Wenn Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, Juristin oder Jurist sind, dann können Sie sich die nächsten drei Minuten einfach sparen: Gehen Sie weg, hier gibt es heute nichts zu sehen. Für alle anderen erläutern wir heute den Hinweisbeschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) in Sachen Diesel-Abschalteinrichtung wie folgt:
Manchmal fragen uns Mandanten, ob es für irgendetwas nicht bereits einen „Präzedenzfall“ gebe. Das kennt der Deutsche vor allem aus amerikanischen Filmen. Unsere Mandanten meinen damit, dass ein Fall schon einmal entschieden wurde und das Gericht in ihrem Fall deswegen daran gebunden sei. Wir erklären dann, dass das deutsche Recht anders funktioniert. Es gibt zwar eine gewisse richterliche Rechtsfortbildung. Aber der Maßstab des deutschen Richters sind Recht und Gesetz. Deswegen ist es zwar sehr wahrscheinlich, dass das Landgericht (LG) Berlin genauso entscheiden wird, wie das Kammergericht (KG) Berlin, wenn denn der Fall genauso gelagert ist. Aber zwingend ist das nicht.
Trotzdem werden alle Gerichte der unteren Instanzen im Ergebnis absehbar entscheiden wie das höchste Gericht, das in dieser Sache jemals entschieden hat. Sie wollen ja nicht, dass ihr Urteil von diesem Gericht wieder aufgehoben wird. Da es normalerweise mehrere Jahre dauert, bis eine Rechtsfrage den Instanzenzug (so nennt man den Weg von der Eingangsinstanz bis zum zuständigen Bundesgericht) durchlaufen hat, kann es aber eine Phase von möglicherweise mehreren Jahren geben, in denen der Ausgang von Gerichtsverfahren in einer Frage tatsächlich davon abhängt, welches Gericht angerufen wird. Erst, wenn der BGH (bzw. das BVerwG, das BAG, das BSG …) entschieden haben, ist mit einer einheitlichen Rechtsprechung zu rechnen. Insofern: Doch, ein bisschen gibt es den Präzedenzfall also doch.
Aus diesem Grund wartet halb Deutschland darauf, dass der BGH endlich etwas zum Dieselskandal sagt, also feststellt, ob die unzulässige Abschalteinrichtung, die v. a. der VW-Konzern in Dieselmotoren eingebaut hat, einen Sachmangel darstellt oder nicht, und was, wenn dem dann so ist, nun zu geschehen hat. Konkret: Muss VW seine Dieselwagen zurücknehmen und dem Kunden einen neuen Wagen hinstellen oder ihm sein Geld zurückgeben. Die Anwälte von VW sehen das naturgemäß nicht so. Schließlich erfüllen die Wagen den Zweck, zu dem sie gekauft worden sind, nämlich die Fortbewegung. Der Rest der – juristischen – Welt sieht das allerdings zum größten Teil anders. Wer einen VW Diesel gekauft hat, wollte ein Auto, das die maßgeblichen Grenzwerte einhält, und nicht nur dann, wenn sich der Wagen auf dem Prüfstand befindet.
Vermutlich sahen die Anwälte von VW die Niederlage deswegen schon kommen. Um aber auf jeden Fall zu verhindern, dass in Zukunft jedes deutsche Gericht unter Verweis auf ein BGH-Urteil stets von einem Sachmangel ausgeht und dem Kläger ein neues Auto (oder viel Geld) zuspricht, verglichen sie alles. Nun gehören zum Vergleich ja immer zwei. D. h., die Anwälte von VW müssen so viel Geld geboten haben, dass auch ein Kunde, der sich so sehr geärgert hatte, dass er bereit war, sich in zwei Instanzen zu streiten, nicht anders konnte, als zuzuschlagen. Ehrlich, wir gäben etwas darum, zu erfahren, wie viel Geld in diese Vergleiche geflossen ist.
Den BGH muss das sehr geärgert haben. Denn letzte Woche tat er etwas, was Gerichte selten tun: Er sagte ungefragt öffentlich seine Meinung. Er hatte nämlich schon einen Fall terminiert, den Termin, auf den alle warteten, und in Vorbereitung am 8. Januar 2019 einen Hinweisbeschluss erlassen, also ein Dokument, aus dem hervorgeht, wie er die Sache sieht. Dann muss VW den Kläger in Geld erstickt haben, vermutlich in der Hoffnung, dass der BGH nun gerade nicht öffentlich sagen würde, dass die Abschalteinrichtung ein Sachmangel sei, und der Kunde ein neues Auto beanspruchen könne, auch wenn es sich um ein neueres Modell handelt. Vermutlich vereinbarten die Parteien auch eine Verschwiegenheitsverpflichtung. VW muss nun gehofft haben, dass die Nachricht, dass der BGH dem Kläger zuneigt, nach Abschluss des Vergleichs nicht nach außen dringt, und der Hinweisbeschluss nicht veröffentlicht würde. Der BGH durchkreuzte indes diese Absicht: Der Hinweisbeschluss ist angekündigt, und was drinsteht, veröffentlichte der BGH per Pressemitteilung. Die Gerichte wissen also nun, wie das höchste deutsche Zivilgericht wohl entscheiden wird und werden ihre Rechtsprechung voraussichtlich daran ausrichten.
Ich, kein Jurist, verstehe das also so:
Wenn die Kosten für die Beschaffung eines gleichen, jedoch mangelfreien Neuwagens höher liegen als die Beschaffungskosten eines mangelfreien Folgemodells ist der Verkäufer berechtigt das Folgemodell als Ersatzleistung zu liefern?!
LG