Streit um geteilten Tarife der Grund­ver­sorgung geht in die nächste Runde

In den Streit um die Zuläs­sigkeit von geson­derten Grund­ver­sor­gungs­ta­rifen für Neukunden (mehr zum Hinter­grund hier und hier) kommt offenbar Bewegung. Zunächst hatten sich nur verschiedene Stimmen in diesem Streit artiku­liert und positioniert.

Die Spaltung der Grund­ver­sorgung in Neu- und Bestandskund:innen wider­spricht unserem Verständnis des freien Marktes und der Libera­li­sierung im Energie­markt deutlich. Eine Bestrafung oder Schika­nierung von Kunden­kreisen, die ihren Anbieter gewechselt haben, kriti­sieren wir“ lässt der Vorstand der Verbrau­cher­zen­trale NRW  verlauten.

Der VKU sieht das Handeln der Grund­ver­sorger „im Einklang mit den bestehenden recht­lichen Regelungen“ zeigt sich für eine mögliche gericht­liche Überprüfung optimis­tisch. Der bayerische Landes­verband des BDEW hat die Bundes­netz­agentur kriti­siert und Den Vorwurf erhoben, die Aufsichts­be­hörde lege die Hände in den Schoß statt unseriöse Billig­ver­triebe aus dem Verkehr zu ziehen.

Auch dies Kartell­be­hörde in NRW wertet die Praxis der Grund­ver­sorger als grund­sätzlich unproblematisch.

Die Monopol­kom­mission vermutet bei einigen Versorgern Preis­miss­brauch, aller­dings zielt dies auf die Höhe der von Neukunden verlangten Preise ab, stellt aber das grund­sätz­liche System der Tarif­spaltung nicht in Frage.

Der Verfasser dieser Zeilen hatte sich gegenüber der FAZ für eine grund­sätz­liche Zuläs­sigkeit der Tarif­spaltung ausgesprochen.

Die EWE hatte zuletzt verkündet, dass Sie selbst eine Aufteilung der Grund­ver­sor­gungs­tarife nach interner recht­licher Prüfung für unzulässig hält – ohne die Rechts­auf­fassung jedoch näher zu begründen.

Die Verbrau­cher­zen­trale NRW möchte jetzt offenbar rasch eine gericht­liche Klärung herbei­führen und hat gegen drei Energie­ver­sorger den erlass einer einst­wei­ligen Verfügung beantragt. Es ist daher zu erwarten, dass wir in nächster Zeit zumindest auch Meinungen aus der Recht­spre­chung zur Kenntnis nehmen können. Man muss das so vorsichtig, formu­lieren, weil es sich bei den einge­lei­teten Verfahren um Eilver­fahren handelt, bei denen nach summa­ri­scher Prüfung entweder eine vorläufige Entscheidung des Gerichts ergeht („Einst­weilige Verfügung“) oder der Antrag als unbegründet abgewiesen wird.

Gegen die Entscheidung in einem solchen Verfahren stehen jeder Partei dann noch Rechts­mittel zum jewei­ligen Oberlan­des­ge­richt als Kontroll­in­stanz zu, was das Verfahren bis zu einer endgül­tigen Entscheidung nochmals verlängern könnte. Darüber hinaus kann über den Streit­ge­gen­stand dann noch ein reguläres Haupt­sa­che­ver­fahren geführt werden.

Das Thema ist spannend – und wir bleiben dran.

(Christian Dümke)

2022-01-26T22:21:17+01:0026. Januar 2022|Allgemein, Vertrieb|

Basis­wissen Grund­ver­sorgung und Ersatz­ver­sorgung Teil 1

Durch die aktuelle Energie­preis­krise verlieren derzeit viele Kunden ihren bishe­rig­en­Ener­gie­ver­sorger (durch Kündigung, Insolvenz oder sonstige Liefer­pro­bleme) und landen dann in der Grundversorgung…oder der Ersatz­ver­sorgung? Wo liegt da eigentlich der Unter­schied? Wir erklären es:

Die Grund­ver­sorgung (§ 36 EnWG)

Ein Energie­lie­fer­vertrag im Rahmen der Grund­ver­sorgung ist rechtlich gesehen zunächst einmal ein ganz normaler Vertrag, der wie jeder Vertrag durch Angebot und Annahme zustande kommt. Daher landet rechtlich gesehen auch niemand „automa­tisch“ oder verse­hentlich in der Grund­ver­sorgung. Eine Belie­ferung im Rahmen der Grund­ver­sorgung bedarf immer eines entspre­chenden Vertrages zwischen dem Grund­ver­sorger und dem Kunden.

