re|Adventskalender Türchen 5: Beschleu­nigung des Radwegebaus

Zum Kernge­schäft von Anwälten zählt es, Gesetze auszu­legen und Fälle auf der Grundlage des geltenden Rechts zu lösen. Gerade im öffent­lichen Recht kann es jedoch auch schon mal darum gehen, neue Rechts­vor­schriften zu entwi­ckeln und vorzu­schlagen. So etwa bei einem Mandat, dass wir für den ADFC Hessen betreut haben. Das hatte folgenden Hintergrund:

Hessen ist beim Bau von Radwegen ziemlich hinterher. Es gibt etliche Projekte, deren Umsetzung sich aber immer weiter verzögert. Dabei würden viele Menschen in Hessen, auch im ländlichen Raum, mehr Rad fahren, wenn es sichere Wege von Ort zu Ort gäbe. Zudem haben in den letzten Jahren die Unfälle mit Toten und Schwer­ver­letzten gerade auf Landstraßen zugenommen. Fahrradwege könnten hier effektiv Abhilfe schaffen.

beidseitig befahrbarer Radweg auf dem Land parallel zu einer Landstraße.

Selbstän­diger Radweg im ländlichen Raum.

Der ADFC Hessen hat daher mehrere Vorschläge zur Beschleu­nigung des Baus von Radwegen entwi­ckelt, die wir auf ihre recht­liche Machbarkeit vor dem Hinter­grund des Verfassungs‑, des Europa- und Bundes­rechts überprüft haben:

  • Bisher gibt wird für den Radwe­gebau auf Landes­ebene – anders als bei anderen Verkehrs- und Infra­struk­tur­pro­jekten – kein überra­gendes öffent­liches Interesse angenommen. Es spricht jedoch aus verfas­sungs­recht­licher Sicht nichts dagegen, per Gesetz ein überra­gendes öffent­liches Interesse für Radweg­pro­jekte anzunehmen, so wie das auch für andere Verkehrs­pro­jekte bereits bundes­rechtlich im Gesetz zur Beschleu­nigung von Geneh­mi­gungs­ver­fahren im Verkehrs­be­reich erfolgt ist. Insbe­sondere dient der Bau von Radwegen neben dem Schutz des Lebens und der Gesundheit auch dem Klima­schutz und hat daher den „Segen“ des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts, das eine frühere Orien­tierung an den Klima­zielen auch im Verkehrs­sektor fordert. Aller­dings gilt dies nur für solche Radwege, deren Bedarf auch tatsächlich festge­stellt wurde.
  • In Hessen muss für den Bau eines Radwegs grund­sätzlich ein Planfest­stel­lungs­ver­fahren durch­ge­führt werden. Dagegen ist dies beispiels­weise bei Gemein­de­straßen nach § 33 Abs. 1 S. 2 HStrG nur ausnahms­weise der Fall. Nach den Vorschlägen des ADFC soll dies in Zukunft nur noch optional sein. Auch hiergegen spricht verfas­sungs- und europa­rechtlich nichts, wenn keine Enteignung nötig ist und keine Umwelt­ver­träg­lich­keits­prüfung (UVP) durch­ge­führt werden muss.
  • Eine UVP wird aktuell in Hessen vor dem Bau von Radwegen noch in vielen Fällen durch­ge­führt, die weder das Europa­recht noch das Bundes­na­tur­schutz­recht zwingend erfordert. Auch hier könnte entbü­ro­kra­ti­siert werden und in Anglei­chung an die neue Regelung für Bundes­fern­straßen in § 14 d UVP-Gesetz nur noch dann erfor­derlich sein, wenn wenn der Fahrradweg mindestens 10 km lang ist oder ein Natur­schutz­gebiet von europäi­scher Bedeutung (Natura 2000) betrifft.

Die Forde­rungen des ADFC wurden im November diesen Jahres gemeinsam mit dem ADAC vorge­stellt. Es bleibt zu hoffen, dass der Landes­ge­setz­geber nun entspre­chend tätig wird. Vielleicht lassen sich auch andere Bundes­ländern davon inspi­rieren, die ebenfalls recht­liche Defizite haben, die den Planung und Bau von Radwegen verzögern. Mit entspre­chender recht­licher Expertise können wir bei Bedarf gerne dienen. Schreiben Sie uns einfach eine E‑Mail. (Olaf Dilling)

2024-12-10T11:07:41+01:009. Dezember 2024|Gesetzgebung, Verkehr|

Der vergat­terte Verbindungsweg

Fahrrad­fahrer kennen diese Entschleu­ni­gungs­gatter, die sie zum Langsam­fahren zwingen sollen, zur Sicherheit des Fußver­kehrs oder vor der Querung großer Straßen. Oft werden sie aber auch gebaut, um Kfz von einem Weg auszu­sperren. Sie sind für Fahrrad­fahrer nervig und mitunter ist es nicht möglich, mit Anhänger oder einem Lastenrad durchzufahren.

Im schleswig-holstei­ni­schen Örtchen Reinbek bei Hamburg hat sich ein Radfahrer so über die Gatter­schranken auf dem Verbin­dungsweg zwischen Liebig­straße und dem Schnee­witt­chenweg geärgert, dass er deswegen vor Gericht gezogen ist. Zugegeben hört sich das nicht nach einem weltbe­we­genden Thema an. Aber die Gerichte wurden nun schon in Anspruch genommen. Daher wollen wir die Gelegenheit nutzen, die Entscheidung kurz anzuschauen. Sie haben sich übrigens nicht verlesen: Gerichte (pl.), denn auch das schleswig-holstei­nische Oberver­wal­tungs­ge­richt (OVG) in Schleswig wurde in der Berufung mit der Frage befasst.

