Aktuelles Gutachten der Agora zum Emissionshandel

Taufrisch hat der Think Tank Agora Energie­wende aus Berlin ein Gutachten vorgelegt, das sich mit der Frage beschäftigt, was künftig wohl aus dem Emissi­ons­handel wird. Autoren sind Dr. Patrick Graichen, Philipp Litz, Dr. Felix Chr. Matthes und Hauke Herrmann, die beiden Letzt­ge­nannten gehören dem Öko-Institut an.

Das knapp 30 Seiten umfas­sende Kurzgut­achten stellt kurz dar, dass der Emissi­ons­handel bisher hinter seinen Erwar­tungen zurück­ge­blieben sei. Sein Beitrag zu einer Reduzierung der Emissionen der teilneh­menden Anlagen sei bisher extrem begrenzt gewesen. Ausgehend hiervon stellt das Gutachten zunächst dar, welche Verän­de­rungen der europäische Richt­li­ni­en­geber (und damit auch der deutsche Gesetz­geber) für die Zeit ab 2021 eigentlich vorge­sehen hat. Der Leser dieses Blogs weiß natürlich längst Bescheid.

Wie praktisch jeder (wir auch!) begrüßt die Agora die Änderungen aus dem laufenden Jahr. Zur Illus­tration der Neure­ge­lungen, von denen sich die Agora viel verspricht, greift sie zu feuchten Vergleichen: Früher hätte der Emissi­ons­handel einen „Wasser­bett­effekt“ aufge­wiesen: Wenn irgendwo die Emissionen sanken, dann gingen sie woanders hoch, weil die Gesamt­menge feststand, so dass bei emissi­ons­min­dernden Maßnahmen nicht weniger emittiert wurde; es emittierte nur jemand anders. Wie wir auch, meint auch die Agora, dass das künftig nicht mehr so sein wird. Das Gutachten greift zum Bild eines Überlauf­ventils: Wenn irgendwo weniger emittiert wird, wird die Gesamt­menge ein bisschen reduziert. Sprich: Über die Markt­sta­bi­li­täts­re­serve und die Löschungs­option bei Still­legung von Kohle­kraft­werken werden Zerti­fikate erst einge­lagert und ab 2023 auch gelöscht. Es emittiert also nicht ein anderer, sondern niemand: Die Gesamt­menge der Zerti­fikate sinkt künftig absolut. Die Klima­schutz­in­stru­mente wie EEG oder Effizi­enz­maß­nahmen würden sich künftig nicht mehr behindern, sondern ein sinnvolles Gesamt­ta­bleau ergeben.

Um die Effekte des so ertüch­tigten Emissi­ons­handels zu bewerten, bildet die Agora zwei Szenarien: In Szenario 1 sinken die Emissionen jährlich um 1%, so dass ab 2024 eine echte Emissi­ons­be­grenzung durch die Gesamt­menge verfüg­barer Zerti­fikate eintreten würde. In Szenario 2 würden die Emissionen um 2% pro Jahr sinken. Dann aller­dings würde keine Emissi­ons­be­grenzung eintreten, weil die Emissionen dann schneller sinken als die Zerti­fi­kat­menge. In Szenario 1 würden die Überschüsse abgebaut und ab 2030 gäbe es echte – hohe – Knapp­heits­preise. In Szenario 2 nicht, auch wenn auch in diesem Szenario in Größen­ord­nungen gelöscht würde.

In Hinblick auf die Preise erwartet die Agora moderate Steige­rungen. Mit Blick auf die Future­preise (also die Preise für Liefe­rungen in der Zukunft) und die den Umstand, dass die höheren Preise wegen Umstel­lungen in der Einsatz­rei­hen­folge von Kraft­werken heute eher die Überschüsse erhöhen, erwarten die Gutachter offenbar Preise eher bei 15 EUR als bei 25 EUR. Das liegt unter den Preisen, bei denen Betreiber von einem Brenn­stoff auf einen anderen umrüsten würden, um Geld zu sparen.

So weit würde wohl jeder die Analyse der Agora teilen. Doch dabei belässt das Institut es nicht. Ab S. 27 des Gutachtens werden weiter­ge­hende Forde­rungen erhoben. Der Emissi­ons­handel soll – so die Gutachter – noch einmal vor Ablauf der nächsten Handel­s­pe­riode refor­miert werden. So wünscht sich der Think Tank eine Absenkung der Schwelle, oberhalb derer Überschüsse innerhalb der Marksta­bi­li­täts­re­serve gelöscht werden. Und eine Erhöhung der Schwelle, oberhalb derer Zerti­fikate dem Markt wieder zur Verfügung gestellt werden, um die Kurse zu vergleich­mä­ßigen. Auch bekennt sich die Agora zur Forderung nach einem zusätz­lichen CO2-Mindest­preis. Überdies wünscht sich die Agora schon vor Beginn der nächsten Handel­s­pe­riode 2020 eine weitere Reduzierung der verfüg­baren Gesamt­menge an Berech­ti­gungen mit der zwangs­läu­figen Folge höherer Preise. Dass das rechtlich auch innerhalb der Handel­s­pe­riode möglich ist, hat zuletzt ja das Urteil des EuGH zur Markt­sta­bi­li­täts­re­serve ab 2019 ergeben.