Eine Beson­derheit der gesetz­lichen Grund­ver­sorgung ist aller­dings der Umstand, dass der entspre­chende Vertrag zwischen dem Kunden und dem Grund­ver­sorger nicht nur schriftlich, oder in Textform geschlossen werden kann, sondern auch konkludent durch „schlüs­siges Handeln“ des Kunden. Konkret dadurch dass der Kunde einfach Strom oder Gas aus dem Netz entnimmt, sofern diese Entnahme nicht bereits durch einen anderen Liefer­vertrag abgedeckt ist. Das ist für den Kunden von Vorteil, da er an einem ungesperrten Anschluss damit faktisch immer Zugriff auf Energie hat, ohne vorher umständlich einen schrift­lichen Vertrag abschließen zu müssen.

Die Aufgabe des Grund­ver­sorgers übernimmt pro Netzgebiet derjenige Lieferant, der dort die meisten Kunden beliefert. Dies wird alle 3 Jahre vom örtlichen Netzbe­treiber geprüft und ggf. neu vergeben.

Die Grund­ver­sorgung steht allen Kunden offen, die Energie entweder privat verbrauchen oder aber einen gewerb­liche Nutzung von nicht mehr als 10.000 kWh/Jahr aufweisen. Das Energie­recht nennt diese Kunden „Haushalts­kunden“. Der Grund­ver­sorger unter­liegt gegenüber diesen Haushalts­kunden einem Kontra­hie­rungs­zwang. Er kann also – anders als andere Energie­ver­sorger – grund­sätzlich nicht frei entscheiden, ob er den Grund­ver­sor­gungs­vertrag einem Kunden anbieten möchte oder nicht. Lediglich im Ausnah­mefall der Unmög­lichkeit oder der wirtschaft­lichen Unzumut­barkeit kann der Grund­ver­sorger die Belie­ferung eines Kunden ablehnen.

Die inhalt­lichen Vertrags­be­din­gungen der Grund­ver­sorgung kann der Grund­ver­sorger nicht frei gestalten, sondern sie sind vom Gesetz­geber durch die StromGVV und die GasGVV weitest­gehend vorge­geben und gelten automa­tisch. Der Grund­ver­sorger muss die von ihm angebo­tenen Grund­ver­sor­gungs­preise öffentlich bekannt geben und auf seiner Website veröffentlichen.

Die Preise unter­liegen dabei keiner staat­lichen Festlegung. Der Grund­ver­sorger nimmt am normalen Preis­wett­bewerb der Versorger teil, denn natürlich können seine Kunden kündigen und statt einem Grund­ver­sor­gungs­vertrag ander­weitige Verträge mit anderen Liefe­ranten abschließen. Auch dem Grund­ver­sorger ist es erlaubt, neben seinem Grund­ver­sor­gungs­tarif auch noch weitere Tarife anzubieten. Um diese vonein­ander abzugrenzen schreibt das EnWG eine Kennzeich­nungs­pflicht vor (§ 41 Abs. 1 Nr. 6 EnWG).

Im nächsten Teil wenden wir uns dann Ersatz­ver­sorgung zu.

(Christian Dümke)

2022-01-11T18:16:53+01:0011. Januar 2022|Grundkurs Energie, Vertrieb|

Ist der Grund­ver­sorger ein markt­be­herr­schendes Unternehmen?

Der Grund­ver­sorger hat im energie­recht­lichen Wettbewerb eine gewisse Sonder­stellung inne. Er unter­liegt in Wahrnehmung seiner Grund­ver­sor­gungs­pflicht einem Kontra­hie­rungs­zwang und muss jedermann im Netzgebiet zu den von ihm angebo­tenen und veröf­fent­lichten allge­meinen Preisen der Grund­ver­sorgung beliefern (§ 36 EnWG).

