Kein „Parkverbot“ für russi­schen Panzer

Unter den Linden wird demnächst voraus­sichtlich ein aufse­hen­er­re­gendes Fahrzeug abgestellt. Auf einem gesperrten Teilstück der querenden Schadow­straße schräg gegenüber der Botschaft der Russi­schen Konför­de­ration soll ein zerschos­sener Panzer aus dem Ukraine-Krieg aufge­stellt werden, ein russi­scher, vermutlich mit dem aufge­malten ‚Z‘. Für die russi­schen Diplo­maten ist das wohl eine maximale Provo­kation, aber das ist durchaus gewollt, jeden­falls geht es den Initia­tioren der Aktion darum, dem Überfall auf die Ukraine etwas entgegen zu setzen.

So ein Panzer ist – anders als die sogenannten „Stadt­panzer“ – nicht für den Straßen­verkehr in Deutschland zugelassen und, weil es ja ein Wrack sein soll, auch nicht betriebs­bereit. Daher lässt er sich nicht einfach nach § 12 StVO am Fahrbahnrand parken, schon gar nicht Unter den Linden. Also musste eine straßen­ver­kehrs­recht­liche Ausnah­me­ge­neh­migung her. Und genau da hat es zunächst gehakt, denn zuständig ist das Bezirksamt Mitte und das war von der Idee gar nicht begeistert: In dem Panzer seien mutmaßlich Menschen gestorben, so dass dessen Ausstellung unange­messen sei, zudem könnten Flücht­linge aus Kriegs­ge­bieten retrau­ma­ti­siert werden, überdies seien durch die zu erwar­tende Provo­kation außen­po­li­tische Inter­essen Deutsch­lands betroffen. Der Panzer sei schließlich keine Kunst und könne auch durch Menschen­an­samm­lungen zu einer Behin­derung des Fahrzeug- und Fußgän­ger­ver­kehrs führen.

Das Verwal­tungs­ge­richt, das im Eilver­fahren zu entscheiden hatte, hat dieser Blumen­strauß an Gründen nicht recht überzeugt. Jeden­falls würden der Ablehnung der Ausnah­me­ge­neh­migung keine eigentlich straßen­ver­kehrs­rechtlich relevanten Gründe entge­gen­stehen. Der Straßen­ab­schnitt, auf den der Panzer abgestellt werden könne, ist nämlich aus Sicher­heits­gründen ohnehin für den Fahrzeug­verkehr gesperrt. Und was die Provo­kation angehe, sei die Aktion als Meinungs­kundgabe von der grund­ge­setzlich geschützten Meinungs­freiheit gedeckt (Olaf Dilling).

2022-10-12T20:59:47+02:0012. Oktober 2022|Rechtsprechung, Verkehr, Verwaltungsrecht|

Twitters heimliche Weltherrschaft

Trumps politi­sches Schicksal war von Anfang an eng mit dem sozialen Netzwerk Twitter verknüpft. Immerhin entwi­ckelte er einen Regie­rungsstil, der weniger von Sacharbeit mit adminis­tra­tiven Stäben als von Allein­gängen in direkter Ansprache „des Volkes“ geprägt war. Oft, heißt es, hätten seine Minister zuerst über Twitter über Änderungen des Regie­rungs­kurses erfahren. In gewisser Weise ist es insofern folge­richtig, dass auch am Ende seiner Amtszeit sein Schicksal endgültig durch Twitter besiegelt zu werden schien. Denn ebenso wie fast alle großen sozialen Netzwerke sperrte Twitter seinen Account.

Es ist eigentlich kein Wunder, dass das in der Öffent­lichkeit Diskus­sionen über die Macht und die recht­liche Diszi­pli­nierung sozialer Netzwerke ausgelöst hat. Ganz besonders heftig wurde – wie sollte es anders sein – wieder bei Twitter disku­tiert. Nach dem Sturm aufs Capitol kam der nächste Streit auf die Tages­ordnung, wobei dem Ex-Präsi­denten diesmal mehr Sympa­thien entgegen gebracht wurden. Jedenfall sei es, so eine verbreitete Auffassung, nicht Sache sozialer Netzwerke, einen Präsi­denten zu entmachten. Auch die Bundes­kanz­lerin äußerte sich zu dem Fall. Ihrer Meinung nach habe Twitter mit der Sperre in das Grund­recht auf Meinungs­freiheit eingegriffen.

