Erfolg­reicher Eilantrag gegen Kiezblock-„Poller“

In Berlin und anderen Großstädten gibt es viele Initia­tiven, um das urbane Wohnumfeld attrak­tiver zu machen und den Durch­gangs­verkehr aus dem Viertel heraus­zu­halten. Pate stehen Städte wie Barcelona, in denen bereits erfolg­reich Super­blocks einge­richtet wurden – sehr zur Förderung von Lebens­qua­lität und Verkehrssicherheit.

In Deutschland macht es das Verkehrs­recht den Gemeinden bekanntlich nicht leicht, den Kraft­fahr­zeug­verkehr zugunsten anderer Belange und Verkehrs­träger einzu­schränken. Dies zeigt auch wieder ein aktueller Fall, der im Eilver­fahren aktuell vor dem Verwal­tungs­ge­richt (VG) Berlin entschieden wurde:

Im Bezirk Pankow hatte die Bezirks­ver­ord­ne­ten­ver­sammlung beschlossen, Maßnahmen zur Reduzierung des Durch­gangs­ver­kehrs zu ergreifen. Daraufhin hatte das zuständige Bezirksamt zur Einrichtung eines sogenannten „Kiezblocks“ die Straße mit einer Reihe Pollern gesperrt. Der zuneh­mende Durch­gangs­verkehr befuhr in der Straße unter anderem auch die schmalen Gehwege, die in schlechtem Zustand sind. Dies führt, neben allge­meinen Belas­tungen wie Abgas- und Lärm, regel­mäßig zu gefähr­lichen Situa­tionen zwischen Verkehrs­teil­nehmern, inbesondere für Kinder auf dem Weg zur Schule oder Kindertagesstätte.

Das Gericht hatte im Eilver­fahren ernst­liche Zweifel an der Recht­mä­ßigkeit der Sperrung. Die Belastung durch Abgase und Lärm sei nicht durch entspre­chende Messungen belegt worden. Außerdem sei die zur Sperrung erfor­der­liche Gefah­renlage nicht ausrei­chend begründet worden. Auch hier orien­tiert sich das Gericht an objektiv messbaren Größen wie Verkehrs­zäh­lungen, Unfall­zahlen und Ordnungs­wid­rig­keits­ver­fahren. Hierzu habe das Bezirksamt keine ausrei­chenden Angaben gemacht. Die Polizei habe sich zudem gegen die Sperrung ausge­sprochen und ein Mitar­beiter des Bezirksamts habe bei einem Ortstermin keine Verkehrs­ge­fähr­dungen feststellen können.

Die Entscheidung zeigt einmal mehr, dass das Straßen­ver­kehrs­recht zu hohe Anfor­de­rungen an die Begründung von verkehrs­be­ru­hi­genden Maßnahmen stellt. Zugleich scheint aber auch die Behörde nicht alles getan zu haben, um den Kiezblock rechts­sicher zu begründen. Zumindest der Nachweis der hohen Verkehrs­dichte wegen des Durch­gangs­ver­kehrs hätte unschwer durch eine Verkehrs­zählung nachge­wiesen werden können. Auch die rechts­widrige und gefähr­dende Benutzung der Gehwege ließe sich durch entspre­chende Ordnungs­wid­rig­keits­ver­fahren belegen.

Schließlich gäbe es zu einer Aufstellung der Poller als Verkehrs­ein­richtung nach § 45 Abs. 1 StVO auch die Alter­native, die Fläche, auf der die Poller aufge­stellt werden, straßen­rechtlich zu entwidmen oder teilein­zu­ziehen gemäß § 4 Abs. 1 BerlStrG. Dann sind die Anfor­derung an die Begründung geringer. Auch Aspekte der städte­bau­lichen Entwicklung oder des Umwelt­schutzes könnten dann eine Rolle spielen. Vielleicht sollte der Bezirk darüber noch einmal nachdenken. (Olaf Dilling)

