Teurer (Zweit)tarif für Neukunden des Grundversorgers?

Das Thema Grund­ver­sorgung lässt uns diese Woche nicht los. Schuld daran ist die derzeit völlig atypische Situation am Energie­markt, bei der einige Versorger wegen Fehlkal­ku­la­tionen womöglich sogar gezielt versuchen Kunden loszu­werden und andere Versorger keine neuen Kunden mehr aufnehmen wollen.

Diese Entwicklung belastet dann am Ende womöglich die gesetz­lichen Grund­ver­sorger, die zur Ablehnung von Neukunden grund­sätzlich nicht berechtigt sind und sich womöglich in kurzer Zeit mit der Aufgabe konfron­tiert sehen, sehr viele Kunden in der Grund- oder Ersatz­ver­sorgung beliefern zu müssen – und für diese Kunden die benötigte Energie (teuer) kurzfristig zu beschaffen.

In dieser Situation stellt sich inter­es­sante die Frage, ob ein Grund­ver­sorger eigentlich berechtigt wäre, speziell für Neukunden einen geson­derten (teureren) Grund­ver­sor­gungs­tarif aufzulegen.

An der Zuläs­sigkeit mehrerer Grund­ver­sor­gungs­tarife des selben Grund­ver­sorgers würde es jeden­falls nicht scheitern, denn hier hat die höchst­rich­ter­liche Recht­spre­chung entschieden, dass ein Grund­ver­sorger mehrere Tarife anbieten darf.

Zudem unter­liegt der Anfangs­preis – also der Preis zu dem ein Kunde in den Grund­ver­sor­gungs­tarif einsteigt keiner staat­lichen Regulierung und nach ständiger Recht­spre­chung auch keiner gericht­lichen Gesamt­preis­kon­trolle, da der vertrag­liche Anfangs­preis als vertraglich frei vereinbart gilt (Preis­so­ckel­theorie des BGH) Ein Kunde wäre also nicht berechtigt direkt ab Vertrags­beginn den vom Versorger verlangten Grund­ver­sor­gungs­preis als unbillig überhöht zu beanstanden. Das Argument (bisher) dahinter: Der Kunde ist ja nicht gezwungen einen Grund­ver­sor­gungs­vertrag abzuschließen. Die entspre­chende Recht­spre­chung stammt jedoch aus Zeiten eines „normalen“ wettbe­werb­lichen Energie­marktes – eine Änderung ist also theore­tisch möglich.

Aber auch eine Ausweitung der gericht­lichen Preis­kon­trolle ausnahms­weise auf den Gesamt­preis, würde an der Zuläs­sigkeit des Preises dann nichts ändern, wenn dieser nachvoll­ziehbar kalku­liert einfach die aktuell hohen Beschaf­fungs­kosten für die von den Neukunden benötigten Energie­mengen wider­spiegeln. Man könnte argumen­tieren, dass die höheren Kosten für die teure Energie­be­schaffung der Neukunden als gestiegene Beschaf­fungs­kosten auf alle Kunden – inklusive Bestands­kunden – verteilt werden müssen. Das wiederum würde aller­dings die Bestands­kunden benach­tei­ligen, deren Energie­ver­sorgung der Grund­ver­sorger eigentlich kosten­güns­tiger durch langfristige Beschaffung absichern konnte.

Wohin also mit den hohen Kosten für Neukunden? Gesamt­ver­teilung oder Verur­sa­cher­prinzip mit geson­dertem Tarif? Die Rechts­fragen sind offen und unserer Kommen­tar­be­reich ist es auch. Was denken Sie?

