Letzter Stopp vor der Aufhebung der gemein­samen Gebotszone?

Der Missstand ist bekannt: Die Syste­matik der Netzent­gelte belohnt die Regionen, die den Ausbau der Erneu­er­baren verweigern. Die Anreiz­wirkung ist fatal. Am 1.12.2023 hat die Bundes­netz­agentur (BNetzA) deswegen ein Eckpunk­te­papier zur besseren Verteilung von Ausbau­kosten für erneu­erbare Strom­erzeugung vorgelegt. Bis zum 31.1.2024 läuft nun eine öffent­liche Konsul­tation.

Die Mechanik des Problems: Wenn regional Windkraft- und PV-Freiflä­chen­an­lagen zugebaut werden, muss mehr Strom abtrans­por­tiert werden. Die Ausbau­kosten für die Kapazi­täts­er­wei­terung der Netze unterhalb der Höchst­span­nungs­ebene wachsen, auch die Aufwen­dungen für Digita­li­sierung nehmen zu. Die Erzeu­gungs­ka­pa­zi­täten besonders in Norddeutschland übersteigen die Entnah­melast und erfordern Rückspeisung bzw. Weiter­transport von Energie in andere Netzre­gionen. Die Netzent­gelte sind aber an die Entnah­me­stelle geknüpft (§ 17 StromNEV). Je weniger Nutzer den höheren Netzent­gelten gegen­über­stehen, desto spürbarer sind letztlich auch höhere Strom­kosten in den betrof­fenen Netzgebieten.

Um Abhilfe zu schaffen, will die BNetzA nun die – frisch am 10.11.2023 im Rahmen der EnWG-Novelle beschlossene –  Option aus § 21 Abs. 3 S. 4 Nr. 3 g) EnWG nutzen. Hiernach kann die BNetzA Regelungen zur Ermittlung beson­derer Kosten­be­las­tungen einzelner Netzbe­treiber oder einer Gruppe von Netzbe­treibern im Zusam­menhang mit dem Ausbau der Strom­erzeugung aus erneu­er­baren Energien festlegen.

Konkret schlägt die Behörde ein dreistu­figes Modell vor, das den Mecha­nismus der Umlage in § 19 StromNEV nutzt: Zuerst wird eine besondere Kosten­be­lastung des Netzbe­treibers ermittelt. Ob eine solche „besondere“ Belastung soll vorliegen, wenn ein bestimmter Schwel­lenwert überschritten wird – für diesen Abgleich will die BNetzA eine Kennzahl auf Grundlage der ans Netz angeschlos­senen, erneu­er­baren Erzeu­gungs­leistung bilden. Im zweiten Schritt könnte die so ermit­telte Mehrbe­lastung bundesweit verteilt werden – und in den betrof­fenen Regionen drittens die Netzent­gelte sinken. Die finan­zi­ellen Auswir­kungen wären beträchtlich. Aktuell wären 17 Netzbe­treiber (mit 10,5 Mio. versorgten Netznutzern) in Zustän­digkeit der BNetzA berechtigt, ihre Mehrkosten zu wälzen. Nach den – vorläu­figen und mit zahlreichen ifs and thens verse­henen – Berech­nungen der BNetzA könnten einzelne Player mit einem Rückgang der Entgelte um bis zu 25% rechnen. Überwiegend würde eine Anglei­chung an den aktuellen Bundes­durch­schnitt der Netzent­gelte erfolgen.

Festgelegt werden soll das neue Wälzungs­modell im dritten Quartal 2024. In Kraft treten könnte es zum 1.1.2025. Das könnte ein letzter Versuch sein, die gemeinsame Gebotszone in Deutschland aufrecht­zu­er­halten und nicht das Engpass­di­lemma zu wieder­holen, das 2019 zur Auflösung der gemein­samen Gebotszone mit Öster­reich geführt hatte (Dr. Miriam Vollmer/Friederike Pfeifer).

2023-12-06T21:50:23+01:006. Dezember 2023|BNetzA, Energiepolitik|

Wem steht das Sonder­netz­entgelt zu? Zu LG FFO 11 O 290/20

Wer dann Strom bezieht, wenn sonst kaum jemand Strom braucht, entlastet das Stromnetz und wird deswegen mit abgesenkten Netzent­gelten belohnt. Dies ergibt sich aus § 19 Abs. 2 S. 1 StromNEV (hierzu auch hier). Dieser Anspruch ist aller­dings kein Automa­tismus, sondern die Betreiber haben dem Letzt­ver­braucher ein indivi­du­elles Netzentgelt anzubieten. Es wird also ein Vertrag geschlossen, der bei der Bundes­netz­agentur anzuzeigen ist.

Nun gibt es regel­mäßig einen zweiten Vertrag, den der Letzt­ver­braucher schließt, um mit Strom beliefert zu werden, nämlich seinen Strom­lie­fer­vertrag mit dem Versorger seiner Wahl. In dem Fall, den das Landge­richt Frankfurt (Oder) am 29. Oktober 2010 (11 O 290/20) zu entscheiden hatte, umfasste dieser Vertrag aber nicht nur den Verkauf von Strom, sondern auch dessen Lieferung. Der Letzt­ver­braucher bezahlte den Strom­transport deswegen zunächst in voller Höhe.

Dieses Geld blieb nicht beim Strom­ver­sorger, sondern wurde von diesem über ein verbun­denes Unter­nehmen an den Netzbe­treiber weiter­ge­leitet. Dieser hatte zum Jahresende also zuviel Geld: Der Letzt­ver­braucher hatte die veröf­fent­lichten Netzent­gelte bezahlt, schuldete eigentlich weniger und wollte die Differenz natürlich zurück.