Ob es jedoch klug ist, die Rahmen­pa­ra­meter für Unter­nehmen beständig zu verändern und langfristige Strategien so fast unmöglich zu machen, sei einmal dahin­ge­stellt. Wir meinen ja: Unter­nehmen müssen wissen, was sie in den nächsten Jahren erwartet, wenn sie inves­tieren sollen.

2018-07-13T07:44:36+02:0012. Juli 2018|Allgemein|

Hausboot als bauliche Anlage

Wann sprechen wir von einer baulichen Anlage? Diese Frage ist keineswegs reine Erbsen­zäh­lerei. Denn für bauliche Anlagen gelten – das ergibt sich aus § 29 BauGB – ganz andere Regeln als für andere Aufent­haltsorte. Darum dreht sich eine aktuelle Entscheidung des Oberver­wal­tungs­ge­richts Berlin-Brandenburg (OVG BB):

Im vom 2. Senat entschie­denen Fall ging es um ein Hausboot. Das Hausboot liegt am Ruppiner See. Nun wurde die Bauauf­sicht auf das Hausboot aufmerksam. Diese erließ eine Besei­ti­gungs­ver­fügung. Es handele sich um eine bauliche Anlage. Bauliche Anlagen sind geneh­mi­gungs­be­dürftig. Diese bauliche Anlage könne aber nicht genehmigt werden.

Erstaunlich: Das vom Halter des Hausboots im Eilver­fahren angerufene Verwal­tungs­ge­richt (VG) Potsdam sah das wie die Bauauf­sicht. Dabei macht schon der Blick in § 2 Abs. 1 S. 1 Branden­bur­gische Bauordnung (BbgBauO) stutzig. Hier heißt es nämlich:

Bauliche Anlagen sind mit dem Erdboden verbundene, aus Baupro­dukten herge­stellte Anlagen; eine Verbindung mit dem Boden besteht auch dann, wenn die Anlage durch eigene Schwere auf dem Boden ruht oder auf ortsfesten Bahnen begrenzt beweglich ist oder wenn die Anlage nach ihrem Verwen­dungs­zweck dazu bestimmt ist, überwiegend ortsfest benutzt zu werden.“

Mit dem Erdboden verbunden sind Schiffe ja eigentlich gerade nicht. Das VG Potsdam griff deswegen buchstäblich zu einem Strick, um Boot und BauO zusam­men­zu­binden: Die Verbindung mit dem Boden sei die Verbindung über Tau und Steg. Dass das Boot auch herum­fahren könne und der Besitzer die Bewegung seines Bootes auch nachge­wiesen hatte, sei dafür unschädlich. Schließlich kennt das Baurecht auch bauliche Anlagen, die sich nicht immer an derselben Stelle befinden.

Diese ausge­sprochen weite Inter­pre­tation der baulichen Anlage hat das OVG BB nun richti­ger­weise in Zweifel gezogen. Nun ist ein Beschluss im Eilver­fahren keine in Stein gemei­ßelte Recht­spre­chung für die nächsten Dekaden. Aber schon die ersten Hinweise des OVG BB zeigen, wohin die Reise wohl geht: Das OVG BB meint keineswegs, Hausboote könnten keine baulichen Anlagen sein. Es scheint also Fälle zu geben, wo der Strick am Steg reicht. Das OVG BB will vielmehr im Einzelfall klären, ob es sich eher um ein Hausboot handelt, in dem jemand wohnt wie in einem Wochen­endhaus. Oder ob es wie ein Sportboot genutzt wird. Entscheidend – schließlich gibt es zum Zeitpunkt, in dem genehmigt werden müsste noch keine Erfah­rungs­werte wie Proto­kolle – ist danach die Absicht des Besitzers. Nun können Hausboot­be­sitzer ja viel erzählen. Künftig schauen Gerichte, bleibt es auch in Haupt­sa­che­ver­fahren dabei, auf die Innen­ein­richtung oder lassen sich Reise­pläne vorlegen.

Praxistipp: Wer ein Hausboot besitzt, sollte auf jeden Fall dokumen­tieren, dass er es „sport­boot­ty­pisch“ bewegt. Ein Fahrtenbuch und/oder eine Dokumen­tation der Treib­stoff­kosten lohnt sich. Wer eins kauft, sollte von Anfang an darauf achten, dass es bewegt wird und nicht nur wie ein Ferienhaus am Steg liegt und dies auch dokumentieren.

2018-07-12T09:55:33+02:0012. Juli 2018|Verwaltungsrecht|