2024-01-04T14:50:24+01:004. Januar 2024|Rechtsprechung, Verkehr, Verwaltungsrecht|

Straßen­ver­kehrs­recht: Unver­wech­selbare „Sharrows“

Im Zusam­menhang mit der Verkehr­wende haben sogenannte „Straßen­be­ma­lungen“ Konjunktur. Bedienstete der Straßen­ver­kehrs­be­hörden meinen damit jene Gestal­tungs­ele­mente auf deutschen Straßen, die nicht amtliche Markie­rungen wie etwa eine Fahrstrei­fen­be­grenzung (Zeichen 295) sind, und damit auch keinen anord­nenden Charakter haben. Erfunden werden diese „Straßen­be­ma­lungen“ oft von Planern, die keine oder wenig Ahnung von Verkehrs­recht haben. Das müssen sie in vielen Fällen aller­dings auch nicht haben, denn diese Kennzeich­nungen haben auch keine rechts­ge­stal­tende Bedeutung.

Fahrrad und Fahrradpiktogramm auf der Straße

Um ein Beispiel zu nennen: In Freiburg wurde auf einer Straße, auf der weder Platz für einen Fahrradweg ist, noch ein genügend breiter Gehweg vorhanden, um dort auch auf einem gemein­samen Weg mit Fahrrädern zu fahren, Tempo 30 angeordnet. Mit der Folge, dass der Fahrrad­verkehr sich auf der Fahrbahn abspielen soll. Um sowohl Fahrrad­fahrer als auch Kfz-Führer auf diese geltende Rechtslage hinzu­weisen, wurden auf die Fahrbahn Fahrrad-Pikto­gramme zusammen mit einer Pfeil­kette gemalt. In der Fachsprache der Verkehrs­planer ist auch von sogenannten „Sharrows“ die Rede. Von Pfeilen, die auf das Teilen („Sharing“) von Straßenraum hinweisen sollen.

Daraufhin klagte ein Autofahrer sowohl gegen die Anordnung der Geschwin­dig­keits­be­grenzung als auch gegen die Kennzeichnung auf der Fahrbahn, die Fahrrad­fahrer dazu verleiten würde, zu weit links auf der Fahrbahn zu fahren. Sein Eilver­fahren war ohne Erfolg. Das Verwal­tungs­ge­richt Freiburg entschied in seinem Beschluss, dass das Tempo 30 aufgrund einer durch die polizei­liche Unfall­sta­tistik nachge­wie­senen Gefah­renlage nach § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO gerecht­fertig sei.

Was die sogenannten „Sharrows“ anging, gäbe es diese zwar nicht als offizielle Verkehrs­zeichen. Das sei aber auch nicht nötig, denn sie hätten eben auch nur hinwei­senden Charakter und seien keine amtliche Markierung. Daher sei schon kein Verwal­tungsakt vorhanden, gegen den der Kläger vorgehen kann. Da sie auch keine Ähnlichkeit zu amtlichen Verkehrs­zeichen hätten, gibt es keine Verwechs­lungs­gefahr nach § 33 Abs. 2 StVO. Daher seien sie verkehrs­rechtlich zulässig. (Olaf Dilling)

2023-08-18T16:52:19+02:0018. August 2023|Allgemein, Rechtsprechung, Verkehr|

Konkur­rie­rende Standards im Verkehrsrecht

Seit einiger Zeit stellt ein entfernter Bekannter, der für eine verkehrs­po­li­tische NGO arbeitet, unsere Geduld mit einem Geset­zes­entwurf nach dem Muster des Berliner Mobili­täts­ge­setzes auf die Probe: Er hat ihn mit ein paar Mitstreitern für ein kleines Bundesland auf eigene Faust erstellt. Und erwartet nun von uns, sich die Sache doch mal „pro bono“ anzusehen. Irgendwann am Wochenende oder spät abends ist vielleicht Zeit, kurz einen Blick drauf zu werfen, denn tatsächlich ist es ja ganz inter­essant. Und dass der Entwurf aufge­griffen wird, ist zumindest nicht ausge­schlossen. Aber richtig glücklich sind wir nicht, wenn es Schule machen sollte, dass Gesetze inzwi­schen nicht nur außerhalb der Minis­terien, sondern auch ohne staat­liches Budget vorbe­reitet werden.

