Endschaftsregelung nicht vergessen: BGH zu Fernwärmenetz Stuttgart
Das Urteil des BGH-Kartellsenats (Urt. v. 5.12.2023 – KZR 101/20) hat im langjährigen Streit der Landeshauptstadt Stuttgart mit der EnBW um das Fernwärmenetz eins geklärt: Eigentümerin des Netzes ist die EnBW. Die Landeshauptstadt kann keine Übereignung oder gar den Rückbau des Netzes fordern. Damit ist zumindest ein möglicher Ausgang des Verfahrens, den beide Parteien wohl nicht gewollt hätten, vom Tisch: Das zwischen 1994 und 2013 bis auf 218 km ausgebaute Fernwärmenetz mit einer Versorgungskapazität für rund 25.000 Haushalte, ca. 1.300 Unternehmen und 300 öffentliche Gebäude zu beseitigen.
Andere Facetten des Urteils dürften allerdings weiterhin zu Herausforderungen auf dem Weg zur einvernehmlichen Gestaltung der Stuttgarter Fernwärmeversorgung führen, denn zugleich hat die EnBW für die Zukunft keinen kartellrechtlichen Anspruch auf die erneute Einräumung von Wegenutzungsrechten zum Betrieb des Fernwärmenetzes. Diesen hatte sie im Wege der Widerklage verfolgt.
Rückblick – Konzessionsvertrag ohne Endschaftsregelung
Was bisher geschah: 1994 wurde – noch zwischen Stadt und kommunalem Versorger, der später die Beteiligung der Stadt verlor und seit nunmehr rund 20 Jahren Teil des EnBW-Konzerns ist – ein Konzessionsvertrag geschlossen: Bis zum Ende der Vertragslaufzeit 2013 räumte dieser dem Versorgungsunternehmen Wegenutzungsrechte für die Verlegung und den Betrieb des Fernwärmenetzes ein. Nicht geregelt wurde, wer nach dem Ausbau und dem Ende der Vertragslaufzeit das Eigentum an den Anlagen erhalten sollte.
Nun ist diese sogenannte Endschaftsregelung – sozusagen und juristisch ganz und gar unsauber – der Ehevertrag der langfristigen Vertragsbeziehungen. Eine Endschaftsregelung kann Konflikte nicht verhindern. Aber jedenfalls haben alle Seiten die Sicherheit, dass man über das Eingemachte schonmal ehrlich gesprochen hat, als noch alles gut war. Endschaftsregelungen gehören in jeden Betreibervertrag, wenn eine Vertragspartei über lange Zeit teure Infrastruktur aufbaut. Das kann in nahezu allen Versorgungsbereichen der Fall sein, wenn neue Netze errichtet werden müssen.
Stuttgart hatte 2011, 2 Jahre vor Vertragsende, mit der Information über die Bestrebungen, die Wegenutzungsrechte erneut zu vergeben – oder aber, das Wärmenetz zu rekommunalisieren – begonnen.
Rechtsstreit
Nach Zwischenschritten, stockenden Verhandlungen und dem sich anschließenden Rechtsstreit erging 2019 ein erstes Urteil des LG Stuttgart (Urt. v. 14.02.2019 – 11 O 225/16). Die Landeshauptstadt hatte erstmals auf Übereignung des Fernwärmenetzes, die EnBW in Widerklage auf einen neuen Wegenutzungsvertrag geklagt. Das Landgericht verneinte einen Anspruch der Stadt auf Übereignung – sowie den Hilfsantrag auf Beseitigung – der Leitungen und gab der Widerklage statt.
Die 2020 nachfolgende Entscheidung des OLG Stuttgart (Urt. v. 26.3.2020 − 2 U 82/19) führte ins Patt: Zwar bestätigte das OLG die erstinstanzliche Auffassung, dass weder das Eigentum an den Anlagen automatisch an die Stadt übergangen, noch ein Anspruch hierauf entstanden sei. Es sah anders als das Landgericht allerdings einen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB – die Leitungen auf und in den Grundstücken der Stadt müssten durch die EnBW entfernt werden. Auch hinsichtlich des Widerklageantrags änderte das OLG das Urteil: Entgegen der Auffassung in erster Instanz stehe der EnBW keine Abgabe eines Angebots für einen neuen Wegenutzungsvertrag durch die Landeshauptstadt zu. Das mögliche Ergebnis, tatsächlich einen Rückbau des mittlerweile weitläufigen und umfassenden Wärmenetzes zu erwirken, konnte jedoch beiden Parteien nicht recht sein.
Das nun ergangene Urteil des BGH (dessen Volltextveröffentlichung Stand 12.12.2023 noch aussteht) stellt sich nun als neue Kombination dar. Kein Anspruch der Landeshauptstadt Stuttgart auf Übereignung (wie LG, OLG) oder Beseitigung ( wie LG, gegen OLG) der Fernwärmeleitungen. Kein Anspruch der EnBW auf ein Angebot der Stadt, einen neuen Wegenutzungsvertrag abzuschließen (gegen LG, wie OLG).
Zentrale Entscheidungsgründe
Die Entscheidung stützte das Gericht zentral auf drei Normen und deren Auslegung:
1. Um den Eigentumsübergang von Versorgungsleitungen (sogenannten Scheinbestandteilen) an die Stadt nach § 95 BGB zu bestätigen, fehlte es dem BGH zufolge an der erforderlichen Willensentschließung des Eigentümers der Netzleitungen (EnBW).
2. Hinsichtlich des Beseitigungsanspruchs sei die „Störung“ in diesem Fall nach § 1004 Abs. 2 BGB aufgrund nachvertraglicher Rücksichtnahmepflichten in Verbindung mit dem Grundsatz von Treu und Glauben (§§ 241, 242 BGB) durch die Stadt zu dulden.
3. Umgekehrt bejahte das Gericht zwar eine marktbeherrschende Stellung der Stadt bei der Vergabe von Wegenutzungsrechten – die sei hier aber nicht missbräuchlich ausgenutzt worden, sodass ein Anspruch auf Nutzungsrechtseinräumung nach § 19 GWB entfiel.
Einordnung & Ausblick
Die Landeshauptstadt Stuttgart verfolgt das Ziel, bis 2035 klimaneutral zu werden. Dafür zieht sie zunehmend Versorgungsfragen an sich – im Rahmen der städtischen Energieleitplanung auch den kommunalen Wärmeplan. Das Fernziel der Rekommunalisierung des Wärmenetzes hat die Landeshauptstadt in ihrer Pressemitteilung zur Entscheidung entsprechend bekräftigt. In ihrer Pressemitteilung haben die EnBW zumindest den fortbestehenden Willen zur Zusammenarbeit formuliert.
Daneben fällt auf: Parteien und Gerichte haben im Streit mehrfach auf Regelungen des EnWG zurückgegriffen. So hat sich das Landgericht in erster Instanz mit der Bedeutung der Entflechtungsregeln des EnWG auseinandergesetzt (BeckRS 2019, 11063, Rn. 191f.), und der BGH sich an § 46 EnWG angelehnt. Prinzipiell reguliert das EnWG nur Strom- und Gasnetze. Die steigende Bedeutung von (Fern-)Wärmenetzen könnte hier in Zukunft gesetzgeberisches Tätigwerden erfordern.
Und allen Versorgungsunternehmen sowie den versorgten Kommunen, die Betreiberverträge über Infrastruktur schließen, sei nachdrücklich ans Herz gelegt: Treffen Sie eine Endschaftsregelung für die wertvolle Infrastruktur (Dr. Miriam Vollmer/Friederike Pfeifer).