(Christian Dümke)

Am 23.11.2021 referiert Dr. Christian Dümke online von 10.00 Uhr bis 12.00 Uhr über Preis­an­pas­sungen Strom und Gas. Infos und Anmel­dungen hier.
2021-11-18T22:12:43+01:0018. November 2021|Gas, Strom, Vertrieb|

Entwurf zur Änderung der Grund­ver­sor­gungs­ver­ord­nungen mit neuen Regelungen zur Versorgungsunterbrechung

Wer dachte nach der Novel­lierung des EnWG, dem Gesetz für faire Verbrau­cher­ver­träge und Änderungen im Recht der Wärme­ver­sorgung kommt der Gesetz­geber zur Ruhe irrt. Mit dem Entwurf einer „Verordnung zur Anpassung der Strom­grund­ver­sor­gungs­ver­ordnung und der Gasgrund­ver­sor­gungs­ver­ordnung an unions­recht­liche Vorgaben“ ist noch ein weiteres Projekt in der Pipeline, dass den spezi­ellen Rechts­rahmen der gesetz­lichen Grund­ver­sorgung betrifft.

Die geplanten Änderungen spiegeln in weiten Teilen wieder, was über die Änderungen des EnWG bereits für Kunden außerhalb der Grund­ver­sorgung gilt. Weitrei­chende Änderungen gibt es aller­dings beim Rechts­rahmen zur Unter­bre­chung der Versorgung nach § 19 StromGVV / GasGVV. Hier sind laut Entwurf folgende Änderungen geplant:

Hinweis auf Unverhältnismäßigkeitsgründe

Der Grund­ver­sorger muss den Kunden laut Entwurf künftig im Rahmen der Sperr­an­drohung aktiv darauf hinweisen, dass dieser Gründe für die Unver­hält­nis­mä­ßigkeit der Unter­bre­chung vortragen kann, um die Sperrung abzuwenden (§ 19 Abs. 2 S. 4 n.F.).

Sperr­summe

Weiterhin soll die Regelung zur Höhe des Zahlungs­aus­falls, der den Grund­ver­sorger zur Sperrung berechtigt angepasst werden.

Wegen Zahlungs­ver­zuges darf der Grund­ver­sorger eine Unter­bre­chung nach dem geplanten Entwurf künftig nur durch­führen lassen, wenn „der Kunde nach Abzug etwaiger Anzah­lungen in Verzug ist mit Zahlungs­ver­pflich­tungen in Höhe des Doppelten der rechne­risch auf den laufenden Kalen­der­monat entfal­lenden Abschlags- oder Voraus­zahlung oder, für den Fall, dass keine Abschlags- oder Voraus­zah­lungen zu entrichten sind, mit mindestens einem Sechstel des voraus­sicht­lichen Betrages der Jahres­rechnung. Dabei muss der Zahlungs­verzug des Kunden mindestens 100 Euro be-
tragen

Frist zur Ankündigung

Der Beginn der Unter­bre­chung der Grund­ver­sorgung ist dem Kunden
laut Entwurf künftig „acht Werktage im Voraus durch brief­liche Mitteilung anzukün­digen. Zusätzlich soll die Ankün­digung nach Möglichkeit auch auf elektro­ni­schem Wege in Textform erfolgen“. Bisher gilt für die Ankün­digung des Unter­bre­chungs­be­ginns eine Frist von 3 Tagen.

Abwen­dungs­ver­ein­barung

Zudem muss dem Kunden vom Grund­ver­sorger künftig eine „Abwen­dungs­ver­ein­barung“ angeboten werden. Das Angebot für die Abwen­dungs­ver­ein­barung hat dabei Folgendes zu beinhalten:

Eine zinsfreie Raten­zah­lungs­ver­ein­barung über ermit­telten Zahlungs­rück­stände sowie
eine Weiter­ver­sorgung auf Voraus­zah­lungs­basis. Die dem Kunden angebotene Raten­zah­lungs­ver­ein­barung muss so gestaltet sein, dass der Kunde sich dazu verpflichtet, die Zahlungs­rück­stände in einem für den Grund­ver­sorger sowie für den Kunden wirtschaftlich zumut­baren Zeitraum vollständig auszu­gleichen. Als in der Regel zumutbar ist ein Zeitraum von sechs bis 18 Monaten anzusehen. Nimmt der Kunde das Angebot vor Durch­führung der Unter­bre­chung in Textform an, darf die Versorgung durch den Grund­ver­sorger nicht unter­brochen werden.

