Die zeitlich befristet belie­ferte Fußgängerzone

Fußgänger und Fahrrad­fahrer sind erfah­rungs­gemäß keine schlechten Kunden. Das liegt unter anderem daran, dass sie länger in Geschäfts­straßen verweilen als Menschen in Autos, die es häufig eilig haben und ohnehin eher nach freien Parkplätzen als nach Schau­fenstern schauen. Außerdem kauft es sich viel entspannter ein, wenn man beim Queren der Straße nicht ständig auf Kfz achten oder warten muss.

Zudem trägt zur entspannten Atmosphäre bei, wenn die Straße nicht durch Lärm oder Abgase belastet ist. Daher haben autofreien Innen­städte weiterhin Konjunktur, auch wenn die aktuelle schwarz-rote Berliner Regierung das Verkehrs­expe­riment in der Fried­rich­straße wieder rückgängig gemacht hat.

Aber was für Geschäfte sicher­ge­stellt werden muss, ist die Lieferung neuer Ware. Da sind dann doch Liefer­fahr­zeuge nötig. Dass zeitlich befris­teter Liefer­verkehr möglich sein soll, wird mitunter schon direkt in der Widmung einer Fußgän­gerzone berücksichtigt.

So war es etwa bei einer Fußgän­gerzone in Magdeburg, wo bereits in der straßen­recht­lichen Teilein­ziehung klar gestellt wurde, dass für ein Teilstück einer Straße Kraft­fahr­zeug­verkehr ausge­schlossen wird. Ausge­nommen wurde ausdrücklich „der zeitlich befristete Liefer- und Radfahrverkehr“.

Die Inhaberin einer Apotheke klagte gegen diese Verfügung, u.a. mit der Begründung, dass sie zu unbestimmt sei. Schließlich wurde eine konkrete zeitliche Bestimmung nicht angeordnet. Die Beklagte verwies jedoch auf die Möglichkeit, dass die offene zeitliche Bestimmung durch die Straßen­ver­kehrs­be­hörde durch zeitlich bestimmte Ausnah­me­re­ge­lungen konkre­ti­siert würde, namentlich im Sinne der bereits bisher bestehenden Regelung, die den Liefer­verkehr von 22 – 10 h zulasse.

Das Verwal­tungs­ge­richt Magdeburg gab der Klägerin zunächst recht. Durch die Offenheit der zeitlichen Einschränkung sei die Straßen­ver­kehrs­be­hörde entgegen ihrer Kompetenz zu plane­ri­schen Aufgaben ermächtigt. Denn sie könne dann entscheiden, die Straße entweder bloß eine halbe Stunde oder 23 h am Tag für den Liefer- und Fahrrad­verkehr zu öffnen.

Das OVG Sachsen-Anhalt hat die Entscheidung aufge­hoben und die Klage abgewiesen. Denn die Widmung, in der der Liefer­verkehr im Grundsatz zugelassen wird, sei an sich hinrei­chend bestimmt. Die Straßen­ver­kehrs­be­hörde dürfe den Widmungs­zweck, zugunsten des Anlie­ger­ge­brauchs Liefe­rungen zuzulassen, nicht dauerhaft einschränken. Daher komme eine sehr kurzzeitige zeitliche Ausnahme ohnehin nicht in Frage.

Aus Sicht des OVG wäre eine zeitliche Einschränkung aufgrund des Straßen­rechts (in Sachsen-Anhalt) nicht möglich. Das Straßen­recht kann aber, wie im zu entschei­denden Fall, die Grundlage für eine straßen­ver­kehrs­recht­liche Konkre­ti­sierung der Zeiten legen, in denen die Fußgän­gerzone vom Liefer- und Radverkehr befahren werden kann.

Die Entscheidung zeigt, dass straßen­recht­liche Teilein­zie­hungen Möglich­keiten für diffe­ren­zierte Ausnah­me­re­ge­lungen für Kfz offen lassen können. Dies ist aufschluss­reich, da die Abgrenzung zwischen straßen­recht­licher Widmung und straßen­ver­kehrs­recht­licher Regelung oft Schwie­rig­keiten bereitet. Durch die straßen­recht­liche Teilein­ziehung wird die Grundlage dafür geschaffen, dass die Straßen­ver­kehrs­be­hörde relativ flexibel und den örtlichen Gegen­heiten entspre­chend Ausnahme vom Kfz-Verbot zulassen kann. (Olaf Dilling)

2024-10-25T19:45:37+02:0025. Oktober 2024|Verkehr|

Verkehrs­recht: Der Poller als Rechtsproblem

Kürzlich haben wir von einem uns nicht näher bekannten, rechts­in­ter­es­sierten und durchaus sachkun­digen Bürger eine E‑Mail bekommen, die ausge­druckt etwa zwei DIN-A4 Seiten in Anspruch nehmen würde. Darin wurde detail­liert ausein­an­der­ge­setzt, welche Rechts­natur der gemeine Straßen­poller habe könnte. Da der Autor der E‑Mail sich selbst nicht ganz sicher war, kulmu­lierte das Schreiben in der Frage, was für eine Einschätzung wir dazu hätten.

