Grundkurs Energie: Was ist eigentlich der Xgen?

Die Bundes­netz­agentur (BNetzA) habe, so ist es der Fachpresse zu entnehmen, den generellen sekto­ralen Produk­ti­vi­täts­faktor, der den schönen Namen Xgen trägt, auf 0,9 % festgelegt. Aber was bedeutet das eigentlich?

Netze sind natür­liche Monopole. D. h.: Nicht jeder, der Strom verkauft, vergräbt vor Ort eine eigene Leitungs­in­fra­struktur. Statt­dessen vergeben Gemeinden Konzes­sionen an Netzbe­treiber, die auf Grundlage dieser Konzession das öffent­liche Straßenland nutzen dürfen, um dort Netze zu betreiben. Sobald die Konzession einmal vergeben ist, gibt es also keinen Wettbewerb der Netzbe­treiber mehr.

Um zu verhindern, dass der einzelne Netzbe­treiber diese Position schamlos ausnutzt, gibt es ein umfas­sendes Regelwerk, das sowohl den Zugang zum Netz, als auch die Höhe der Netzent­gelte regelt. Netzent­gelte kann man sich wie Brief­porto vorstellen: Der Netzbe­treiber trans­por­tiert den Strom, den ein Energie­ver­sorger an seinen Kunden liefert, und er bekommt dafür Geld, nämlich das Netzentgelt.

Wie hoch dieses Netzentgelt ausfallen darf, ist in der Anreiz­re­gu­lie­rungs­ver­ordnung (ARegV) vorge­geben. Unter anderem steht dort festge­schrieben, dass es eine Erlös­ober­grenze für die Netzbe­treiber gibt, die aus einem Basisjahr abgeleitet wird und sodann fortge­schrieben wird, weil die Verhält­nisse sich ja ändern. Ganz grob gesagt: wenn Netznutzung generell teurer wird, schwingen die Netzent­gelte mit.

Hier kommt nun der Faktor Xgen ins Spiel. Dieser Faktor dient der Korrektur des Verbrau­cher­preis­index VPI. Denn der Verbrau­cher­preis­index spiegelt alle Preise und nicht nur die des Netzsektors. Um vom VPI auf die Preis­ent­wicklung im Netzsektor zukommen, wird der Xgen genutzt. Es handelt sich um die Differenz von netzwirt­schaft­lichen und gesamt­wirt­schaft­lichen Produk­ti­vi­täts­fort­schritt und Einstands­preis Entwicklung.

Der Faktor wird nach zwei Verfahren berechnet, den sogenannten Törnqvist ‑Index Und die Malmquist­me­thode. Zuständig ist die BNetzA, die zur Ermittlung des Xgen, der für die dritte Regulie­rungs­pe­riode von 2019–2023 gelten soll, eine Konsul­tation und eine Nachkon­sul­tation durch­ge­führt hat.

Warum aber sind die Netzbe­treiber ausweislich entschie­dener Stellung­nahmen ihrer Verbände mit dem Xgen denn nun unzufrieden? Die nun festge­legte 0,9 % bedeuten für den Netzbe­treiber echte Minder­ein­nahmen. Jammern hier also Unter­nehmen aus der gesicherten Position des Monopo­listen nach mehr Geld der Verbraucher? Eine solche Perspektive würde der Verant­wortung der Netzbe­treiber nicht gerecht. Die Energie­wende ist ein teures Projekt. Der gleich­zeitige Ausstieg aus der Nutzung atomarer Energie und fossiler Energie­träger bedeutet nämlich nicht nur, alte Kraft­werke abzuschalten und statt­dessen andere, neue Erzeu­gungs­an­lagen zu errichten. Die Nutzung von Sonne und Wind, den wichtigsten Quellen erneu­erbare Energie, folgt völlig anderen Gesetzen als der Betrieb eines Kohle­kraft­werks. Wie viel Kohle man in die Brenn­kammern führt, kann man steuern. Wann die Sonne scheint, hat der Mensch nicht im Griff. Damit rücken Speicher­tech­no­logien, die Sektor­kopplung, also die Nutzung von Strom in anderen Sektoren wie Verkehr oder Heizung, in einer ganz anderen Weise in den Vorder­grund. Man braucht in Zukunft also andere und anders betriebene Netze. 

Dieser Umbau der Netzland­schaft wird viel Geld kosten. Der Netzausbau soll dafür beschleunigt werden. Ist es unter diesen Vorzeichen wirklich sinnvoll, die Netzbe­treiber wirtschaftlich zu belasten? Hier ist ein Ausgleich zwischen den kurzfris­tigen Verbrau­cher­inter­essen und dem langfris­tigen Ziel einer CO2-freien Strom­erzeugung zu finden. Dass das nicht leicht ist, versteht sich von selbst.

2018-12-07T09:39:24+01:007. Dezember 2018|Erneuerbare Energien, Grundkurs Energie, Strom|

Indivi­duelle Netzent­gelte: BNetzA veröf­fent­licht neue Formulare

Meinen Studenten an der Uni Bielefeld erkläre ich die indivi­du­ellen Netzent­gelte mit meiner imagi­nären Flugge­sell­schaft, der Air Vollmer. Diese trans­por­tiert Passa­giere von A‑Stadt nach B‑City. Norma­ler­weise zahlen alle Passa­giere 200 EUR pro Strecke. Aber manche Passa­giere verpflichten sich vertraglich, ausschließlich morgens um drei zu fliegen, wenn sonst keiner reist. Oder sie fliegen jeden Tag verlässlich morgens und abends. Dass es diese Passa­giere gibt, ist für die anderen Reisenden ein Riesen­vorteil. Denn die auf mein Flugzeug, meine Zentrale und meinen Hangar pro Strecke entfal­lenden Kosten sinken natürlich, wenn die Infra­struktur gleich­mä­ßiger genutzt wird. Und außerdem kann ich viel besser planen, wenn ich von einer gewissen Grund­aus­lastung ausgehen kann, was meine relativen Kosten gleich­falls senkt. Wären diese Passa­giere nicht, meine anderen Fluggäste müssten mindestens 220 EUR zahlen, weil meine Fixkosten sich nicht so gut verteilen würden. Deswegen kostet ein Flug nachts um drei nur 120 EUR und für meine Dauer­kunden gibt es einen Rabatt.

