BGH: Kita gegen Spedition

Eigentlich hatten wir letztes Jahr immer mal wieder auch beim Bundes­ge­richtshof noch spannenden Entschei­dungen geguckt. Aber eine schöne hatten wir dabei übersehen: Eine Kita in der Stutt­garter Umwelt- und Lkw-Durch­fahrts­ver­botszone zur Verhin­derung von Feinstaub­be­lastung hatte gegen eine Spedition geklagt. Das Lkw-Durch­fahrts­verbot ist durch das Vorschrift­zeichen 253 zu § 41 Abs. 1 StVO mit dem Zusatz­zeichen nach § 39 Abs. 3 StVO „Liefer­verkehr frei“ (Nr. 1026–35 Verkehrs­zei­chen­ka­talog) angeordnet. Letztlich auf der Rechts­grundlage des § 40 BImSchG, nach dem Verkehrs­be­schrän­kungen zugunsten der Luftrein­haltung möglich sind.

LKW-Durchfahrtsverbot VZ 253 mit Zusatzzeichen Lieferverkehr frei

Dies war im Rahmen des Luftrein­hal­te­plans zur Reduzierung von Feinstaub und Stick­stoff­oxiden, also unter anderem zum Schutz der Gesundheit der Anwohner, angeordnet worden. Da trotz des Verbots immer wieder Lastkraft­wagen der Spedition mit einem höheren Gesamt­ge­wicht als 3,5 Tonnen durch die Straße mit der Kita gefahren waren, erhob die als einge­tra­gener Verein verfasste Kita zusammen mit einem Anwohner Klage vor einem Amtsge­richt. Sie forderten die Unter­lassung dieser Fahren, soweit sie nicht zum Transport von Gegen­ständen in die hinter dem Verbots­schild liegende Lkw-Durch­fahrts­ver­botszone oder zum Transport von Gegen­ständen aus dieser Zone dient.

Die Gerichte hatten in der ersten und der Berufungs­in­stanz den Unter­las­sungs­an­spruch, der sich nach § 1004 Abs. 1 in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB jeweils abgewehrt. Denn der Schadens­ersatz für unerlaubte Handungen nach § 823 Abs. 1 BGB erfordert eine konkrete Rechts­guts­ver­letzung. Also ist ein Nachweis erfor­derlich, dass durch die Rechts­ver­letzung jemand stirbt, erkrankt oder sein Eigentum beein­trächtigt wird.  Dies sei durch die Fahrten der Spedition nicht erfolgt. Eine bloße abstrakte Gefährdung sein nicht ausreichend.

Die Alter­native wäre § 823 Abs. 2 BGB gewesen: Dafür müsste aber eine Vorschrift verletzt worden sein, die gerade auch zum Schutz der Kläger dient.

Mit der Missachtung des durch § 41 Abs. 1 StVO in Verbindung mit Verkehrs­zeichen 253 angeord­neten Lkw-Durch­fahrts­verbots kein Kläger ausge­rich­tetes Schutz­gesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB verletzt. Das erstaunt, denn die Durch­fahrts­verbote sollen ja gerade auch dem Schutz der Bevöl­kerung vor Luftver­un­rei­nigung dienen. Ermäch­ti­gungsnorm ist demnach § 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG.

Um die Haftung nicht ausufern zu lassen, sei ein gesetz­liches Gebot oder Verbot als Schutz­gesetz nur geeignet, soweit das geschützte Interesse, die Art seiner Verletzung und der Kreis der geschützten Personen hinrei­chend klarge­stellt und bestimmt sind. Das sei im Fall der Luftrein­hal­te­pläne bzw § 40 BImSchG nicht der Fall.

Ohne uns jetzt in die Tiefen und Untiefen der Recht­spre­chung zu Schutz­ge­setzen locken zu lassen, man mag das finden wie mal will. Die Kita hat es offen­sichtlich nicht überzeugt, sie wär sonst nicht vor den BGH gezogen. Den Zivil­ge­richten könnte die Entscheidung bis 2035 einiges an Arbeit ersparen. (Olaf Dilling)

2023-04-12T22:18:50+02:0012. April 2023|Immissionsschutzrecht, Rechtsprechung, Verkehr|

Abfall­recht: Straffrei containern, aber wie?

Für Nicht-Juristen oder Jurastu­die­rende im ersten Semster war es seit jeher schwer zu begreifen: Dass es verboten soll, sich wegge­worfene Sachen anzueignen, wenn man eine sinnvolle Verwendung dafür hat. Denn das war am Sperr­mülltag noch vor wenigen Jahrzehnten eine allgemein geübte Praxis.

Paprika und Gemüse mit leichten Schönheitsfehlern

Geschulte Juristen sehen das häufig anders. Aus ihrer Sicht kann es ja eine bewusste Entscheidung sein, eigene Dinge auch für alle Anderen aus dem Verkehr zu ziehen, seien es alte Liebes­briefe oder, wie in einem klassi­schen Rechtsfall, Kunst­werke, die den Ansprüchen des Schöpfer nicht genügen. Umgekehrt können auch die Entsor­gungs­träger ein ökono­mi­sches Interesse haben, dass aus den Abfällen nicht nur die verwert­baren „Kirschen“ heraus­ge­pickt werden, so dass der Entsorger auf dem kaum oder gar nicht verwertbare Rest zum Besei­tigen sitzen bleibt.

