Das Wichtigste zuerst: Nein, die Kompensation von Emissionen durch den Kauf von Zertifikaten ist kein wirkungsloser „Ablasshandel“. Tatsächlich verhält sich die Sache vielmehr so:
Wie viel CO2 emittiert wird, ist sehr gut mess- und erfassbar. Dies resultiert schon aus dem Umstand, dass der Kohlenstoffgehalt von Brennstoffen ja eine messbare Größe darstellt. Werden sie verbrannt, ist damit klar, wie viel Kohlendioxidgehalt in die Atmosphäre entlassen wird. Genaue Daten darüber, wie hoch der Kohlenstoffgehalt von bestimmten Brennstoffen ist, besitzen die Lieferanten, es gibt aber auch Standardwerte. Es ist auch bekannt, wie viel Kohlenstoff umverbrannt in der Schlacke verbleibt und deswegen nicht in die Emissionsmenge eingeht. Da auch bekannt ist, wie hoch die Wirkungsgrade bestimmter Technologien sind, ist es gut möglich, mit einem nicht ganz präzisen, aber ausreichend hohen Näherungsgrad die Emissionen, die auf Autofahrten mit bestimmten PKW, Flügen, aber auch Heizen oder Fleischverzehr entfallen, abzuschätzen. Um ein Beispiel zu nehmen: Ein Flug von Berlin nach Barcelona und zurück verursacht 0,561 t CO2 (einen CO2-Rechner unterhält beispielsweise das Umweltbundesamt)
Wie viel CO2 eingespart wird, ist damit ebenso gut erfassbar. Wenn ein Unternehmen eine bestimmte Menge Dampf beispielsweise nicht mehr unter Einsatz von Kohle, sondern unter Einsatz von Gas erzeugt, kann man das sehr präzise berechnen. Oder wenn 20 Familien nicht mehr Brennholz verfeuern, sondern einen Solarkocher verwenden. Oder wenn eine Deponie abgedichtet und das bei entstehende Methan aufgefangen und energetisch genutzt wird. Auch hier hat man also eine Zahl. Ebenso ist bekannt, was die Umrüstung (Technik, Arbeitskräfte, Finanzierung …) oder die Solarkocher kosten. Damit kann man sehr einfach ausrechnen, was die Einsparung jeder einzelnen Tonne CO2 kostet.
Wenn nun die Urlauberin mit dem Flug nach Barcelona einen Anteil an den Investitionskosten der Umrüstung von Kohle auf Gas oder dem Kauf der Solarkocher bezahlt, der ihren 0,561 t CO2 entspricht, so verhält es sich naturwissenschaftlich so, als wäre sie gar nicht geflogen: Ohne ihr Geld hätte die Familie den Solarkocher nicht angeschafft. Dank ihres Geldes heben sich Emission und Einsparung auf.
Natürlich – und hier kommen wir an den heiklen Punkt an der Sache – funktioniert das nur, wenn die erzielte und finanzierte Emissionseinsparung nicht sowieso stattgefunden hätte. Hätte also das Unternehmen schon deswegen auf Gas umgestellt, weil Gas günstiger ist als Kohle oder weil ein Gesetz in Kraft getreten ist, dass die Umstellung gebietet, so läuft der Einspareffekt leer. Um das ebenso sicher ausschließen zu können, wie Manipulationen und Unrichtigkeiten bei der Bemessung von Einsparungen zu verhindern, gibt es Standards und Sachverständige, die diese Standards überwachen. Ist gewährleistet, dass die Standards eingehalten werden, werden Zertifikate ausgestellt,
Die Standards sind nicht gesetzlich geregelt. Theoretisch könnte sich jeder einen Standard ausdenken und Zertifikate ausstellen. Es ist aber nicht anzunehmen, dass sich solche „Mogelzertifikate“ durchsetzen würden. Wenn Unternehmen und Bürger Geld für Projekte ausgeben, um Gutes zu tun und/oder damit zu werben, möchten sie schließlich auch einen Gegenwert für ihr Geld. Die derzeit gehandelten Zertifikate sind deswegen entweder als Certified Emissions Reductions (CER) Ergebnis eines offiziellen und völkerrechtlich verankerten Mechanismus und bilden Einsparungen in Entwicklungsländern ab. Oder es handelt sich um Verified bzw. Voluntary Emissions Reductions (VER), also rein private Standards, die aber in allen uns bekannten Fällen ebenso einem veröffentlichten Standard mit definierten Anforderungen, die stets auch die „Zusätzlichkeit“ einer Maßnahme umfassen, entsprechen müssen und immer extern (z. B. durch den TÜV, der auch einen eigenen Standard definiert hat) geprüft werden. Projekte, die besonders wertvoll sind, weil sie auch soziale und andere Umweltaspekte als „nur“ Einsparung von Treibhausgasen betreffen, können sich als „Gold Standard“ approved zertifizieren lassen.
Was ist also wichtig, wenn man Emissionen kompensieren möchte? Die Projekte, die die Einsparungen generieren, müssen nachvollziehbar, transparent und von externen Gutachtern bestätigt sein. Möchte man nicht selbst den (mitunter den eigenen Sachverstand deutlich übersteigenden) Aufwand betreiben, den Wert und die Nachvollziehbarkeit von Projekten selbst nachzuprüfen, so ist man mit Dienstleistern gut bedient, die entweder eigene oder fremde Projekte checken und die Zertifikate vermarkten. Wichtig ist, dass die – weitgehend standardisierten – Verträge die Einhaltung der Standards, die man sich wünscht, garantieren, damit man, werden sie doch verfehlt, zumindest den Vertrag rückabwickeln kann (Miriam Vollmer)
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