Nun sind wir als Rechts­an­wälte nicht verpflichtet, umsonst Rechtsrat zu erteilen. Dennoch hat der Poller als Rechts­problem etwas reizvoll Anschau­liches. Außerdem hatten wir auch schon mal für einen Verband, der die Belange blinder und sehbe­hin­derter Menschen vertritt, ein Gutachten erstellt. Darin waren wir zu dem Schluss gekommen, dass Poller inzwi­schen nicht mehr als amtliche Verkehrs­ein­rich­tungen angesehen werden. Das war deshalb relevant, weil der Verband graue Poller zur besseren Sicht­barkeit rot-weiß markieren wollte. Im Verband kamen Bedenken auf, ob damit eine amtlichen Anordnung vorge­täuscht würde.

So richtig eindeutig ist die Frage der Amtlichkeit jedoch nicht. Denn die Verkehrs­ein­rich­tungen ergeben sich nach § 43 Abs. 3 Satz 1 StVO abschließend aus der Anlage 4. Dort wurden die Poller bei einer Reform des Straßen­ver­kehrs­rechts nicht mit aufge­nommen. Wider­sprüchlich ist jedoch, dass zugleich der „Sperr­pfosten“ nicht aus § 43 Abs. 1 Satz 1 StVO entfernt wurde. Offenbar handelt es sich um ein Redaktionsversehen.

Entspre­chend gespalten ist auch die Recht­spre­chung: So ging das Verwal­tungs­ge­richt Koblenz in einer Entscheidung von 2010 davon aus, dass Sperr­pfosten seit der Reform 2009 keine Verkehrs­ein­rich­tungen seien. Das Verwal­tungs­ge­richt Berlin ist dagegen erst kürzlich in einer Eilent­scheidung (Beschl. v. 14.12.2023, Az. VG 11 L 316/23) davon ausge­gangen, dass ein Poller als Verkehrs­ein­richtung nur beim Vorliegen einer Gefahr gemäß § 45 StVO aufge­stellt werden darf. Vertieft wird die entschei­dende Frage der Rechts­natur des Pollers in der Entscheidung nicht.

Insofern wartet hier noch ein Disser­ta­ti­ons­thema auf junge Juristen, die sich eine sehr eingrenzbare und konkrete Frage für ihre Doktor­arbeit wünschen. Vielleicht ließe sich die Arbeit ja auch noch auf die Rechts­natur der Brems­schwellen erweitern, die im englisch­spra­chigen Raum „sleeping policemen“ bezeichnet werden, als nicht­amt­liche Bezeichnung, versteht sich. (Olaf Dilling)

2024-04-04T02:00:00+02:004. April 2024|Verkehr, Verwaltungsrecht|

Schul­straßen: Von Klein an auf großem Fuß

Autofahren sei „Männer­sache“, hieß es in den 1970er Jahren, als ich selbst klein war. Insgesamt war eine aktive Rolle im Verkehr die Domäne Erwach­sener. Als Kinder bekamen wir „Verkehrs­er­ziehung“. Es gab neongelbe Mützen, die wir schon damals hässlich fanden. Und es gab ein Absperr­gitter vor der Schule und Schüler­lotsen: Wir mussten brav warten, bis Eltern und Lehrer gefahren waren. Als erwach­sener Mann habe ich nun immer noch kein eigenes Auto, konnte dafür aber im Auftrag von Kidical Mass Aktions­bündnis, dem VCD und dem Deutschen Kinder­hilfswerk ein Rechts­gut­achten schreiben: Über die Freigabe von „Schul­straßen“ für Kinder. Doch was ist das, eine Schul­straße? Wie lässt sie sich rechts­sicher begründen?

Schul­straßen wurden zunächst in Frank­reich, Öster­reich und Italien konzi­piert. Inzwi­schen ist die Idee auch in Deutschland angekommen. Es handelt sich um Straßen­ab­schnitte oder Straßen im Umfeld von Schulen, die zumindest zu bestimmten Zeiten ganz dem Fuß- und Fahrrad­verkehr gewidmet sind. In Öster­reich gibt es für Schul­straßen sogar ein offizi­elles Verkehrs­zeichen, nachdem 2022 eine neue Vorschrift, der § 76d in die Öster­rei­chische StVO aufge­nommen wurde.

