Das 6. Türchen: Der Wärmeleitungsstreit

Wir öffnen unser 6. Türchen des virtu­ellen re Advents­ka­lenders, mit dem wir
Ihnen einen kleinen Einblick geben möchten, was unsere Kanzlei in diesem
Jahr so an inter­es­santen Verfahren und Projekten betrieben hat.

Wir beraten ein Fernwär­me­ver­sor­gungs­un­ter­nehmen in Norddeutschland, das im Streit mit der Gemeinde liegt, in der die Wärme­lie­ferung erfolgt und das Wärmenetz betrieben wird. Der Mandant hätte gerne einen Vertrag mit der Gemeinde abgeschlossen, der es ihm (gegen angemes­senes Entgelt) gestattet, die Wege der Gemeinde zur Verlegung der Fernwär­me­lei­tungen zu benutzen.

Im Bereich der Strom- und Gasver­sorgung ist der Abschluss solcher Konzes­si­ons­ver­träge vom Gesetz­geber genau geregelt, inklusive der Höhe der Entgelte, die von der Gemeinde zuläs­si­ger­weise verlangt werden dürfen (Konzes­si­ons­ab­gaben). Im Bereich der Fernwär­me­ver­sorgung fehlt es dagegen an spezi­fi­schen recht­lichen Rahmen­be­din­gungen. Weitgehend unstreitig ist jedoch, dass grund­sätzlich ein kartell­recht­licher Anspruch gegen die Gemeinde auf Abschluss von Wärme­ge­stat­tungs­ver­trägen besteht. Hiervon konnten wir zwischen­zeitlich auch die Gemeinde überzeugen, nachdem bereits ein mögliches Klage­ver­fahren unmit­telbar im Raum stand.

Nun liegt ein Vertrags­an­gebot der Gemeinde vor, aber wie es so ist bei Verträgen: Was dem einen nützlich erscheint, möchte der andere dann vertraglich doch nicht unter­schreiben. Und so geht es nun darum, die Inhalte zu verhandeln. Welches Entgelt ist angemessen? Wer haftet für was? Soll die Gemeinde nach Ende des Vertrages einen Anspruch auf Übernahme des Netzes haben? Letzt­endlich geht es bei all diesen Fragen auch darum, ob die Gemeinde angemessene Bedin­gungen verlangt oder aber ihre markt­be­herr­schende Stellung ausnutzt, um Vertrags­be­din­gungen durch­zu­setzen, die sie am freien Markt nicht erzielen könnte. Wir sind indes zuver­sichtlich hier letzt­endlich am Ende eine Lösung zu erzielen, mit der beide Seiten gut leben können.

Dass Mandat führt Dr. Christian Dümke.

2022-12-09T18:18:17+01:009. Dezember 2022|Konzessionsrecht, Wärme|

Das Netzgebiet des Grund­ver­sorgers: Zu BVerwG 8 C 2.21

Wer in einem Netzgebiet der allge­meinen Versorgung die meisten Kunden versorgt, ist nach § 36 Abs. 2 Energie­wirt­schafts­gesetz (EnWG) Grund­ver­sorger (zum Grund­ver­sorger haben wir uns hier geäußert). Doch was ist ein Netzgebiet der allge­meinen Versorgung? Darüber hatte das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) am 26. Oktober 2021 zu entscheiden (BVerwG 8 C 2.21).

Die Klägerin betrachtete sich in einer ganzen baden-württem­ber­gi­schen Gemeinde als Grund­ver­sor­gerin, weil sie im gesamten Gemein­de­gebiet die meisten Haushalts­kunden hätte. Doch das beklagte Umwelt­mi­nis­terium Baden-Württemberg sah das anders: Es zählte vor Ort die Konzes­si­ons­ver­träge, kam auf „drei“, und prüfte für jedes einzelne Gebiet, für das ein Konzes­si­ons­vertrag existiert, wer die meisten Haushalts­kunden versorgt. Danach stellte die Behörde mit Bescheid vom 13.02.2019 fest: In einem der drei Konzes­si­ons­ge­biete war die spätere Klägerin in der Tat Grund­ver­sor­gerin, aber in den beiden anderen nicht. Hier hatte jeweils ein andere Unter­nehmen die Nase vorn.

