#FitFor55: Was wird aus dem ETS?

Von ursprünglich 40% Minderung bis 2030 gegenüber dem Jahr 1990 hat die EU ihr Klimaziel im Dezember 2020 auf 55% verschärft. Klar, dass der bis dato geltende recht­liche Rahmen nun auch einer Nachbes­serung bedarf. Hier liegt nun seit Mittwoch, dem 14. Juli 2021, ein ganzes Paket der Kommission auf dem Tisch. Wir stellen die wesent­lichen Inhalte und ihre Konse­quenzen in loser Folge vor.

Wie es mit dem EU-Emissi­ons­handel weiter­gehen soll, war schon im Vorfeld teilweise durch­ge­si­ckert. Nun liegt der Vorschlag der Kommission auf dem Tisch. Geht es nach der Brüsseler Behörde, so stehen der europäi­schen Industrie und den großen, fossilen Kraft­werks­an­lagen harte Zeiten bevor: Der Löwen­anteil der zusätz­lichen Minde­rungen soll von den emissi­ons­han­dels­pflich­tigen Anlagen erbracht werden. Statt – wie bisher – Emissionen bis 2030 um 43% gg. 2005 zu senken, soll nun von den rund 10.000 ETS-Anlagen in der EU um 62% gg. 2005 gemindert werden. 2050 soll der Emissi­ons­handel dann enden: In diesem Jahr soll die Menge der in Umlauf gebrachten Emissi­ons­be­rech­ti­gungen die Nulllinie erreichen. Die europäische Industrie hat also nicht mehr ganz 30 Jahre Zeit, sich vollständig zu dekar­bo­ni­sieren. Dabei wird der Emissi­ons­handel weiter wachsen, denn auch die Seeschiff­fahrt soll einbe­zogen werden.

Die Verschärfung des Minde­rungs­ziels wird in einer steileren Abschmelzung des Budgets abgebildet: Die insgesamt pro Jahr in Umlauf gebrachte Zerti­fi­kat­menge sinkt nicht mehr wie aktuell um „nur“ 1,6% pro Jahr, sondern um 4,2%. Dabei wird ab 2021 gerechnet. Gleich­zeitig wird die Markt­sta­bi­li­täts­re­serve refor­miert und die Umlauf­menge auch auf diesem Wege faktisch knapp gehalten.

Bagger, Braunkohle, Tagebau, Schaufelradbagger, Riesen

Nicht überra­schend: Die Kommission will nicht nur die Gesamt­menge verringern. Sondern auch die kosten­losen Zutei­lungen auch für die energie­in­tensive Industrie auslaufen lassen. Immerhin, der Entwurf sieht Nullzu­tei­lungen nun erst 2036 vor. Von 2026 an bis 2036 soll dies über eine jährliche Kürzung der Zutei­lungen um jeweils weitere 10% abgewi­ckelt werden.

Die Bench­marks als Basis der Zuteilung werden künftig um jährlich maximal 2,5% statt 1,6% gekürzt. Schon bald sind die Zerti­fikate also faktisch nur noch symbo­lisch, Unter­nehmen müssen also mit erheb­lichen Mehrkosten rechnen, zumal die Zerti­fikate wegen des steilen Minde­rungs­pfades nun sehr schnell erheblich teurer werden.

Diese steigenden Preise werden – und sollen – in erhöhte Produk­preise münden. Anders als in der Vergan­genheit will die Kommission aber die Wettbe­werbs­fä­higkeit der Industrie nicht über höhere Zutei­lungen schützen, sondern über einen Grenz­steu­er­aus­gleich (hierzu detail­liert demnächst).

Was bedeutet das nun für Praxis? Vor allem eins: Die ETS-Kosten steigen schnell und steil. Wer bisher nicht mit EUA kalku­liert hat, muss dies schleu­nigst nachholen. Jeder Anlagen­be­treiber sollte seine Beschaf­fungs­stra­tegie anpassen. Auch auf Inves­to­ren­seite sind Anlagen­stra­tegien an die verän­derte Lage zu adaptieren: Hier geht es nicht mehr um „ein bisschen mehr vom Gleichen“. Fast 20% mehr Minderung bis 2030 sind ein vertabler Gamech­anger. Zwar ist das Paket noch längst nicht verhandelt. Zumindest kleinere Änderungen sind noch durchaus möglich und wahrscheinlich. Doch da 15% mehr Minderung ja nicht vom Himmel fallen werden, ist ein echtes Zurück­rudern der KOM unwahr­scheinlich. Gleichwohl: Sich in die laufende Konsul­tation einzu­bringen, ist sinnvoll (Miriam Vollmer).