Bei diesen Worten müssen studierte Juristen stutzen. Denn eine Binsen­weisheit des öffent­lichen Rechts ist, dass Grund­rechte den Bürger oder allgemein private Akteure, also auch Unter­nehmen oder zivil­ge­sell­schaft­liche Organi­sa­tionen vor dem Staat schützen. Nicht umgekehrt. Und bekanntlich handelt es sich bei Twitter letztlich um ein Privat­un­ter­nehmen. Wohin­gegen Donald Trump, zumindest zum Zeitpunkt der Sperre noch, bei Twitter als höchster Reprä­sentant der Verei­nigten Staaten auftrat. Kann ein Privat­un­ter­nehmen den Präsi­denten in seiner Meinungs­freiheit verletzen? Für Juristen verkehrte Welt.

Anderer­seits ist die Welt auch eine andere als im 19. Jahrhundert, als sich die Grund­rechte weltweit, zumindest dem Anspruch nach, durch­setzten. Denn im 19. und Anfang des 20. Jahrhun­derts waren öffent­liche Infra­struk­turen zu ganz wesent­lichen Teilen in den Händen des Staates. Statt zu twittern, wurden Briefe oder Zeitungs­ar­tikel geschrieben, die im schlimmsten Fall einem Zensor vorgelegt werden mussten und im besten Fall von einer Kutsche mit wackeren Pferdchen befördert wurden. Und vermutlich war der Kutscher ein Postbe­amter. Wenn nun soziale Netzwerke wie Twitter heute ähnliche Funktionen erfüllen, wie früher die staat­liche Post, dann muss durchaus drüber nachge­dacht werden, ob für die Netzwerke nicht auch Grund­rechte gelten. Juristen behelfen sich in diesen Fällen häufig mit der Figur der mittel­baren Dritt­wirkung: Gemeint ist, dass Private zwar nicht direkt an Grund­rechte gebunden sind. Aber die Grund­rechte über Ausle­gungs­spiel­räume in Gesetzen dennoch in die Rechts­ver­hält­nisse zwischen Bürger und Infra­struk­tur­un­ter­nehmen einfließen.

Nun, das erklärt, warum Twitter in die Meinungs­freiheit eingreifen kann. Aber wieso ausge­rechnet in die „Meinungs­freiheit“ des gewählten Präsi­denten, der ja keineswegs nur in seiner Eigen­schaft als Privatmann Katzen­videos gepostet hat (er hat übrigens auch weder Hund noch Katze). Anders gefragt: Wieso sollte sich ein amtie­render Präsident auf die Meinungs­freiheit berufen können, wenn er dazu aufruft, die Wahl seines Nachfolgers mit Gewalt zu sabotieren? Dies bleibt in der bishe­rigen Diskussion häufig unterbelichtet.

Genauso übrigens wie das Argument der Meinungs­freiheit lange Zeit kaum eine Rolle spielte, wenn es darum ging, Hassbot­schaften oder Urheber­rechts­ver­let­zungen zu verfolgen – und die Durch­setzung geltenden Rechts ziemlich selbst­ver­ständlich auch von sozialen Netzwerken zu verlangen. Und wieso auch: Meinungs­freiheit findet da ihre Grenzen, wo durch Äußerungen allge­meine Gesetze verletzt werden. Und seien es die Äußerungen eines amtie­renden Präsi­denten. Denn, wie es in der Decla­ration of Independece von 1776 steht: „all men are created equal“ (Olaf Dilling).

 

2021-01-21T15:27:50+01:0020. Januar 2021|Allgemein, Digitales|

Unfall an der Schranken-Schranke

Frau Kramp-Karren­bauer hat sich geärgert: Der Aufruf von 70 Youtubern sei Anlass für eine Diskussion, welche offline geltenden Regeln auch online angewandt werden müssen.

