In die Nachrichten schaffen es meistens nur die politischen Formate oder wenn Prominente auftreten. Aber die re:publica ist nicht nur ein großes Treffen der Netzgemeinde, sondern auch eine Tagung, bei der es ganz solide darum geht, was Technik kann und wie Wirtschaft und Gesellschaft damit umgehen sollten. Waren vor einigen Jahren neue Unterhaltungsformate ein großes Thema (nutzt eigentlich noch jemand Snapchat?), wird dieses Jahr viel von der Blockchain gesprochen. Die berührt nämlich bei vielen Besuchern dieser Konferenz einen Triggerpunkt: Peer-to-Peer-Strukturen klingen so herrlich herrschaftsfrei.
Dass ich das anders sehe, habe ich schon letzte Woche ziemlich ausführlich dargestellt. Im Gespräch mit mehreren anderen Besuchern der Konferenz hatte ich bisher auch keinen Grund, meine Meinung zu revidieren. Es mag nach einer bösartigen Unterstellung klingen, aber vielleicht liegt die Begeisterung für die Blockchain bei nicht so ganz wenigen Befürwortern schlicht daran, dass nicht jeder so fürchterlich viel über die Energiewirtschaft weiß.
In einem ganz zentralen Punkt herrscht offenbar weitgehende Unkenntnis. Wieder und wieder hört man, die Blockchain mache es endlich möglich, dass ein Betreiber einer Solaranlage seinen Strom seinem Nachbarn verkauft. Ich gucke dann immer so ein bisschen ratlos. Denn was soll ich dazu sagen? Das ist doch heute auch nicht verboten. Wer Strom anzubieten hat, kann sich bei der Bundesnetzagentur melden und die Nachbarschaft auf der Suche nach Kunden abklappern, wenn er lustig ist. Dass das heute niemand macht, liegt daran, dass es wirtschaftlichere Möglichkeiten gibt. Daran würde eine Blockchain aber überhaupt nichts ändern.
Überhaupt, die Blockchain als Peer-to-Peer-Struktur. Ich kann mir ohne Weiteres vorstellen, dass man per Blockchain Geld rund um den Globus und wieder zurück schicken kann. Weil da ja in Wirklichkeit nichts verschickt wird, nur Ansprüche werden jeweils anderen Leuten zugeordnet. Aber Strom ist etwas anderes als Buchgeld. Bei Strom habe ich immer einen natürlichen Intermediär. Das ist das Stromnetz. Wer auf der re:publica herumläuft, mag oft wenig mit der ganz physischen Welt aus Kupferkabeln zu tun haben, aber eine Peer-to-Peer-Struktur ist in Hinblick auf Strom schlicht nur in Hinblick auf eine Ebene möglich, nämlich in Hinblick auf den Kaufvertrag. Es gibt aber noch eine zweite Ebene, denn allein vom Abschluss eines Kaufvertrags fließt ja noch kein Strom. Der muss erst vom Erzeuger zum Verbraucher. Bei diesem Transport von Strom nützt die Blockchain rein gar nichts. Zwischen dem Erzeuger und dem Verbraucher liegt nämlich eine Netzstruktur, und die gehört einem Unternehmen. Dieses Unternehmen mischt immer mit.
Werde ich damit ohnehin auch mit Blockchain nur einen von zwei Intermediären los, nämlich den Energieversorger, also den Verkäufer von Strom, stellt sich mir die Frage, was das überhaupt bringt. Stellen wir uns einen Moment unser kleines Stadtwerk in Oberaltheim vor. Heute bezieht Familie Schmitt ihren Strom bei den Stadtwerken. Morgen kauft sie direkt über eine Blockchain ihren Strom bei Bauer Groß und Solarpanelbesitzerin Peters. Total demokratisch, könnte man meinen. Endlich haben Schmitts die teuren Zwischenhändler ausgeschaltet. Die Stadt Oberaltheim verdient nur noch über die Netzgesellschaft an den Netzentgelten. Aber hat – was sich viele von der Blockchain versprechen – damit nun wirklich mehr Graswurzeldemokratie Einzug gehalten? Man muss kein Prophet sein, um schon heute zu prophezeien, dass nicht Familie Schmitt und ihre Nachbarn selbst ein Netzwerk einrichten, betreiben, warten und pflegen können. Vermutlich stehen die Anbieter solcher Lösungen schon vor der Tür. Hat man dann nicht ganz schlicht einen Intermediär gegen einen anderen ausgetauscht? Schmitts sind nun vielleicht endlich die Stadtwerke los, dafür schlagen sie sich vielleicht mit Amazon herum. Darauf, dass die Reise eher in diese Richtung geht, würde ich eine Flasche Champagner verwetten. Erste Anzeichen für eine neue Zentralisierung der angeblich so dezentralen Struktur gibt es übrigens schon heute. Erst vor wenigen Tagen las ich, dass das Modellprojekt EWF den ansonsten viel zu hohen Stromverbrauch der Blockchain durch … einen vertrauenswürdigen Zentralverwalter senken will.