Reist“ Strom durch die Strom­netze ist dieser Effekt sogar noch größer. Denn mein Flugzeug könnte ja auch einfach am Boden bleiben. Strom­netze aller­dings müssen eine immer gleich­blei­bende Spannung aufweisen, ansonsten bricht das Netz zusammen und der Strom fällt aus. Derjenige, der zu Zeiten Strom entnimmt, wenn nur wenige Strom beziehen, ist also für das Stromnetz sogar noch wertvoller als mein Flugpas­sagier morgens um drei. Und und weil für einen sicheren Netzbe­trieb immer eine Mindest­anzahl an Regel­kraft­werken Strom liefern muss, ist der sog. “Bandlast­kunde”,  der rund um die Uhr dafür sorgt, dass dieser Strom auch abgenommen wird, ebenfalls noch wichtiger für den Netzbe­treiber als mein imagi­närer täglicher Flugpas­sagier. Unter diese Kategorie fallen vor allem manche Indus­trien, die für ihre Prozesse Strom als Betriebs­mittel brauchen, etwa Alumi­ni­um­hütten oder Chlorelektrolysen.

Diesen Beitrag für die System­sta­bi­lität durch besondere Netznutzer erkennt § 19 Abs. 2 Strom­netz­ent­gelt­ver­ordnung (StromNEV) an. Dieser ordnet an, dass sowohl der atypische Bezug als auch der Bandlast­bezug verrin­gerte Netzent­gelte zahlen dürfen. Danach liegt ein atypi­scher Strom­bezug vor, wenn es aufgrund vorlie­gender oder prognos­ti­zierter Verbrauchs­daten oder auf Grund techni­scher oder vertrag­licher Gegeben­heiten offen­sichtlich ist, dass der Höchst­last­beitrag eines Letzt­ver­brau­chers vorher­sehbar erheblich von der zeitgleichen Jahres­höchstlast aller Entnahmen aus dieser Netz- oder Umspann­ebene abweicht. Ein Bandlast­kunde ist dagegen ein Kunde, der mehr als 10 GWh über mindestens 7.000 Stunden im Jahr bezieht. Da ein Jahr 8.760 Stunden hat, ist ein Bandlast­kunde quasi immer am Netz.

Die Details und insbe­sondere die Berechnung des beson­deres Netznut­zungs­ent­gelts hat die Bundes­netz­agentur (BNetzA) geregelt. Diese – genauer gesagt: deren BK 4 – ist für die indivi­du­ellen Netznut­zungs­ent­gelte zuständig. Netzbe­treiber und Letzt­ver­braucher schließen also einen regulären privat­recht­lichen Vertrag, aber die Behörde wacht darüber, dass die Voraus­set­zungen für ein Sonder­entgelt gegeben sind und die Höhe stimmt. Damit gewähr­leistet die BNetzA, dass Energie­wirt­schaft und Industrie nicht zulasten aller anderen Verbraucher besonders niedrige Entgelte vereinbaren.

Auf ihrer Homepage hat die BK 4 umfang­reiche Unter­lagen zum Thema bereit­ge­stellt, unter anderem ein Berech­nungstool für das indivi­duelle Netzentgelt. Hier finden sich auch praktische Handrei­chungen. Hilfreich für die Praxis ist insbe­sondere ein Merkblatt mit allge­meinen Infor­ma­tionen. Die BNetzA hat auch eine Muster­ver­ein­barung für die Abrede zwischen Netzbe­treiber und Letzt­ver­braucher erstellt. Anders als viele glauben, können nicht nur Großun­ter­nehmen über besondere Netzent­gelte nachdenken. Auch mancher Mittel­ständler – zB Bäcke­reien – kann seine Netznutzung so organi­sieren, dass er die Hochlast­zeit­fenster seines Netzbe­treibers in relevantem Maße vermeidet. Diese sind im Internet publi­ziert. Es lohnt sich also in vielen Fällen durchaus, das Bezugs­ver­halten zu durch­leuchten und auf den Netzbe­treiber zuzugehen, dem es im Übrigen nicht freisteht, ob er bei Bestehen der Geneh­mi­gungs­vor­aus­set­zungen ein indivi­du­elles Netzentgelt anbietet oder nicht. Hierauf besteht ein Anspruch des Letztverbrauchers.

Aller­dings ist eine Anzeige nicht rund ums Jahr möglich. Es gilt eine Frist zum 30.09. Wer zu spät oder mit unvoll­stän­digen Angaben kommt, muss ein Jahr warten. Für viele Unter­nehmen, die sehr, sehr viel Strom beziehen, wäre das ein Desaster: Ihr Strom würde sich so verteuern, dass sie in Deutschland nicht weiter­pro­du­zieren könnten.

Formulare für die Anzeigen für beide Formen der indivi­du­ellen Netznutzung gibt es ebenfalls auf der Seite der BK 4 der BNetzA. Soeben hat die Behörde die aktuellen Anzei­ge­for­mulare für das Jahr 2018 bereit­ge­stellt. Für Bandlast­kunden finden Sie sie hier. Für die Fälle der atypi­schen Netznutzung gilt dieses Anzei­ge­for­mular.

2018-03-17T17:35:44+01:0016. März 2018|Strom|