Die Klägerin sah das nicht ein: Sie war nämlich in allen drei Konzes­si­ons­ge­bieten Konzes­sio­närin und ging deswegen davon aus, dass die drei galva­nisch zusam­men­hän­genden Gebiete wegen der Zustän­digkeit des gleichen Netzbe­treibers als ein Netzgebiet zu betrachten seien. Die Klägerin zog deswegen gegen den Bescheid des Landes vor Gericht: Das Netzgebiet der allge­meinen Versorgung in § 36 Abs. 2 S. 1 EnWG sei nicht identisch mit dem Begriff des Energie­ver­sor­gungs­netzes der allge­meinen Versorgung in § 36 Abs. 2 Satz 2 EnWG.

Bundesverwaltungsgericht, Architektur, Gericht

Das angerufene Verwal­tungs­ge­richt (VG) Stuttgart wies die Klage ab. Das Netzgebiet der allge­meinen Versorgung sei stets das Netzgebiet, für das es einen Konzes­si­ons­vertrag gibt. Das VG führte aus, dass es zwar mehrere Rechts­an­sichten zu dieser Frage gibt, aber die Kammer war überzeugt, dass v. a. syste­ma­tisch die Anzahl der Konzes­si­ons­ver­träge maßgeblich sei (VG Stuttgart, Urt. v. 20.10.2020, 18 K 1797/19).

Das VG ließ die Sprung­re­vision zu, weil die Sache grund­sätz­liche Bedeutung habe. Es gab nämlich bisher noch keine höchst­rich­ter­liche Recht­spre­chung in dieser Sache. Nun hat sich das BVerwG dem VG Stuttgart angeschlossen: Auch die Leipziger Richter meinen, dass es pro Konzes­si­ons­vertrag einen Grund­ver­sorger gibt, also benach­barte Grund­ver­sor­gungs­ge­biete desselben Konzes­sionärs nicht „zusam­men­zu­fassen“ sind. Das begründet das Gericht nicht nur mit der Syste­matik des EnWG, sondern auch mit dem Ziel einer effizi­enten Energie­ver­sorgung und der Sicher­stellung eines wirksamen und unver­fälschten Wettbe­werbs (Miriam Vollmer).

Berliner Wärme: OVG BB, OVG 11 N 103.17

Berlin und Vattenfall schlossen 1994 einen Konzes­si­ons­vertrag über die Fernwär­me­ver­sorgung in Berlin. Dieser enthielt eine Endschafts­klausel in § 16 Abs. 1. Hier stand, dass nach dem Ende des Vertrages die Energie­ver­sor­gungs­an­lagen an Berlin zu übereignen seien.

2014 lief dieser Vertrag aus. Berlin forderte nun von Vattenfall das Fernwär­menetz heraus. Doch der schwe­dische Konzern weigerte sich: Das Fernwär­menetz sei von den Energie­ver­sor­gungs­an­lagen, die nach Ende der Vertrags­laufzeit zu übereignen waren, gar nicht umfasst. Das wollte Berlin so nicht hinnehmen und erhob Klage vorm Verwal­tungs­ge­richt (VG) Berlin mit dem Ziel, gerichtlich feststellen zu lassen, dass Vattenfall dem Land die Leitungen schuldet.

Doch das VG Berlin sah das anders: Mit Urteil vom 30.06.2017 wies das Gericht die Klage ab. Weder auf Basis des 2016 noch einmal geänderten Vertrages, noch auf straßen­recht­licher Grundlage sah das Gericht einen Rechts­grund, der einen Heraus­ga­be­an­spruch des Landes begründen könnte. Die (vor den Verwal­tungs­ge­richten nicht automa­tisch mögliche) Berufung eröffnete das VG nicht. Doch Berlin akzep­tierte die Entscheidung nicht und beantragte gem. § 124 VwGO die Berufungs­zu­lassung. Diesen, dem eigent­lichen Berufungs­ver­fahren vorge­schal­teten Antrag wies das OVG Berlin-Brandenburg nun am 5. Juli 2021 ab. Die Gründe für die Zulassung einer Berufung lägen nicht vor:

Berlin hatte zunächst umfang­reich mit Verfah­rens­fehlern argumen­tiert: Zunächst sei die 4. Kammer des VG Berlin unzuständig gewesen. Das OVG hielt dies aber für unzutreffend, denn es handele sich primär um eine energie­wirt­schafts­recht­liche Sache, nicht um Straßen­recht, weswegen die 4. und nicht die 1. Kammer zu Recht mit der Sache befasst worden war. Weiter hatte das Land gerügt, im Urteil des VG Berlin hätten Ausfüh­rungen zu § 1004 BGB gefehlt, weswegen ein verfah­rens­feh­ler­hafter Begrün­dungs­mangel vorge­legen hätte. Dies überzeugte den Senat aber nicht, denn es ergebe sich eine hinrei­chende Begründung aus dem Gesamt­zu­sam­menhang der Entschei­dungs­gründe. Der Senat sah auch keinen Verstoß gegen das Verbot der Beweis­an­ti­zi­pation. Das Gericht hätte in der bemän­gelten Passage nur sein Verständnis der maßgeb­lichen Vertrags­klausel erläutert. Das VG Berlin hätte auch keine Hinweis­pflicht auf sachdien­liche Anträge verletzt, unabhängig davon würde das Urteil nicht auf einem Verfah­rens­mangel beruhen, wäre also nicht anders ausge­fallen, wenn das VG sich so verhalten hätte, wie das Land es in seiner Berufungs­zu­lassung für richtig erklärt hatte: Das VG hatte seine Entscheidung nicht allein auf die Auslegung des Konzes­si­ons­ver­trags aus 1994 gestützt, sondern parallel begründet, so dass das Urteil nicht allein auf den Punkten „beruhte“, die als verfah­rens­feh­lerhaft vorge­tragen wurden.

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Daneben sah der Senat aber auch keine ernst­lichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung, die ebenfalls eine Zulassung der Berufung geboten hätten. Die Begründung sei weder wider­sprüchlich, noch hätte das Gericht einen Formzwang und einen hieraus resul­tie­renden Ausle­gungs­auftrag übersehen. Auch straßen­rechtlich hätte das Gericht nichts falsch gemacht. Ein straßen­recht­licher Besei­ti­gungs­an­spruch bestehe nicht, weil Vattenfall nicht unerlaubt, sondern erlaubt das Leitungs­netze betreibe. Das sei auch keine nicht vollwertige Interimslösung.

Zuletzt betrachtet das OVG die Sache auch nicht als tatsächlich oder rechtlich schwierig, was auch zur Zulassung der Berufung geführt hätte. Bemer­kenswert in diesem Kontext die Anmerkung des Senats, dass der schiere Hinweis auf die Länge der erstin­stanz­lichen Entscheidung nicht ausreicht, um eine besondere Schwie­rigkeit zu indizieren. Poten­tiell schwierige Fragen dagegen seien nicht tragend für das Urteil gewesen. Dies gelte auch für die Fragen, die das Land als von „grund­sätz­licher Bedeutung“ betrachtet und deswegen die Berufungs­zu­lassung verlangt.

Die Entscheidung ist damit rechts­kräftig. Vattenfall kann sein Netz behalten. Für die öffent­liche Hand, die ein Interesse daran hat, den Wärme­netz­be­trieb nur auf Zeit zu konzes­sioneren, ist das indes keine ganz befrie­di­gende Konse­quenz. Hier liegt der Schlüssel in der möglichst präzisen Ausge­staltung von Endschafts­klauseln: Diese müssen ganz klar regeln, wie Gemeinden nach Ende der Vertrags­laufzeit wieder an ihre Netze kommen. Oder der Gesetz­geber wird hier aktiv. (Miriam Vollmer).

Sie möchten mit uns über Fernwärme sprechen? Am 12. Oktober 2021 laden wir zum Fernwär­metalk. Infos und Anmeldung hier.

2021-09-30T00:03:10+02:0029. September 2021|Konzessionsrecht, Wärme|