Kosten­hinweis

In einer Unter­bre­chungs­an­drohung und in der Ankün­digung des Unter­bre­chungs­be­ginns muss künftig klar und verständlich sowie in hervor­ge­ho­bener Weise auf den Grund der Unter­bre­chung sowie hinge­wiesen werden sowie, welche voraus­sicht­lichen Kosten dem Kunden infolge der Unter­bre­chung und infolge einer nachfol­genden Wieder­her­stellung nach in Rechnung gestellt werden können.

(Christian Dümke)

2021-11-18T08:27:18+01:0018. November 2021|Gas, Grundkurs Energie, Strom, Vertrieb|

Das Netzgebiet des Grund­ver­sorgers: Zu BVerwG 8 C 2.21

Wer in einem Netzgebiet der allge­meinen Versorgung die meisten Kunden versorgt, ist nach § 36 Abs. 2 Energie­wirt­schafts­gesetz (EnWG) Grund­ver­sorger (zum Grund­ver­sorger haben wir uns hier geäußert). Doch was ist ein Netzgebiet der allge­meinen Versorgung? Darüber hatte das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) am 26. Oktober 2021 zu entscheiden (BVerwG 8 C 2.21).

Die Klägerin betrachtete sich in einer ganzen baden-württem­ber­gi­schen Gemeinde als Grund­ver­sor­gerin, weil sie im gesamten Gemein­de­gebiet die meisten Haushalts­kunden hätte. Doch das beklagte Umwelt­mi­nis­terium Baden-Württemberg sah das anders: Es zählte vor Ort die Konzes­si­ons­ver­träge, kam auf „drei“, und prüfte für jedes einzelne Gebiet, für das ein Konzes­si­ons­vertrag existiert, wer die meisten Haushalts­kunden versorgt. Danach stellte die Behörde mit Bescheid vom 13.02.2019 fest: In einem der drei Konzes­si­ons­ge­biete war die spätere Klägerin in der Tat Grund­ver­sor­gerin, aber in den beiden anderen nicht. Hier hatte jeweils ein andere Unter­nehmen die Nase vorn.

Die Klägerin sah das nicht ein: Sie war nämlich in allen drei Konzes­si­ons­ge­bieten Konzes­sio­närin und ging deswegen davon aus, dass die drei galva­nisch zusam­men­hän­genden Gebiete wegen der Zustän­digkeit des gleichen Netzbe­treibers als ein Netzgebiet zu betrachten seien. Die Klägerin zog deswegen gegen den Bescheid des Landes vor Gericht: Das Netzgebiet der allge­meinen Versorgung in § 36 Abs. 2 S. 1 EnWG sei nicht identisch mit dem Begriff des Energie­ver­sor­gungs­netzes der allge­meinen Versorgung in § 36 Abs. 2 Satz 2 EnWG.

Bundesverwaltungsgericht, Architektur, Gericht

Das angerufene Verwal­tungs­ge­richt (VG) Stuttgart wies die Klage ab. Das Netzgebiet der allge­meinen Versorgung sei stets das Netzgebiet, für das es einen Konzes­si­ons­vertrag gibt. Das VG führte aus, dass es zwar mehrere Rechts­an­sichten zu dieser Frage gibt, aber die Kammer war überzeugt, dass v. a. syste­ma­tisch die Anzahl der Konzes­si­ons­ver­träge maßgeblich sei (VG Stuttgart, Urt. v. 20.10.2020, 18 K 1797/19).

Das VG ließ die Sprung­re­vision zu, weil die Sache grund­sätz­liche Bedeutung habe. Es gab nämlich bisher noch keine höchst­rich­ter­liche Recht­spre­chung in dieser Sache. Nun hat sich das BVerwG dem VG Stuttgart angeschlossen: Auch die Leipziger Richter meinen, dass es pro Konzes­si­ons­vertrag einen Grund­ver­sorger gibt, also benach­barte Grund­ver­sor­gungs­ge­biete desselben Konzes­sionärs nicht „zusam­men­zu­fassen“ sind. Das begründet das Gericht nicht nur mit der Syste­matik des EnWG, sondern auch mit dem Ziel einer effizi­enten Energie­ver­sorgung und der Sicher­stellung eines wirksamen und unver­fälschten Wettbe­werbs (Miriam Vollmer).