Der ewige Stau und die neuen Radfahrstreifen

In Toronto tobt derzeit ein Kampf um die zahlreichen geschützten Radfahr­streifen, die von der Bürger­meis­terin Olivia Chow einge­richtet wurden. In Toronto ist seit Jahrzehnten eigentlich immer Stau, aber seit es die Radwege gibt, wissen viele Vorstadt­be­wohner, die nicht recht­zeitig nach „Downtown“ kommen, auch warum. Natürlich sind die Radfahrer und die Bürger­meis­terin daran schuld! Das hat den Premier der Provinz Ontario, Dough Ford, auf den Plan gerufen. Er möchte nun in die Kompe­tenzen der Kommune eingreifen. Der Bau von Radfahr­streifen soll nur noch dann möglich sein, wenn sie vorher von der Provinz genehmigt wurden. Ein arger Eingriff in die Rechte der Gemeinden.

Geschützter Radfahrstreifen mit zwei Radfahrern an einer Straße in Toronto in parkartiger Landschaft

Auf beiden Seiten beidseitig befahrbare Radfahr­streifen an der Bayview Avenue in Toronto

Und dass, obwohl Verkehrs­er­he­bungen zeigen, dass es mitnichten die Fahrradwege sind, die zur desolaten Verkehrs­si­tuation in Toronto führen. Tatsächlich verschleppt die Provinz seit Jahren den Ausbau von öffent­lichen Verkehrs­mitteln. Die einzige Lösung, die dem aktuellen Premier einfällt: Mehr Kfz-Fahrspuren – und wenn oberir­disch kein Platz mehr ist, muss halt für geschätzt 50 – 100 Milli­arden Kanadische Dollar ein 60 km langer Tunnel unter der Stadt gebaut werden. Bis der in ca. 20 Jahren fertig gestellt sein könnte, müssen die Bürger Toronto verstärkt unter Stau leiden, wegen der ohnehin schon zahlreichen Baustellen.

Aber wir sollten als Europäer nicht überheblich sein. Auch bei uns geht es mit der Instand­haltung, geschweige denn dem Ausbau des öffent­lichen Verkehrs nicht richtig voran. Und Planung und Bau von Radwegen beinhaltet auch bei uns viel Bürokratie. Daher geht es mit dem Bau von Radwegen in Deutschland überall viel langsamer voran als geplant. Und das nicht nur in Berlin, wo viele Projekte, die kurz vor Baureife standen, politisch von der schwarz-roten Koalition wieder gecancelt wurden.

Zum Teil liegt das am Perso­nal­mangel, da es zu wenig Fachkräfte gibt, die Planung und Bau von Radwegen sachge­recht durch­führen können. Zum Teil liegt es aber auch an umständ­lichen Verfahren. Typischer­weise gilt der Bau von Radwegen, jeden­falls, wenn sie an einer Straße entlang­führen, als Änderung dieser Straße. Daher sind an sich die gleichen kompli­zierten Verfahren der Planfest­stellung oder der Umwelt­ver­träg­lichkeit durch­zu­führen, wie beim Bau oder der Änderung einer Straße. Das ist in vielen Fällen übertrieben. Immerhin wurde letztes Jahr im Zuge der Beschleu­nigung des Baus von Infra­struk­tur­pro­jekten im Bereich Verkehr auch an die Radwege gedacht: Beim Bau von Radwegen an Bundes­straßen ist nach § 14d UVPG nur noch in Ausnah­me­fällen eine Umwelt­ver­träg­lich­keits­prüfung (UVP) erfor­derlich. (Olaf Dilling)

2024-10-18T03:52:12+02:0018. Oktober 2024|Verkehr|

VG Berlin zur Tuchol­sky­straße: Der Wink mit dem Verkehrspoller

Gerichte sind sich manchmal durchaus bewusst, dass ihre Entschei­dungen in einer bestimmten Zeit getroffen werden – und dass diese Zeiten sich auch ändern. So meinte Anfang dieser Woche ein Hamburger Verwal­tungs­richter, dass die Zeit für eine Entscheidung zu Gunsten des Klägers und der Schul­weg­si­cherheit seiner Kinder noch nicht reif sei, „in 10 Jahren vielleicht“. Schwacher Trost für unseren Mandanten, dessen Kinder jetzt klein sind und jetzt auf dem aktuell zum Teil komplett zugeparkten Gehweg auf dem Weg zu Kita und Schule Fahrrad­fahren lernen wollen.

Noch klarer ist das Problem bei einer aktuellen Entscheidung des VG Berlin. Es ging um eine Eilent­scheidung. Anwohner der Tuchol­sky­straße hatten vorläu­figen Rechts­schutz gegen Poller in der Tuchol­sky­straße beantragt, mit denen der motori­sierte Durch­gangs­verkehr an der Nutzung der dortigen Fahrrad­straße gehindert werden soll. Nun ist die Straßen­ver­kehrs­ordnung bisher bei der Bereit­stellung von Raum für Fußgänger und Fahrrad­fahrer sehr knausrig: Jede Beschränkung des Verkehrs – und das ist bislang vor allem der Kfz-Verkehr – muss mit einer quali­fi­zierten Gefahr begründet werden, z.B. eine Häufung schwerer Verkehrsunfälle.