Österreichisches Schulstraßen-Verkehrsschild

Öster­rei­chi­sches Verkehrs­zeichen Schulstraße

In Deutschland dagegen müssen die Verkehrs­be­hörden mit dem altbe­kannt-berüch­tigten einge­schränkten Möglich­keiten arbeiten, die das Straßen­recht und das Straßen­ver­kehrs­recht so zur Verfügung stellt. Es muss jedoch in einer Straße nicht immer  erst zu schweren Verkehrs­un­fällen gekommen sein, damit die Einrichtung einer Schul­straße möglich ist. Denn das Straßen­recht bietet einige Möglichkeiten.

Anders als das Straßen­ver­kehrs­recht ist das Straßen­recht Länder­sache. Während das Straßen­ver­kehrs­recht regelt, wie eine Straße genutzt wird, also mit welcher Geschwin­digkeit, mit welchen Vorrang­regeln usw., regelt das Straßen­recht, ob ein Teil des öffent­lichen Raums überhaupt als Straße für den Verkehr genutzt werden kann.
Diese Funkti­ons­zu­schreibung ist Inhalt der sogenannten Widmung. Das Straßen­recht kann die Straße auch nur für bestimmte Verkehrs­arten freigeben, etwa im Fall einer Fußgän­gerzone oder einer reinen Fahrrad­straße. Dies passiert in der Regel durch eine sogenannte Teileinziehung.

Für Straßen­ver­kehrs­recht und Straßen­recht gelten unter­schied­liche Voraus­set­zungen: Das Straßen­ver­kehrs­recht knüpft an eine konkrete und in der Regel überdurch­schnittlich wahrschein­liche Gefahr im Verkehr an. Typischer­weise wird eine Häufung von Verkehrs­un­fällen verlangt, die sich in der Statistik nieder­ge­schlagen hat: Für Kinder und ihre Eltern keine schöne Perspektive, dass erst etwas passiert sein muss.

Ganz zwingend ist das nicht. Denn eine verkehrs­recht­liche Gefahr kann auch in der Behin­derung der Leich­tigkeit des Verkehrs bestehen. Das wird bisher zumindest dann anerkannt, wenn es um Kraft­fahr­zeug­verkehr geht. In der StVO steht das so nicht, da ist allgemein von Verkehr die Rede.

Insofern könnte man auch argumen­tieren, dass Kinder auch Rechte auf Mobilität und Leich­tigkeit des von ihnen beanspruchten Fuß- und Radver­kehrs haben. Bisher findet diese Argumen­tation jedoch nur selten Resonanz bei Behörden und Gerichten.
Als Alter­native bleibt das Straßen­recht. Mit einer Teilein­ziehung kann eine Straße nicht nur dauerhaft zu einer Fußgän­gerzone oder Fahrrad­straße gemacht werden. Diese straßen­recht­liche teilweise Entwidmung hat gegenüber straßen­ver­kehrs­recht­lichen Anord­nungen den Vorteil, dass keine Gefah­renlage begründet werden muss. So kann etwa die Einrichtung einer Fußgän­gerzone durch eine Teilein­ziehung mit überwie­genden Gründen des öffent­lichen Wohls begründet werden.

Grund des öffent­lichen Wohls kann vieles sein: Neben genuin verkehrs­recht­lichen Belan-gen, etwa die Sicherheit und Leich­tigkeit eines kindge­rechten Verkehrs auch gesund­heit­liche, psychische und soziale Aspekte: Denn der eigen­ständige Weg zur Schule trägt zur motori­schen Entwicklung bei, gibt den Kindern ein Gefühl der Selbst­wirk­samkeit und – wenn sie mit Klassenkamerad*innen unterwegs sind, der gemeinsame Verantwortung.

Durch die Teilein­ziehung kann eine Straße auch zeitlich limitiert auf bestimmte Nutzungs­arten beschränkt werden: Konkret gesagt kann die Straße zu den Hol- und Bring­zeiten der Schüler zu Schul­anfang und ‑ende für den Fuß- und Radverkehr teilein­ge­zogen werden. Dass diese zeitliche beschränkte Sperrung möglich ist, geht aus Art. 8 Abs. 1 Satz 2 des Bayri­schen Straßen- und Wegege­setzes hervor, wo von der „nach-träglichen Beschränkung der Widmung auf bestimmte „Benut­zungs­arten, ‑zwecken und ‑zeiten“ die Rede ist. Alles andere wäre auch wider­sprüchlich, denn wenn eine dauer­hafte Sperrung für Kfz rechtlich zulässig ist, dann dürfte eine in die Rechte der Autofahrer weniger eingrei­fende zeitlich begrenzte Regelung auch erlaubt sein. (Olaf Dilling)

2024-03-27T19:11:10+01:0027. März 2024|Verkehr, Verwaltungsrecht|