Auch wenn diese Woche die Strom- und Gaspreise wieder etwas niedriger notieren: Seit Herbst 2021 haben die Energie­preise eine rapide Entwicklung genommen, die kaum jemand für möglich gehalten hätte. Die Verknapung der russi­schen Erdgas­lie­fe­rungen, der nur zur Hälfte verfügbare franzö­sische Kraft­werkspark und die wegen der Dürre vergleichs­weise geringe Strom­pro­duktion der Wasser­kraft treiben die Preise. Schon 2021 machte sich dies im Großhandel bemerkbar. Aber – vertrags­be­dingt – erst jetzt kommen diese Preise bei den gewerb­lichen und privaten Letzt­ver­brau­chern an.

Die meisten Mitglied­staaten, auch die Bundes­re­publik, haben hierauf bereits reagiert. Nun hat die europäische Ebene im Anschluss an die jährliche Rede zum State of the European Union einen Vorschlag über Notfall­maß­nahmen als Reaktion auf die hohen Energie­preise vorgelegt. Danach will die Kommission auf drei Wegen die Energie­preise in den Griff bekommen.

Abschöpfung von Strom­preisen > 180 EUR/MWh

Die Preis­bildung für Strom wurde in den letzten Wochen wieder viel disku­tiert: Nach dem Merit-Order-Modell beruhen die Großhan­dels­preise für Strom auf dem Kraftwerk, das als letztes angefahren wird, wenn die Strom­erzeuger in der aufstei­genden Reihen­folge ihrer Strom­ge­ste­hungs­kosten anfahren. Da das teuerste noch abgerufene Kraftwerk meistens ein Gaskraftwerk ist, sind die Strom­preise 2022 bedingt durch die Erdgas­preise um ein Vielfaches höher als in den Vorjahren. Was (nicht nur) die Kommission besonders verärgert: Diesen Preis erhält nicht nur das preis­set­zende Kraftwerk, sondern alle Kraft­werke, auch die, die deutlich günstiger erzeugen.

Hier will die Kommission nun Spitzen kappen: Die Erlöse aus dem Verkauf von „infram­ar­gi­nalem“ Strom,z. B. Windkraft, Solar­energie, Geothermie, Kernenergie, Biomasse, Erdöl und Erdöl­er­zeug­nisse, Wasser­kraft, müssen oberhalb einer Grenze von 180 EUR/MWh abgeführt werden. Es gilt also kein Höchst­preis, sondern es wird zu Markt­preisen verkauft und dann an den Staat abgeführt, also eine Art Steuer oberhalb von 180 EUR/MWh in Höhe von 100%. Da auch mit diesen 180 EUR angesichts von Preisen noch 2019 stabil unter 50 EUR/MWh niemand gerechnet haben dürfte, wähnt sich die Kommission auf der juris­tisch sicheren Seite. Das so einge­sam­melte Geld soll dann vom Staat verteilt werden: Letzt­ver­braucher können Kompen­sa­tionen oder Direkt­zah­lungen erhalten, Versorger, die unter Kosten liefern müssen, können unter­stützt werden, es kann auch in Dekar­bo­ni­sie­rungs­stra­tegien inves­tiert werden: Hier haben die Mitglied­staaten Spielräume.

Rettungsring, Lebensretter, Rettung

Abschöpfung von fossilen Übergewinnen

Unter­nehmen, die im Öl‑, Gas‑, Kohle- oder Raffi­ne­rie­be­reich aktiv sind, sollen im laufenden Jahr 33% der Gewinne abführen, die über ihren Durch­schnitts­gewinn in den Jahren 2019 bis 2021 zuzüglich eines Aufschlags von 20% hinaus­gehen. Auch diese neue Steuer soll der Abfederung von Härten dienen, die durch den Preis­an­stieg für Energie entstanden sind.

Senkung von Stromverbräuchen

Die KOM will nicht nur Preis­spitzen abschöpfen, sie will auch gemein­schaftsweit den Strom­ver­brauch besonders dann senken, wenn gerade besonders hohe Nachfrage besteht 5% sollen runter und zwar bevorzugt in den 10% der Stunden, in denen die Last am höchsten ist.

Die Mitglied­staaten haben auch hier Freiräume, wie sie dies erreichen wollen. Die KOM spricht Infor­ma­tionen für Verbraucher an, wie sie in Deutschland bereits in § 9 EnSiKuMaV vorge­schrieben sind. Aber auch markt­ba­sierte Maßnahmen wie Auktionen oder Ausgleichs­leis­tungen für Verbraucher, die bereit sind, ihre Last zu verschieben.

Verzichtet hat die KOM füs Erste auf langfristige und aufwändige Maßnahmen wie den Umbau des Strom­marktes an sich oder auch auf die viel disku­tierten Höchst­preise beim Gaseinkauf. Es soll schnell gehen mit den notwen­digen Entlas­tungen, denn die Heizpe­riode steht vor der Tür (Miriam Vollmer)