Ein bemer­kens­wertes Urteil fällte am 24. Januar 2019 ein Gericht, an das eher selten gedacht wird, wenn es um Energie-und Umwelt­fragen geht: Der Europäische Gerichtshof für Menschen­rechte (EGMR), nicht zu verwechseln mit dem europäi­schen Gerichtshof (EuGH). Der EGMR überwacht die Einhaltung der Europäi­schen Menschen­rechts­kon­vention. Dieses 1950 vom Europarat verab­schiedete Dokument vermittelt den Bürgern der Mitglied­staaten (das sind viel, viel mehr als die EU Mitglieder hat!) einen unmit­telbar einklag­baren Grundrechtsschutz.

Was ist nun hier passiert? In Süditalien bei Tarent befindet sich ein Stahlwerk, ILVA, dessen Emissionen nachweisbar zu gesund­heit­lichen Schäden der Anwohner geführt haben. Dieses Stahlwerk wird heute von Arcelor­Mittal betrieben. Diese Emissionen bewegen sich deutlich oberhalb der zuläs­sigen Grenz­werte, die europaweit einheitlich auf der Indus­trie­emis­si­ons­richt­linie (früher der IVU-Richt­linie) beruhen. Weil Italien nichts Ausrei­chendes unter­nommen hat, um die Einhaltung der dort angeord­neten Grenz­werte und Standards sicher­zu­stellen, wurde auch schon die europäische Kommission aktiv, hier existiert unter anderem ein Urteil des EuGH im Vertrags­ver­let­zungs­ver­fahren vom 31. März 2011. Und eine auf den Einzelfall bezogene Stellung­nahme der Kommission vom 16. Oktober 2014.

Doch trotz dieses Tätig­werdens ist bis heute nichts Wirksames passiert. Der EGMR verur­teilte Italien nun aller­dings auch nicht direkt zu konkreten Maßnahmen, sondern diese werden vom Minis­ter­ko­mitee des Europarats bestimmt. Inter­essant dabei ist die Grundlage der Entschei­dungen: Diese beruhen auf Art. 8 Abs. 1 der EMRK. Diese Regelung bestimmt, dass jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat-und Famili­en­lebens ihrer Wohnung und ihrer Korre­spondenz hat. Es geht also im Kern um den Schutz der Privatsphäre.

Nun ist es sicherlich so, dass das Privat­leben leidet, wenn man Krebs bekommt. Gleichwohl, ob dieser Kunst­griff nicht eine Überdehnung des Grund­rechts­schutzes der EMRK darstellt? Der EGMR vertritt diese These aller­dings bereits seit 1994 (López Ostra gegen Spanien, 9.12.1994). Außerdem sieht der EGMR eine Verletzung von Art. 13 EMRK, der ein Recht auf wirksame Beschwerden vorsieht.

Was sagt uns als Praktikern nun diese Entscheidung? Zunächst ganz plakativ: Man sollte den EGMR nicht vergessen. Wenn ein Staat sich so hartnäckig wie hier weigert, gerichtlich mehrfach festge­stellte Missstände endlich abzustellen, gibt es eine weitere Instanz, die man sich wenden kann. Aller­dings: Wenn an Italien bereits alle anderen Versuche, endlich recht­mäßige Zustände herzu­stellen, abgeprallt sind, ist ausge­sprochen fraglich, ob nun etwas Wirksames passiert. An und für sich hat die europäische Kommission und der europäische Gerichtshof mit dem Vertrags­ver­let­zungs­ver­fahren und den dort möglichen hohen Zahlungen das schärfere Schwert in der Hand. Gleichwohl, für denje­nigen, der gegen Umwelt­schäden zu Felde zieht, ist jede zusätz­liche Möglichkeit, dickfällige Behörden zum Jagen zu tragen, wertvoll.