Festzu­halten ist dabei zunächst: Aktuell gibt es kein Gesetz, das es verbieten würde, im Wahlkampf seine Meinung zu publi­zieren. Eine (oder 70) Zeitungs­re­dak­tionen wären also frei darin, zum Sturz der Regierung aufzu­rufen. Zeitungen haben sich zwar selbst einen Presse­kodex auferlegt, aber verbindlich ist der nicht und er beinhaltet auch kein Neutra­li­täts­gebot. Für den Rundfunk gilt zwar laut § 7 Abs. 9 Rundfunk­staats­vertrag ein politi­sches Werbe­verbot, aber der RStV verbietet keine Wahl- oder eben nicht Wahlaufrufe, sondern eben nur „Werbung“.

Aber was nicht ist, könnte ja noch werden. Wäre eine Regulierung, wie Frau Kramp-Karren­bauer sie angedeutet hat, also erlaubt? Werfen wir einen Blick ins Grundgesetz:

Generell gilt für alle Meinungs­äu­ße­rungen Art. 5 Abs. 1 GG. Dieses Grund­recht ist außer­or­dentlich kompri­miert, denn es enthält gleich fünf verschiedene Rechte: Die Meinungs- Informations‑, Presse‑, Rundfunk- und Filmfreiheit. Für alle gilt: Sie werden nicht schran­kenlos gewährt. Sondern können einge­schränkt werden. Eine Zensur – also eine Kontrolle vor Veröf­fent­li­chung – ist dabei zwar nicht erlaubt (Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG). Aber es gilt Art. 5 Abs. 2 GG, der lautet:

Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allge­meinen Gesetze, den gesetz­lichen Bestim­mungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persön­lichen Ehre.“

Allge­meine Gesetze klingt erst mal gut, wenn man sich von Leuten verfolgt wähnt, deren Meinung gerade darin besteht, man mache seinen Job nicht so, wie es die Grund­rechts­träger wollen. Ein allge­meines Gesetz könnte der Gesetz­geber ja einfach erlassen. Es könnte z. B. lauten: „In den letzten vier Wochen vor Wochen vor bundes­weiten Wahlen dürfen nur ausge­wogene Meinungen publi­ziert werden.“.

Das wäre zwar ein allge­meines Gesetz, das allein nach dem oberfläch­lichen Wortlaut der Norm Art. 5 Abs. 1 GG einschränken könnte. Aber wäre es auch verfas­sungs­konform oder hebt das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt eine solche Regelung stracks wieder auf? Hier kommen wir auf einen Begriff, wie sich ihn nur Juristen ausdenken können: Die Schranken-Schranke. In der Langfassung: Auch die Beschränkung des Grund­rechts selbst muss mit dem Grund­recht vereinbar sein. Das ist insbe­sondere dann der Fall, wenn eine Regelung einer­seits das in Art. 19 Abs. 2 GG hinter­legte Verbot nicht verletzt, Grund­rechte „in ihrem Wesens­gehalt“ anzutasten. Und anderer­seits muss die Schran­ken­be­stimmung verhält­nis­mäßig sein.

Ein Gebot, im Wahlkampf nur ausge­wogene Meinungen zu veröf­fent­lichen, dürften beide angespro­chene Punkte verletzen. Schließlich gehört es zum Kern von Art. 5 Abs. 1 GG, dass man die Regierung ablehnen und zu ihrer Abwahl aufrufen darf. Und ist das wirklich – wie es das Verhält­nis­mä­ßig­keits­gebot fordert – geeignet, erfor­derlich und angemessen, um den demokra­ti­schen Prozess der Willens­bildung nicht zu stören, wie Frau Kramp-Karren­bauer es angedeutet hat? Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Es ist gerade Teil des demokra­ti­schen Willens­bil­dungs­pro­zesses, dass Leute laut und deutlich ihre Meinung über Politiker und Parteien sagen. Wie das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt regel­mäßig unter­streicht: Die Meinungs­freiheit – und das damit verbundene Recht, seine Meinung auf welchem Wege auch immer zu äußern – ist „schlechthin konsti­tu­ierend“ (BVerfGE 20, 56, 97 f.) für eine Demokratie. Die Demokratie und damit auch der demokra­tische Willens­bil­dungs­prozess müssen also nicht vor polari­sie­renden Meinungen geschützt werden. Demokratie setzt vielmehr voraus, dass man laut und deutlich seine Meinung sagen darf.

2019-05-28T08:56:55+02:0028. Mai 2019|Digitales|