In der Zwischenzeit war aber der Versorger insolvent geworden und das verbundene Unter­nehmen, über das die Netzent­gelte geflossen waren, auch. Für Zahlungs­ströme von diesem Unter­nehmen an Dritte galt also die Insol­venz­ordnung. Damit wäre wohl nur ein Bruchteil des überzahlten Geldes beim Letzver­braucher angekommen. Das sah der Letzt­ver­braucher nicht ein und zog in Frankfurt an der Oder vor Gericht.

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Das LG Frankfurt O. gab dem Letzt­ver­braucher recht: Es handelt sich nämlich gar nicht um einen Anspruch, der über das verbundene Unter­nehmen des Versorgers abgewi­ckelt wird und auf diesem Umweg in die Insol­venz­masse fällt. Denn § 19 Abs. 2 S. 1 StromNEV sagt sehr klar, dass dem Letzt­ver­braucher das abgesenkte Netzentgelt zusteht. Er hat also auch dann, wenn der Zahlungs­strom nicht direkt vom Verbraucher an den Netzbe­treiber geht, einen Rückfor­de­rungs­an­spruch gegen diesen. Der insol­vente Versorger ist also nur der „Postbote“, aber hat keinen eigen­stän­digen Anspruch gegen den Netzbe­treiber, der vor Weiter­leitung in die Masse fallen kann (Miriam Vollmer).

2021-12-14T23:26:12+01:0014. Dezember 2021|Rechtsprechung, Strom|

Gestoh­lener Strom und Netzent­gelte: Zu KG Berlin, 12.7.2021 (2 U 48/18)

Dreiper­so­nen­ver­hält­nisse sind schwierig, sogar im Energie­recht: Wenn Energie­ver­sorger (EVU) und Netzbe­trei­berin einen Liefe­ran­ten­rah­men­vertrag schließen, und dann das EVU einen Strom­lie­fer­vertrag mit einem Endkunden: Wer muss die Netzent­gelte zahlen, wenn der Endkunde heimlich am Strom­zähler vorbei Strom­mengen abzweigt, um eine Canna­bis­plantage zu betreiben?

Was klingt wie eine besonders vertrackt ausge­dachte Examens­aufgabe für Nachwuchs­ju­risten, hat sich nicht nur tatsächlich ereignet, es wurde auch vom Kammer­ge­richt (KG) Berlin am 12.07.2021 entschieden (2 U 48/18). Dieses urteilte, anders als das erstin­stanz­liche Landge­richt (LG) Berlin, zugunsten des Netzbe­treibers, so dass das EVU nun die auf die gestoh­lenen Strom­mengen entfal­lenden Netzent­gelte verlangen kann.

Das KG stützte seine Entscheidung zunächst auf den Liefe­ran­ten­rah­men­vertrag. Dieser enthielt zwar keine Passage, nach der ausdrücklich auch für gestoh­lenen Strom Netzent­gelte fließen sollten, aber dem KG reichte die Regelung, dass Netzent­gelte fließen sollten für alle Mengen, für die der Netzbe­treiber durch Gewährung des Netzzu­gangs die Belie­ferung erlaubt. Dies gilt für alle Strom­mengen, die ein Kunde überhaupt aus dem Netz der allge­meinen Versorgung bezieht, also auch am Zähler vorbei bezogenen Strom. Weil der Kunde mit der Cannabis-Plantage und das EVU einen All-Inclusive-Vertrag abgeschlossen hatten, sei auch der gesamte Strom als geliefert anzusehen, auch der gestohlene.

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Das EVU hatte sich mit einer Widerlage darauf berufen, dass der Netzbe­treiber einmal vor Ort war und den Zähler ausge­tauscht hatte. Die Monteure hätte bemerken müssen, was in der Wohnung des Kunden vor sich geht. Dies aber überzeugte das KG nicht, es sei rein spkulativ.

Auch in Hinblick auf die Höhe der geltend gemachten Forderung überzeugte der Netzbe­treiber den Senat, denn mangels gemes­senem Strom­bezug musste geschäzt werden. Das EVU konnte also gegenüber dem Planta­gen­be­sitzer auf Basis der Schätzung abrechnen, die berech­neten Netzent­gelte wären dann weiter­zu­leiten. Wegen dieser Kette nahm das KG an, dass im Verhältnis von Netzbe­treiber und EVU letzterer hätte beweisen müssen, dass die gefor­derte Summe unzutreffend wäre, denn ansonsten hätte ja die paradoxe Situation entstehen können, dass das EVU gegenüber dem Kunden mehr hätte schätzen können als ihm selbst berechnet hätte werden können. Dann hätte das EVU an den durch den Diebstahl entstan­denen Unsicher­heiten sogar noch verdient. Nach Ansicht des KG war der Vortrag des EVU aber auch gar nicht geeignet, die Schätzung zu widerlegen.

Was bedeutet das nun für die Praxis? Vielleicht nur dies: Beim normalen All-Inclusive-Vertrag fallen auch für vom Kunden gestohlene Strom­mengen Netzent­gelte an. Und eine plausible Schätzung des Netzbe­treibers muss vom EVU schlüssig widerlegt werden, was angesichts des (auch hier) vorher­sehbar unkoope­ra­tiven Strom­diebs regel­mäßig schwierig werden dürfte (Miriam Vollmer).

2021-08-23T22:41:59+02:0023. August 2021|Strom, Vertrieb|