Da habe ich herzhaft gelacht.
Liebe Frau Vollmer,
ich hatte mir gestern auch den Vortrag zu „The new energy paradigm“ angehört und hatte ähnliche Gedanken. Man löst Probleme, die es so eigentlich gar nicht gibt. Diese Belieferungen dann noch §§ 40ff EnWG konform zu gestalten, ist dann sicher ein besonderes Vergnügen.
Gruß,
Andreas Zuber
Lieber Herr Zuber,
das erleichtert mich. Ich hatte mich zwischenzeitlich schon gefragt, ob mein Mangel an Begeisterung daran liegt, dass ich irgendwas nicht verstanden habe. Inzwischen glaube ich, dass diejenigen, die die Blockchain bei Energie so propagieren, entweder keine Ahnung von der Energiewirtschaft haben. Oder hier die Chance sehen, an den herkömmlichen Akteuren der E‑Wirtschaft vorbei neue Strukturen zu etablieren, also mehr so Stichwort Google Energy. Ich glaube, dass man erhebliche Änderungen am Rechtsrahmen braucht, zu denen vermutlich früher oder später die EU die Bundesrepublik zwingen wird, aber ich sehe keinerlei Vorteile für Verbraucher oder Umwelt.
Viele Grüße
Miriam Vollmer
Liebe Frau Vollmer,
Ich habe bei meinen zahlreichen Gesprächen noch keinen energiewirtschaftlich Versierten getroffen, der mir den gesamtheitlichen Vorteil erklären konnte. Stattdessen bekommt man zu hören man müsse den Rahmen verändern, um probieren zu können.
Wie bei meiner 2 jährigen Tochter. Die will gerne selber Auto fahren, kommt aber nicht an die Pedale. Stelzen baue ich ihr – aus naheliegenden Gründen – dennoch keine.
Das Thema Blockchain in der Energiewirtschaft erinnert zunehmend an andere Entwicklungen, die in Nischen Sinn machen, in der Masse aber keiner brauchte. Manchmal schafft man es sie dennoch sehr erfolgreich zu „platzieren“ wie bspw. Roche mit Vitamin C (https://www1.wdr.de/fernsehen/quarks/sendungen/vitamine-vitamincmangel100.amp). Manchmal stellt sich heraus, dass man das Produkt selber gar nicht gut genug kannte und nur an eine vermeintliche Wunderwirkung glaubte (https://de.m.wikipedia.org/wiki/Doramad).
Solange der Wirkung und Nutzen nicht belegt sind – und ich bezweifle dass das gelingt – sehe ich keine „Blockchain für die Massen“. Sie wird wieder in Nischen verschwinden.
Grüße Andreas Weber
Wieso die Blockchain überhaupt in Hinblick auf die Energiewirtschaft diskutiert wird, kann ich mir in erster Linie nur marktbezogen vorstellen. Ökologisch ergibt es keinen Sinn, und dezentral geht auch anders (dazu morgen). Meine Vermutung ist, dass Anbieter, die bisher noch nichts mit Energie zu tun haben, über dieses Trojanische Pferd auf den deutschen Markt zugreifen wollen.
Anmerkung: Ähnlich sehe ich es übrigens bei der neusten „Wunderwaffe“ names PPA (aber dazu schreiben Sie bestimmt bald auch was ?)
Grüße