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2021-07-26T20:48:43+02:0020. Juli 2021|Emissionshandel, Industrie, Strom, Umwelt|

Keine Auslastung von mehr als 100%: Zu EuGH v. 3.12.2020, C‑320/19

Die 3. Handel­s­pe­riode von 2013 bis 2020 ist vorbei, aber ganz kurz vor Schluss hat der EuGH noch eine Entscheidung zur Auslegung der Regelungen über Zutei­lungen für neue Markt­teil­nehmer der 3. Handel­s­pe­riode getroffen (C‑320/19):

Die Ingredion GmbH unterhält eine Anlage, die seit einigen Jahren eine neue Lufter­wär­mungs­anlage und einen neuen Dampf­erzeuger umfasst. Für diese neuen Kapazio­täten beantragte sie eine Mehrzu­teilung, u. a. für ein Zutei­lungs­element mit Brenn­stoff­emis­si­onswert. Für dieses Zutei­lungs­element gibt es keinen vorab festge­legten Auslas­tungs­faktor, er wurde anlagen­spe­zi­fisch festgelegt. Basis waren die Angaben des Anlagen­be­treibers über die zu erwar­tende durch­schnitt­liche Auslastung bis einschließlich 2020.

Die Ingredion GmbH gab einen Wert an, der vor Gericht sachlich nicht in Frage gestellt wurde. Aller­dings: Die instal­lierte Anfangs­ka­pa­zität des neuen Zutei­lungs­ele­ments war niedriger! Das klingt auf den ersten Blick überra­schend bis unglaublich, denn wie soll eine Anlage mehr produ­zieren als ihre Kapazität es erlaubt? Hinter­grund ist aber der vom üblichen Sprach­ge­brauch abwei­chende Begriff der instal­lierten Anfangs­ka­pa­zität in § 16 Abs. 4 ZuV 2020. Danach handelt es sich  bei dieser nicht um die maximale technische und recht­liche Produktion. Sondern um den Durch­schnitt der zwei höchsten Monats­pro­duk­ti­ons­mengen innerhalb des durch­gän­gigen 90-Tage-Zeitraums nach Aufnahme des Regel­be­triebs, der wiederum als der erste Tag eines durch­gän­gigen 90-Tage-Zeitraums definiert war, in dem die Anlage mit durch­schnittlich mindestens 40 Prozent der Produk­ti­ons­leistung arbeitete, § 2 Nr. 2 ZuV 2020. Damit kann es also gut sein, dass die instal­lierte Anfangs­ka­pa­zität nur einen Teil des techni­schen Maximums abdeckt und bis zum Ende des Jahres 2020 mehr produ­ziert werden sollte und wurde. Genau dies trug die Ingredion vor: Sie wollte einen maßgeb­lichen Auslas­tungs­faktor von 109%. Die DEHSt aber gestand der Ingredion nur 99,9% zu. Mehr als 100% könne es nicht geben. Die Ingredion ging vor Gericht.

Justitia, Sternzeichen, Tierkreiszeichen, Waage

Das VG Berlin hatte Zweifel an der Richtigkeit der Auslegung durch die Behörde und legte die Frage, ob 100% hier wirklich die Obergrenze darstellt, dem EuGH vor. Diese rentschied nun kurz vor Schluss der 3. Handel­s­pe­riode, dass 100% tatsächlich die Obergrenze darstellten. Dabei verwies der Gerichtshof insbe­sondere auf die maßgeb­lichen Auslas­tungs­fak­toren für Zutei­lungs­ele­mente mit Produk­temis­si­ons­bench­marks, von denen keiner mehr als 100% betrug.