Der Grund­ver­sorger hat über die Regelungen der Strom- und GasGVV, wonach ein Vertrag mit dem Grund­ver­sorger bereits durch faktische Strom­ent­nahme zustande kommen kann praktisch einen „Erstzu­griff“ auf alle Kunden, die sich nicht aktiv einen Versorger zur Belie­ferung außerhalb der Grund­ver­sorgung gesucht haben.

Pro Netzgebiet gibt es dabei nur einen Grund­ver­sorger, daher stellt sich die Frage, ob der Grund­ver­sorger aus seiner Position heraus ein markt­be­herr­schendes Unter­nehmen darstellt – mit allen daraus verbun­denen Konsequenzen.

Der Begriff des markt­be­herr­schenden Unter­nehmens ist definiert in § 18 Abs. 1 des Gesetz gegen Wettbe­werbs­be­schrän­kungen (GWB). Ein Unter­nehmen gilt hiernach als markt­be­herr­schend, soweit es als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerb­lichen Leistungen auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt ohne Wettbe­werber ist, keinem wesent­lichen Wettbewerb ausge­setzt ist oder eine im Verhältnis zu seinen Wettbe­werbern überra­gende Markt­stellung hat.

Für den Grund­ver­sorger lässt sich zunächst feststellen, dass er auf dem Energie­markt in seinem Netzgebiet regel­mäßig sehr wohl dem Wettbewerb um Kunden durch andere Energie­ver­sorger ausge­setzt ist. Jeder Kunde kann heute aus einer Vielzahl von Energie­ver­sorgern wählen und ist daher nicht auf eine Belie­ferung durch den Grund­ver­sorger angewiesen.

Ob eine im Verhältnis zu seinen Wettbe­werbern überra­gende Markt­stellung besteht ist im Einzelfall für das konkrete Netzgebiet zu prüfen. Aus dem Umstand, dass die Rolle des Grund­ver­sorgers jeweils für 3 Jahre das Unter­nehmen erhält, dass die meisten Kunden im Netzgebiet versorgt, kann eine überra­gende Markt­stellung jeden­falls nicht automa­tisch abgeleitet werden, denn auch ein Versorger mit 20 % Markt­anteil kann Grund­ver­sorger sein, solange sein Markt­anteil nur größer ist als der anderer Versorger.

Ist die Frage damit geklärt? Nicht ganz: Das Bundes­kar­tellamt unter­stellt nämlich, dass es sich bei der Grund­ver­sorgung im Rahmen der sachlichen Markt­ab­grenzung um einen eigenen abgrenz­baren Markt handelt. Der Markt für die Belie­ferung von SLP-Kunden in der Grund­ver­sorgung umfasse hiernach alle
Letzt­ver­braucher, deren Verbrauch von elektri­scher Energie auf der Basis eines Standard­last­profils ohne regis­trie­rende Leistungs­messung und zu Allge­meinen Preisen im Sinne des § 36 Abs. 1 EnWG und des § 38 Abs. 1 EnWG abgerechnet wird (8. Beschluss­ab­teilung, Beschluss vom 08.12.2011, B8-94/11, Rdn. 34). Nach Praxis der Beschluss­ab­teilung werden folgende Märkte abgegrenzt:

• Markt für den erstma­ligen Absatz von Strom,
• Markt für die Belie­ferung von RLM-Kunden,
• Markt für die Belie­ferung von SLP-Kunden auf Grundlage von Sonderverträgen,
• Markt für die Belie­ferung von SLP-Kunden in der Grundversorgung,
• Markt für die Belie­ferung von SLP-Kunden mit Heizstrom.

Durch diese Aufspaltung des Marktes für SLP Kunden lässt sich eine Markt­be­herr­schung tatsächlich konstruieren.

Ebenso ist die Landes­kar­tell­be­hörde Nieder­sachsen im Jahr 2018 verfahren, als sie unter Berufung auf § 29 GWB mehrere Grund­ver­sorger zur Senkung ihrer Energie­preise verpflichtete (wir berich­teten kritisch).

An dieser Aufspal­tungs­be­trachtung fragwürdig ist der Umstand, dass der SLP-Kunde über beide Märkte versorgt werden kann und er auf den „sachlichen Markt der Grund­ver­sorgung“ gerade nicht angewiesen ist.

(Christian Dümke)

2021-11-23T20:54:07+01:0023. November 2021|Grundkurs Energie, Vertrieb|