Außerdem wurden wir in Berlin-Mitte von Changing Cities zur Vorstellung einer neuen verkehrs­pla­ne­ri­schen Richt­linie einge­laden. Am Ende kam uns ein Mandat dazwi­schen, das dringend bearbeitet werden musste. Aber auch diese Sache ist spannend und hier stellt sich zumindest nicht so sehr die Konkurrenz zu der hoheit­lichen Tätigkeit der Minis­te­ri­al­ver­waltung: Denn Richt­linien und Hinweise zur Verkehrs­planung sind in Deutschland ohnehin zumeist Privat­ver­gnügen. Bisher gibt es hier quasi ein Monopol eines Vereins, der Forschungs­ge­sell­schaft für Straßen- und Verkehrs­wesen e.V. (FGSV). Deren Standards, etwa die Richt­linien für die Anlage von Stadt­straßen – RASt 06, sind in der Praxis z.B. ausschlag­gebend dafür, wie breit Gehwege oder Fahrbahnen geplant und gebaut werden sollen oder dass bei Parkständen für Rollstuhl­be­nutzer auf einer Fahrzeug­seite ein lichter Abstand von 1,75 m einzu­halten ist.

Nicht ganz ohne Grund wird die Tatsache immer wieder kriti­siert, dass auf diese Weise viele entschei­dende Details der Gestaltung des öffent­lichen Verkehrs­raums von Experten und ohne umfas­sende Öffent­lich­keits­be­tei­ligung entschieden werden. Schließlich geht es auch um Umwelt- und Vertei­lungs­fragen, die durchaus politi­scher Natur sind. Und auch inhaltlich wurde der FGSV lange Zeit vorge­worfen, weiterhin an der autoge­rechten Stadt als Leitbild festzu­halten. Anderer­seits zeigt sich, dass zumindest manche Gerichte bei der Auslegung der Straßen­ver­kehrs­ordnung und ihrer Verwal­tungs­vor­schriften dem Fahrrad- und Fußverkehr noch weniger Platz einräumen, so unlängst das OVG Bremen.

Jeden­falls ging es bei der Vorstellung der Richt­linie um die Gestaltung von Kiezblocks, einem verkehrs­pla­ne­ri­schen Thema, dem sich die FGSV noch nicht angenommen hat. Daher konnte die NGO „Changing Cities“ mit ihrer spontan einbe­ru­fenen Fachgruppe Standards für die Mobili­täts­wende (FGSM) tätig werden: Unter Kiezblocks versteht sie Maßnahmen zur Verkehrs­be­ru­higung mit der in urbanen Wohnvierteln – als Mindest­standard – etwa durch gezielt aufge­stellte Poller (sog. Modal­filter) der Durch­gangs­verkehr verhindert wird. Weitere Maßnahmen beinhalten als Regel­standard ein Parkraum­ma­nagement, das auf eine Umver­teilung des öffent­lichen Raums im Viertel abzielt, und als Goldstandard weitere Maßnahmen zur Verkehrs­wende auf den Haupt­straßen. In der Detail­ge­treue reicht der Standard noch nicht ganz an dieje­nigen des Konkur­renten heran, aber trotzdem ist es eine sinnvolle Handrei­chung für Planungen mit vielen guten Ideen. Außerdem belebt Konkurrenz auf jeden Fall das Geschäft, in den neuen urbanen Fußgän­ger­zonen entgegen häufigen Unken­rufen sogar buchstäblich. (Olaf Dilling)

2023-03-24T11:58:26+01:0024. März 2023|Verkehr, Verwaltungsrecht|