Trotzdem gibt es auch Fälle, bei denen selbst hartge­sottene Juristen oder Verfechter eines formalen Eigen­tums­rechts ein Störgefühl haben: Nämlich dann, wenn der Wert einer Sache für die Entsorger sehr gering, für poten­tielle andere Nutzer jedoch hoch ist. Typischer­weise ist das bei unver­käuf­lichem, aber noch genieß­barem Essen der Fall, die entweder kompos­tiert und energe­tisch verwertet werden können oder eben Hungernden zur Verfügung gestellt.

Offenbar partei­über­greifend besteht hier ein Konsens, dass niemand dafür bestraft werden sollte, der aus Abfällen von Super­märkten solche Lebens­mittel „rettet“. Umstritten ist aktuell aller­dings der Weg dorthin: Grob zusam­men­ge­fasst werden eine zivil­recht­liche, eine straf­recht­liche und eine straf­pro­zes­suale Lösung diskutiert:

#zivil­rechtlich könnten – nach einem Vorschlag der Bundes­tags­fraktion der Linken zum Abfall gegebene Lebens­mittel in einem neu zu fassenden § 959 BGB als herrenlose Sachen einge­stuft werden,

#straf­rechtlich ließe sich auch eine Ergänzung in § 248a StGB vornehmen, nach der bei zum Abfall gegebenen Lebens­mitteln von einer Straf­ver­folgung abzusehen ist,

#schließlich ließe sich auch im Straf­prozess regel­mäßig auf die Verfolgung verzichten. Nach einem aktuellen Vorschlag der CDU könnten dafür die Richt­linien für das Straf­ver­fahren und das Bußgeld­ver­fahren (RiStBV) zur Klarstellung ergänzt werden.

Der dritte Vorschlag entspricht weitgehend der aktuellen Rechts­praxis, da ohnehin ein Großteil der entspre­chenden Verfahren einge­stellt werden. Für die CDU und die FDP scheint er die attrak­tivste Variante zu sein, weil dadurch am wenigsten in das Eigen­tums­recht einge­griffen wird. Ob er für Nicht­ju­risten für die erwünschte Rechts­klarheit sorgt, zumal es sich um eine primär verwal­tungs­intern wirksame Vorschrift handelt, ist eine andere Frage. (Olaf Dilling)

 

2023-01-09T19:06:03+01:009. Januar 2023|Abfallrecht, Kommentar|

Nachbar­recht: Die Wildkirsche als Grenzbaum

Bei „Grenzbaum“ denken viele Menschen vermutlich an rot-weiß-gestreifte Schlag­bäume an Grenz­über­gängen. Tatsächlich regelt das Bürger­liche Gesetzbuch (BGB) den Grenzbaum im Abschnitt über Nachbar­recht in § 923 BGB. Auch wenn diese Norm über auf Grund­stücks­grenzen wachsende Bäume liebenswert antiquiert wirkt: Immerhin gab es dazu vor wenigen Jahren eine bemer­kens­werte Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts (OLG) München. Darin wurden zum Einen die nicht unkom­pli­zierten Eigen­tums­rechte am Grenzbaum präzi­siert. Zum Anderen wurde das Verhältnis von privaten und öffent­lichen Recht geklärt. Denn Bäume sind, auch wenn sie auf privatem Grund stehen, in vielen Gemeinden durch Baumschutz­sat­zungen geschützt.

Doch zum Fall: Der Grenzbaum, um den es ging, war eine offenbar sehr statt­liche Wildkirsche. Beim Bau eines Garten­hauses waren vom Beklagten auf seinem Grund­stück Wurzeln des Baumes gekappt worden. Auch dies ist im BGB geregelt und an sich gemäß § 910 Abs. 2 BGB zulässig. Nur spricht die Norm von Wurzeln, „die von einem Nachbar­grund­stück einge­drungen sind“, was bei einem Grenzbaum gewisse Ausle­gungs­pro­bleme mit sich bringt. Jeden­falls drohte, vermutlich wegen der gekappten Wurzeln, der Baum nach einem Sturm im folgenden Frühjahr zu kippen und musste kurze Zeit später gefällt werden.

Nun handelt es sich beim Holz der Wildkirsche (prunus avium) um das wertvollste Holz Europas. Der Kläger veran­schlagte den Wert des Baumes daher mit 18.000 Euro und wollte die Hälfte davon, sowie die Fäll- und Besei­ti­gungs­kosten vom Beklagten erstreiten. Aller­dings hatte er sowohl erstin­stanzlich wie auch vor dem OLG damit wenig Erfolg. Denn das Gericht war der Auffassung, dass der Beklagte die Wurzeln des Baumes schon aufgrund seines (Mit-)Eigentumsrechts an dem Baum abschneiden durfte.

Außerdem sei ein Schadens­ersatz auch nicht wegen eines möglichen Verstoßes gegen die örtliche Baumschutz­satzung zu leisten. Denn der Baum hätte zwar unzwei­felhaft einen Stamm­umfang von über 80 cm, weshalb er demnach unter Schutz gestanden hätte. Aller­dings sei die Baumschutz­satzung nicht zum Schutz des Nachbarn gedacht, sondern diene dem öffent­lichen Interesse. Sie solle vielmehr die „inner­ört­liche Durch­grünung sicher­zu­stellen, das Ortsbild zu beleben, die Leistungs­fä­higkeit des Natur­haus­halts“ erhalten und „schäd­liche Umwelt­ein­wir­kungen“ mindern. Mit anderen Worten sind Bäume in den Gemeinden durch die Baumschutz­sat­zungen zwar nach öffent­lichem Recht geschützt. Ein Verstoß wirkt sich jedoch nicht auf die Rechts­ver­hält­nisse der Nachbarn unter­ein­ander aus (Olaf Dilling).

2020-02-27T16:08:35+01:0027. Februar 2020|Naturschutz, Verwaltungsrecht|