Das soll und muss sich ändern, jeden­falls nach dem Willen des Verord­nungs­gebers: Der hat letzten Monat beschlossen, dass die „Bereit­stellung angemes­sener Flächen für den fließenden und ruhenden Fahrrad­verkehr sowie für den Fußverkehr“ ermög­licht werden soll. Begründet werden kann dies mit dem Schutz der Umwelt, auch Klima­schutz, dem Gesund­heits­schutz oder der Unter­stützung der geord­neten städte­bau­lichen Entwicklung. Berück­sichtigt werden muss die Leich­tigkeit des Verkehrs berück­sichtigt und die Sicherheit des Verkehrs darf nicht beein­trächtigt werden.

Das Gericht traf deshalb die Entscheidung, dass das Aufstellen der Poller voraus­sichtlich nicht recht­mäßig sei. Denn „nach derzei­tiger Rechtslage“ seien Verkehrs­ein­schrän­kungen und ‑verboten mit der Sicherheit und Ordnung des Straßen­ver­kehrs, nicht aber wegen außerhalb des Straßen­ver­kehrs zu veror­tender Gefahren oder aus stadt­pla­ne­ri­schen Erwägungen zu begründen. Für das Bezirksamt, das die Poller aufge­stellt hat, muss das wie ein Wink mit dem Poller wirken, auf Zeit zu spielen und Berufung einzu­legen. Denn dann wird irgendwann in der Haupt­sache nach neuer Rechtslage entschieden und die Poller können voraus­sichtlich bleiben. 

Auch bei Planungen mit Verkehrs­wen­de­bezug sollten Kommunen jetzt schon daran denken, wie sie die Umsetzung von Maßnahmen so „timen“, dass sie von den Möglich­keiten der neuen StVO profi­tieren können. (Olaf Dilling)

2024-07-16T17:48:19+02:0016. Juli 2024|Allgemein, Verkehr|

Klima­mo­bi­li­täts­planung: Frischer Wind aus Südwest?

Nach dem refor­mierten Straßen­ver­kehrs­gesetz soll Klima­schutz in Zukunft eine größere Rolle im Straßen­ver­kehrs­recht spielen. Aber die Einzel­heiten sind bislang noch offen. Denn noch ist von der Verord­nungs­er­mäch­tigung noch nicht abschließend Gebrauch gemacht worden, auch wenn schon ein Kabinetts­entwurf der refor­mierten StVO existiert.

Unklar ist auch noch, wie die Begrün­dungs­an­for­de­rungen für Klima­schutz­maß­nahmen aussehen könnten. Vielleicht könnte hier das sprich­wört­liche Muster­ländle, Baden-Württemberg, Pate stehen. Denn hier gibt es bereits eine gesetzlich veran­kerte Klima­mo­bi­li­täts­planung. Sie ergibt sich aus § 28 des Baden-Württem­ber­gi­schen Klima­schutz­ge­setzes.  Demnach können Gemeinden und Gemein­de­ver­bände im Rahmen ihrer Zustän­dig­keiten Klima­mo­bi­li­täts­pläne aufstellen. In ihnen können sie Maßnahmen der Verkehrs­wende zur dauer­haften Vermin­derung von Treib­haus­gas­emis­sionen festlegen. Zu berück­sich­tigen sind dabei die Mobili­täts­be­dürf­nisse der Bevöl­kerung und der Wirtschaft.

Das ist nicht so weit von dem, was auch in der Straßen­ver­kehrs­rechts­reform vorge­sehen ist. Auch da sollen die neuen Ziele Umwelt­schutz, insbe­sondere Klima­schutz, Gesund­heits­schutz und geordnete städte­bau­liche Entwicklung mit den Erfor­der­nissen des Verkehrs in Ausgleich gebracht werden. Es läge insofern nahe, das in einem Bundesland bereits erprobte Instrument mit den neuen Möglich­keiten des Straßen­ver­kehrs­rechts zu verschränken: Die Klima­mo­bi­li­täts­planung könnte, ähnlich wie bereits das städte­bau­liche Verkehrs­konzept bei dem Anord­nungs­grund der geord­neten städte­bau­lichen Entwicklung, helfen, Klima­schutz im Verkehr nachvoll­ziehbar und konsistent zu begründen. Insofern könnten Kommunen ihre Gestal­tungs­spiel­räume vergrößern, wenn sie sich recht­zeitig um eine klima­freund­liche Verkehrs­planung kümmern. (Olaf Dilling)

2023-11-02T22:20:45+01:002. November 2023|Umwelt, Verkehr|