Dezentral und ökologisch: So geht es schon heute
Die Leute wollen weg von den Stromkonzernen, höre ich am Donnerstag bei einem temperamentvollen Kaffee als ein Argument für die Blockchain. Man wolle den Strom vom Solardach gegenüber oder aus Windkraft von den Hügeln hinterm Dorf. Na klar, sage ich. Aber das geht doch schon heute. Da hat man mich mit großen Augen angesehen und ich versprach diesen Text (hallo, Marc!).
Vorab ein kleiner Einwurf: Vermutlich beziehen die Leute mit der Abneigung gegen die Stromkonzerne schon jetzt ihren Strom zumindest teilweise aus der Nachbarschaft. Erinnern wir uns an den Physikunterricht der Mittelstufe: Strom nimmt immer den Weg des geringsten Widerstandes. Man kann sich den Weg des Elektrons durch die Kupferatome einer Stromleitung nämlich ein bisschen wie Wasser in einem mit Kieselsteinen gefüllten Rohr vorstellen: Auf der einen Seite wird es hereingepumpt. Die Zwischenräume füllen sich mit Wasser. Solange immer mehr nachgepumpt wird, fließt das Wasser bzw. der Strom immer weiter, um dann dort auszutreten, wo ein geringerer Widerstand besteht als im kiesgefüllten Rohr bzw. zwischen den Kupferatomen. Wer sich partout gerade nicht erinnern kann, kann es sich übrigens von Peter Lustig nochmal erklären lassen.
Was bedeutet das also für den Strom vom Solardach nebenan? Er sucht sich ausgehend von der Erzeugungsanlage den kürzesten Weg zum Verbraucher. Das ist vermutlich jetzt schon sein Nachbar.
Aber natürlich geht es den meisten Leuten nicht um Physik. Sie möchten ihr Geld nicht mehr an Stromkonzerne bezahlen und sie wollen eine schnellere Energiewende, als die Politik ihnen verspricht. Dieser Wunsch ist aber schon heute absolut erfüllbar, auch für Verbraucher:
Wer einfach nur bestimmte Technologien ablehnt, kann ganz simpel zu Anbietern wechseln, die genau das bieten. Zwar verbergen sich hinter 100% Erneuerbaren oft (aber nicht immer, hier lohnt sich Aufmerksamkeit) vorwiegend Wasserkraft aus Skandinavien oder den Alpen, also keine neuen Anlagen, so dass streng genommen kein Zuwachs an EEG-Anlagen stattfindet. Aber wenigstens hat man so die Gewähr, dass der auf den eigenen Verbrauch entfallende Anteil am großen Stromsee aus erneuerbaren Energiequellen bezogen wird. Ein solcher Stromanbieterwechsel ist schnell gemacht. Der Umwelt tut man so vermutlich etwas Gutes, aber aus der Nähe kommt der Strom oft natürlich nicht.
Wer die Sache selbst in die Hand nehmen will, hat es nicht ganz so leicht. Entweder erzeugt er einen Teil seines Bedarfs selbst, indem er auf seinem Grundstück eine eigene Erzeugungsanlage installiert wie zB eine Solaranlage, eine Mini-KWK-Anlage oder ein Windrad. Denkbar ist es auch, sich mit anderen zusammenzutun. Auch wenn dann mehr Kosten für Umlagen und Netzentgelte anfallen als bei ganz isolierten Lösungen. Derzeit wirbt z. B. schon ein Geschäftsmodell um Kunden, bei dem Photovoltaikanlagen in Kombination mit einer Batterie als Speicher bei einer Vielzahl von Kunden eine weitgehende Versorgung aus der eigenen Infrastruktur ermöglichen sollen. Denkbar sind auch Genossenschaftsmodelle von (sehr kompetenten) Prosumern, bei denen dann auch nicht einmal mehr ein Unternehmen profitiert. Und selbst in Großstädten sind mit Mieterstrommodellen dezentrale Lösungen möglich, bei denen oft der Vermieter aus einer eigenen Solaranlage gem. § 42a EnWG seine Mieter ohne Nutzung des öffentlichen Stromnetzes versorgt. Hierfür gibt es in § 23b Abs. 2 EEG auch einen Zuschlag (zu diesen Modellen schreibe ich demnächst einmal mehr).
Angesichts dieser Vielzahl an Möglichkeiten, muss sich der einzelne Verbraucher fragen, was er eigentlich will. Will er seine Kosten reduzieren? Geht es ihm um Unabhängigkeit? Will er eine Versorgung, die bestimmten ökologischen Standards genügt? Je nachdem, wie er sich diese Frage beantwortet, bieten sich ganz unterschiedliche Lösungen an. Allen gemein ist aber, dass sie den offenbar verbreiteten Wunsch nach einer dezentralen und ökologischen Versorgung abseits großer Konzerne schon jetzt erfüllen.