Während die Bundesregierung die Einsetzung der Kohlekommission noch einmal vertagt hat, versuchen einige Privatleute unterstützt von Umweltverbänden auf dem Gerichtswege mehr Klimaschutz in der Europäischen Union durchzusetzen. Unter anderem das Climate Action Network Europe (CAN‑E), Protect the Planet und Germanwatch finanzieren und unterstützen Kläger, die vom Klimawandel besonders betroffen sind. Auch eine deutsche Familie ist dabei, die auf einer Nordseeinsel lebt, die durch einen Anstieg des Meeresspiegels gefährdet wäre.
Handelt es sich, so wurde ich gestern gefragt, bei diesen Klagen aber eigentlich wirklich um richtige Klagen mit Aussicht oder zumindest Hoffnungen auf Erfolg? Oder geht es mehr um einen öffentlichkeitswirksamen Coup, die Belange des Klimaschutzes im Gespräch zu halten, während im Berliner Betrieb der Ausstieg aus der Kohle inzwischen vorwiegend unter sozialen Aspekten diskutiert wird?
Um die Öffentlichkeit geht es sicherlich auch. Jedoch ist nicht zu übersehen: In den letzten Jahren zeichnet sich ein Muster ab, in das auch diese Verfahren passen. Zuerst werden von der Politik mit großem Aplomb umweltpolitische Ziele ausgerufen. Diese werden sodann verbindlich verabschiedet, entweder als Gesetz oder durch einen internationalen Vertrag. Wohlgemerkt, bis zu diesem Punkt hat die Politik die Bevölkerung durchaus auf ihrer Seite. Wer wäre denn auch gegen weniger Feinstaub oder würde ernsthaft wollen, dass die Halligen vor der deutschen Nordseeküste im Meer versinken?
Im nächsten Schritt wird es heikel. Wer ein Ziel hat, braucht auch Instrumente. Instrumente könnten Verbote sein. Oder höhere Steuern. Oder sonstige Einschränkungen, die der Bürger garantiert nicht honoriert. An diesem Punkt tut die Politik sich also schwer.
Nun schlägt die Stunde der Gerichte. Die Zielbestimmungen – wenig Schadstoffe, mehr Klimaschutz – sind ja nicht vom Himmel ins Amtsblatt gefallen. Viele Bürger erwarten, dass die Politik die Maßnahmen liefert, um verbindliche Ziele umzusetzen. Deswegen ziehen sie vor Gericht. Und kommen zB mit Fahrverboten zurück. Oder bringen Kraftwerke zu Fall.
Ein solches verbindliches Ziel existiert auch in Hinblick auf die Klimaklage, die nun in Luxemburg eingegangen ist: Die EU hat sich verpflichtet, bis 2030 40% der 1990 emittierten Emissionen einzusparen. 2050 soll die Einsparung dann sogar 80% bis 95% betragen. Das sind große Ziele. Und ob die Regelungen, auf die sich die Union bisher einigen konnte, geeignet sind, dies wirklich zu erreichen, ist alles andere als klar. Das Umweltbundesamt (UBA) ist etwa zu dem Ergebnis gekommen, dass die bisher geplanten Maßnahmen nur 32% bis 35% Einsparung brächten.
Diese Diskrepanz wird von den Klägern nun thematisiert. Sie wenden sich gegen drei Rechtsakte, unter anderem die im Frühjahr neu verabschiedete Emissionshandelsrichtlinie, die Klimaschutz-Verordnung (vormals Lastenteilung, Effort Sharing Regulation) und die Verordnung zur Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF). Kommen die Richter wie das UBA zu dem Ergebnis, dass diese gemeinsam mit anderen Maßnahmen nicht ausreicht, ist es nicht ausgeschlossen, dass sie die Richtlinie teilweise aufheben und die Organe noch einmal nacharbeiten müssen.
Doch können eine Handvoll europäischer und nicht-europäischer Bürger einfach so die europäische Klimapolitik zu Fall bringen und strengere Regeln durchsetzen? Hierfür bedarf es eines Kunstgriffs, der wohl auch die erste, große Klippe der Verfahren darstellt. Bürger als sogenannte „nicht privilegierte“ Kläger müssen nämlich auch in Luxemburg ihre unmittelbare Betroffenheit darlegen. Hierfür haben die Verbände offenbar sorgfältig ausgewählte Kläger gefunden, die wirklich nachweisen können, dass sie Schaden nehmen, wenn der Klimawandel fortschreitet. Diese Schäden dürfen der EU auch nicht egal sein, denn jeder EU-Bürger (und, sofern von EU-Akten betroffen, auch jeder Nicht-Bürger) besitzt Grundrechte, die nicht nur eine abwehrrechtliche Funktion besitzen. Sondern aus denen er Schutzpflichten herleiten kann. Die EU muss also etwas für ihn tun und kann nicht einfach abwarten, bis von seinen grundrechtlich geschützten Positionen nichts übrig bleibt.
Doch wird das EuG (das ist bei solchen Klagen von Bürgern die erste Instanz vorm EuGH) sich davon überzeugen lassen? Sieht das EuG mit diesen Argumenten die Klage als zulässig an, ist eine Welle von Klagen zu erwarten. Zudem stellt sich die Frage, ob nicht schon der weite Ermessensspielraum des Gesetzgebers einer solchen Klage entgegensteht. Doch ganz so abwegig, wie manche meinen, ist die Sache durchaus nicht. Es ist nicht ausgeschlossen, dass nach dem langen Weg zu den Eckpfeilern der nächsten Handelsperiode des Emissionshandels die nächsten Schritte ganz anders ausfallen als gedacht. Und aus einer jetzt schon absehbaren Verzögerung eine noch größere Verzögerung würde, an deren Ende die zu erwartenden Zertifikate noch einmal deutlich magerer ausfallen würden als bisher gedacht.
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