dilling).

2021-12-01T15:06:46+01:001. Dezember 2021|Allgemein, Verkehr|

Berliner Wärme: OVG BB, OVG 11 N 103.17

Berlin und Vattenfall schlossen 1994 einen Konzes­si­ons­vertrag über die Fernwär­me­ver­sorgung in Berlin. Dieser enthielt eine Endschafts­klausel in § 16 Abs. 1. Hier stand, dass nach dem Ende des Vertrages die Energie­ver­sor­gungs­an­lagen an Berlin zu übereignen seien.

2014 lief dieser Vertrag aus. Berlin forderte nun von Vattenfall das Fernwär­menetz heraus. Doch der schwe­dische Konzern weigerte sich: Das Fernwär­menetz sei von den Energie­ver­sor­gungs­an­lagen, die nach Ende der Vertrags­laufzeit zu übereignen waren, gar nicht umfasst. Das wollte Berlin so nicht hinnehmen und erhob Klage vorm Verwal­tungs­ge­richt (VG) Berlin mit dem Ziel, gerichtlich feststellen zu lassen, dass Vattenfall dem Land die Leitungen schuldet.

Doch das VG Berlin sah das anders: Mit Urteil vom 30.06.2017 wies das Gericht die Klage ab. Weder auf Basis des 2016 noch einmal geänderten Vertrages, noch auf straßen­recht­licher Grundlage sah das Gericht einen Rechts­grund, der einen Heraus­ga­be­an­spruch des Landes begründen könnte. Die (vor den Verwal­tungs­ge­richten nicht automa­tisch mögliche) Berufung eröffnete das VG nicht. Doch Berlin akzep­tierte die Entscheidung nicht und beantragte gem. § 124 VwGO die Berufungs­zu­lassung. Diesen, dem eigent­lichen Berufungs­ver­fahren vorge­schal­teten Antrag wies das OVG Berlin-Brandenburg nun am 5. Juli 2021 ab. Die Gründe für die Zulassung einer Berufung lägen nicht vor:

Berlin hatte zunächst umfang­reich mit Verfah­rens­fehlern argumen­tiert: Zunächst sei die 4. Kammer des VG Berlin unzuständig gewesen. Das OVG hielt dies aber für unzutreffend, denn es handele sich primär um eine energie­wirt­schafts­recht­liche Sache, nicht um Straßen­recht, weswegen die 4. und nicht die 1. Kammer zu Recht mit der Sache befasst worden war. Weiter hatte das Land gerügt, im Urteil des VG Berlin hätten Ausfüh­rungen zu § 1004 BGB gefehlt, weswegen ein verfah­rens­feh­ler­hafter Begrün­dungs­mangel vorge­legen hätte. Dies überzeugte den Senat aber nicht, denn es ergebe sich eine hinrei­chende Begründung aus dem Gesamt­zu­sam­menhang der Entschei­dungs­gründe. Der Senat sah auch keinen Verstoß gegen das Verbot der Beweis­an­ti­zi­pation. Das Gericht hätte in der bemän­gelten Passage nur sein Verständnis der maßgeb­lichen Vertrags­klausel erläutert. Das VG Berlin hätte auch keine Hinweis­pflicht auf sachdien­liche Anträge verletzt, unabhängig davon würde das Urteil nicht auf einem Verfah­rens­mangel beruhen, wäre also nicht anders ausge­fallen, wenn das VG sich so verhalten hätte, wie das Land es in seiner Berufungs­zu­lassung für richtig erklärt hatte: Das VG hatte seine Entscheidung nicht allein auf die Auslegung des Konzes­si­ons­ver­trags aus 1994 gestützt, sondern parallel begründet, so dass das Urteil nicht allein auf den Punkten „beruhte“, die als verfah­rens­feh­lerhaft vorge­tragen wurden.

Kreuzberg, Ausblick, Berlin, Tipi, Charité, Deutschland

Daneben sah der Senat aber auch keine ernst­lichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung, die ebenfalls eine Zulassung der Berufung geboten hätten. Die Begründung sei weder wider­sprüchlich, noch hätte das Gericht einen Formzwang und einen hieraus resul­tie­renden Ausle­gungs­auftrag übersehen. Auch straßen­rechtlich hätte das Gericht nichts falsch gemacht. Ein straßen­recht­licher Besei­ti­gungs­an­spruch bestehe nicht, weil Vattenfall nicht unerlaubt, sondern erlaubt das Leitungs­netze betreibe. Das sei auch keine nicht vollwertige Interimslösung.

Zuletzt betrachtet das OVG die Sache auch nicht als tatsächlich oder rechtlich schwierig, was auch zur Zulassung der Berufung geführt hätte. Bemer­kenswert in diesem Kontext die Anmerkung des Senats, dass der schiere Hinweis auf die Länge der erstin­stanz­lichen Entscheidung nicht ausreicht, um eine besondere Schwie­rigkeit zu indizieren. Poten­tiell schwierige Fragen dagegen seien nicht tragend für das Urteil gewesen. Dies gelte auch für die Fragen, die das Land als von „grund­sätz­licher Bedeutung“ betrachtet und deswegen die Berufungs­zu­lassung verlangt.

Die Entscheidung ist damit rechts­kräftig. Vattenfall kann sein Netz behalten. Für die öffent­liche Hand, die ein Interesse daran hat, den Wärme­netz­be­trieb nur auf Zeit zu konzes­sioneren, ist das indes keine ganz befrie­di­gende Konse­quenz. Hier liegt der Schlüssel in der möglichst präzisen Ausge­staltung von Endschafts­klauseln: Diese müssen ganz klar regeln, wie Gemeinden nach Ende der Vertrags­laufzeit wieder an ihre Netze kommen. Oder der Gesetz­geber wird hier aktiv. (Miriam Vollmer).

Sie möchten mit uns über Fernwärme sprechen? Am 12. Oktober 2021 laden wir zum Fernwär­metalk. Infos und Anmeldung hier.

2021-09-30T00:03:10+02:0029. September 2021|Konzessionsrecht, Wärme|