Letztlich ist dieses Urteil gerade angesichts der mindestens schrägen Definition der instal­lierten Anfangs­ka­pa­zität keine überzeu­gende Entscheidung. Indes: Für die 4. Handel­s­pe­riode kommt es nun nicht mehr auf diese sehr kompli­zierten Defini­tionen an. Künftig geht es um Auslas­tungs­zu­wächse. Damit hat die Entscheidung nur noch rechts­his­to­ri­schen Charakter (Miriam Vollmer).

2021-04-27T00:18:46+02:0027. April 2021|Emissionshandel|

WWF-Studie zur Reform des Emissionshandels

Immerhin: Ein CO2-Preis von nur 5 EUR, wie es ihn in den Anfangs­jahren des Instru­ments gab, ist dank des Markt­sta­bi­li­täts­me­cha­nismus heute ausge­schlossen (hier erläutert). Bevor so viele ungenutzte Zerti­fikate den Markt überschwemmen, werden sie auf einem Kommis­si­ons­konto „geparkt“.

Gleichwohl entfaltet der Emissi­ons­handel nicht die Wirkung, die sich die Kommission erhofft hat. Erneut zeigt sich: Das Instrument ist auch aufgrund seiner lange Planungs­zyklen für unvor­her­ge­sehene Entwick­lungen – wie aktuell die Pandemie – zu schwer­fällig. Das Öko-Institut hat deswegen nun im Auftrag des WWF unter­sucht, wie das Instrument ertüchtigt werden könnte. Dabei hat der Think Tank zum einen unter­sucht, wie der Emissi­ons­handel aussehen müsste, wenn das Klimaziel nicht mehr nur 55% gegenüber 1990 (wie aktuell disku­tiert), sondern das ETS-Ziel 65% bzw. 70% gegenüber 2005 betragen würde, zum anderen, wie die Markt­sta­bi­li­täts­re­serve ausge­staltet werden könnte.

Ausgangs­punkt der Überle­gungen sind nicht nur steigende Einspar­ziele, sondern auch Überschüsse, die wegen der Corona-Pandemie anfallen, weil die Emissionen pande­mie­be­dingt niedriger sind als gewöhnlich. Um zu verhindern, dass diese Überschüsse den ETS lähmen, schlägt das Gutachten vor, ab 2023 das Cap – also die verfüg­baren Zerti­fikate – zu verringern („Rebasing“) und den linearen Faktor, um den die Zerti­fikate verringert werden, so zu senken. Heute beträgt er 2,2%, er würde je nach Szenario kräftig steigen, schon 2023 auf bis zu 5,15% je nach unter­schied­lichem Ausgangsniveau.

Raffinerie, Industrie, Dampf, Umweltschutz

Die Studie schlägt weiter vor, statt einer Verrin­gerung der Aufnah­merate bei Überschreitung von 833 Mio. Umlauf­zer­ti­fi­katen auf 12% statt 24% im Jahre 2024 wie aktuell geplant auszu­setzen und entweder bei 24% zu bleiben oder auf 36% zu erhöhen. Zudem soll es aber auch nicht bei 833 Mio. bleiben. Vielmehr müsste hier die Menge dem verrin­gerten Cap angepasst werden, die Studie schlägt sogar vor, 2030 die Schwelle auf null festzu­setzen, was zu einer radikalen Abschmelzung der Mengen führen würde. Zudem sollten Zerti­fikate, die 5 Jahre in der Markt­sta­bi­li­täts­re­serve liegen, gelöscht werden. Zuletzt schlägt das Gutachten einen ergän­zenden CO2-Mindest­preis vor.

Was bedeutet das nun für die Praxis? Es ist schwer absehbar, wie sich diese Pläne auf die Kurse auswirken würden. Das hängt an vielfachen externen Faktoren. Doch klar ist schon: Es wird zunehmend eng und teuer, selbst für die bisher recht glimpflich behan­delte Industrie. Wer in der 2. Hälfte dieses Jahrzehnts in der EU produ­zieren will, muss sich auf Rahmen­be­din­gungen einstellen, die deutlich andere sein werden als aktuell. Nun ist der WWF nicht die EU. Doch das Gutachten zeigt, in welche Richtung sich die Diskussion über die ab Sommer anste­hende Reform der Emissi­ons­han­dels­richt­linie 2003/87/EU entwi­ckeln könnte.

 

2021-04-21T17:31:52+02:0021. April 2021|Allgemein, Emissionshandel, Energiepolitik|