Warum nicht jetzt auf Kohle setzen?
Seit Russland am 24. Februar die Ukraine überfallen hat, ist die Welt auch in Sachen Energie eine andere: Nicht nur dürfte Nordstream II damit endgültig gestorben sein. Auch die Zukunftspläne der Koalition haben sich vorerst in Luft aufgelöst: Die Erneuerbaren Energien auszubauen und die Lücke zwischen der volatilen Erzeugung durch Sonne und Wind durch Gaskraftwerke zu schließen, dürfte mindestens auf eine ungewisse Zukunft verschoben sein. Denn auch wenn es gelingt, statt russischem Erdgas gefracktes Flüssiggas aus anderen Ländern nach Deutschland zu importieren: Fracking hat ökologisch auch keinen guten Ruf.
Was nun, sprach Zeus. Erste Rufe nach einer Laufzeitverlängerung wurden zwar laut. Doch PreussenElektra, AKW-Betreiberin, teilte mit: Es würde 1,5 Jahre dauern, bis neue Brennstäbe verfügbar wären. Zudem ist auch Atomstrom kein Weg zur Unabhängigkeit von Russland. Zuletzt stammte das in Deutschland genutzte Uran aus Russland, Kasachstan und nur in geringen Mengen aus Kanada. Das Wirtschaftsministerium winkte auch aus diesen Gründen ab.
Doch was spricht eigentlich gegen einen längeren Betrieb der Kohlekraftwerke? Hier gibt es erhebliche Kapazitäten in Reserve: Die Winterreserve, aber auch die neue Kapazitätsreserve sind nicht mehr aktiv am Strommarkt, aber letztere ist eigens dafür bestimmt, auf Anforderung der ÜNB Leistung bereitzustellen, wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt. 2 GW Reserveleistung sind vorgesehen.
Doch wäre dies nicht klimapolitisch fatal? Tatsächlich ist Kohle emissionsintensiv. Doch kommt dies – und dieser Punkt wird bisher wenig diskutiert – im Ergebnis kaum zum Tragen. Denn die Kohlekraftwerke, in denen der dringend benötigte Strom produziert werden könnte, sind sämtlich emissionshandelspflichtig. Das heißt: Die Emissionsmenge, die von diesen Kraftwerken ausgeht, steigt natürlich, wenn sie wieder regelmäßig laufen. Die Gesamtmenge, die alle emissionshandelspflichtigen Anlagen der EU emittieren, steigt aber nicht, denn die steht fest.
Was würde also passieren? Die Anlagenbetreiber würden ihre Schatzkisten, also ihre CO2-Konten, plündern. Diese Emissionsrechte gibt es bereits, sie sind nicht neu. Und: was einmal verbraucht wurde, ist endgültig weg. Dann würden also die Preise steigen, Strom würde möglicherweise deutlich teurer, aber spätestens, wenn die Nachfrage so eine Wucht erreicht, dass die Untergrenze des Marktstabilitätsmechanismus der EU greift, würden mehr Zertifikate auf den Markt geworfen. Auch diese sind nicht neu, sie sind bereits budgetiert und liegen auf einem Konto der Kommission.
Die hohen Preise würden den Anreiz erhöhen, als Unternehmen in emissionsarme oder ‑freie Technologien zu investieren und auch als Verbraucher, sparsam mit Energie umzugehen. Die schon laufenden Konversionsprozesse würden möglicherweise noch einmal deutlich durch einen Technologieturbo beschleunigt. Die Energiewende würde weiter an Fahrt aufnehmen. Und die Emissionen? Würden 2022, vielleicht 2023 steigen, das vorhandene Budget damit abschmelzen, aber vielleicht sind wir so schneller und in Summe emissionsärmer bei unseen Zielen angekommen als noch Mitte Februar angenommen (Miriam Vollmer).