Das OVG hat zunächst klarge­stellt, dass mit einer Gatter­schranke, die primär bezwecken soll, dass keine Kfz auf einem per Zeichen 239 angeord­neten Gehweg fahren, keine Anordnung verbunden ist. Denn das Verbot für Kfz sei bereits durch die Anordnung des Sonderwegs getroffen worden.

Obwohl der Gehweg auch für den Radverkehr freige­geben ist, ist der Kläger als Radfahrer in seiner Benutzung des Gehwegs nicht beein­trächtigt. Da die Gatter­schranken in dem Fall 1,90 m Abstand vonein­ander haben, sei ausrei­chend Platz, um sie zu passieren, ohne vom Rad abzusteigen. Dass der Kläger seine Geschwin­digkeit reduzieren muss, insbe­sondere wenn viel Fußverkehr unterwegs ist, sei keine Einschränkung. Denn auf für den Radverkehr freige­ge­benen Gehwegen gibt es für den Radverkehr ohnehin eine Beschränkung auf Schritt­ge­schwin­digkeit. Im Übrigen muss auf Fußgänger besondere Rücksicht genommen werden. Sie dürfen weder gefährdet noch behindert werden. Im Notfall müssen Radfahrer sogar stehen bleiben und absteigen. (Olaf Dilling)

2024-11-07T16:32:05+01:007. November 2024|Rechtsprechung, Verkehr|

VG Gelsen­kirchen: Radent­scheide fragen zu viel!

Wir hatten an dieser Stelle vor einem Jahr schon einmal anlässlich der Entscheidung des Bayri­schen Verfas­sungs­ge­richtshofs über die Frage der recht­lichen Zuläs­sigkeit von sogenannten Radent­scheiden berichtet. Damals war es vor allem und die Frage der Kompe­tenz­auf­teilung zwischen Bund und Ländern bzw. Gemeinden gegangen. Im März hat es zu Radent­scheiden eine weitere Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richts (VG) Gelsen­kirchen gegeben. Diese Entscheidung verdeut­licht, welche kommu­nal­po­li­ti­schen Voraus­set­zungen Bürger­ent­scheide haben, die bei Radent­scheiden mitunter nicht gegeben sind.

Typischer­weise handelt es sich bei Radent­scheide um Bürger­ent­scheide, die eine program­ma­tische Förderung des Radver­kehrs mit einem mehr oder weniger konkret ausfor­mu­lierten Maßnah­men­paket kombi­nieren. Das sah das VG Gelsen­kirchen im Fall des Radent­scheids Bochum als ein recht­liches Problem an. Denn Bürger­be­gehren mit einem Programm unter­schied­licher Maßnahmen würden gegen das Kopplungs­verbot und den Bestimmt­heit­grundsatz verstoßen.

In Nordrhein-Westfalen ergäbe sich dies aus den Vorgaben des § 26 der Gemein­de­ordnung (GO) NRW. Denn in dieser Vorschrift sind in Nordrhein-Westfalen die Möglich­keiten geregelt, über Bürger­be­gehren und Bürger­ent­scheid als Elementen direkter Demokratie Einfluss auf die Kommu­nal­po­litik zu nehmen. Und in ihr ist davon die Rede, dass die Bürger in Form eines Bürger­be­gehrens beantragen können, dass sie an Stelle des Rates über eine Angele­genheit der Gemeinde selbst entscheiden (sogenannter Bürgerentscheid). 

Wohlge­merkt wird im Singular von der Möglichkeit gesprochen „eine Angele­genheit“ zu entscheiden. Im zweiten Absatz ist von der zur Entscheidung zu bringenden Frage die Rede. Beides versteht das Gericht in dem Sinne, dass es sich nicht um mehrere unter­schied­liche Fragen handeln darf, die zu einem komplexen Paket geschnürt werden (Kopplungs­verbot). Wenn der Bürger­ent­scheid doch mehrere Fragen enthält, so müssen jeden­falls in einem engem Sachzu­sam­menhang stehen. Schließlich können die Bürger die Fragen bei der Entscheidung auch nur gemeinsam mit einer „Ja“-/„Nein“-Entscheidung beant­worten. Diesen Zusam­menhang hat das Gericht beim Radent­scheid Bochum verneint, da sieben unter­schied­liche Maßnahmen zur Abstimmung stehen sollten, darunter der Ausbau der Radin­fra­struktur, Freigabe von Einbahn­straßen in die Gegen­richtung oder sicherer Umbau von Kreuzungsbereichen.

Für die Initia­tiven zu Radent­scheiden ist die Entscheidung sicher enttäu­schend. Aller­dings ist sie auch vor dem Hinter­grund einer klaren demokra­ti­schen Verant­wortung der Kommunen zu sehen, die zwar einzelne, klar abgrenzbare Fragen den Bürgern zur Entscheidung überant­worten können. Die Entscheidung über komplexere Programme, die häufig auch noch weiterer Umset­zungs­ent­schei­dungen bedürfen, sollte aber dem Gemein­derat vorbe­halten sein, um die Verant­wortung der gewählten Reprä­sen­tanten klar zu halten. (Olaf Dilling)

 

 

2024-07-05T04:25:41+02:005. Juli 2024|Kommentar, Kommunalrecht, Rechtsprechung, Verkehr|