TEHG und Insolvenz: Den Letzten beißen die Hunde

Ein Betreiber einer emissi­ons­han­dels­pflich­tigen Anlage meldete am 29. August 2019 Insolvenz an. Der neue Betreiber wollte aber nur für den Zeitraum Emissi­ons­be­rech­ti­gungen abgeben, in dem er die Anlage nach der Insolvenz betrieben hat. Die DEHSt verlangt von ihm indes auch für die ersten acht Monate des Jahres 2018 Zerti­fikate, die er – zur Vermeidung einer Straf­zahlung – erst einmal abgab und sie dann zurück­for­derte. Am 30. April 2021 wurde der Geschäfts­be­trieb dann eingestellt.

Das Verwal­tungs­ge­richt (VG) Berlin gab der Behörde nun mit Entscheidung vom 1. Juli 2021 recht (10 K 501.19) Nach Ansicht der Richter war der neue Betreiber für das ganze Jahr 2018 abgabe­pflichtig. Die Abgabe­pflicht treffe den letzten Betreiber der Anlage, der sogar auch ein Insol­venz­ver­walter sein könne. Insofern gilt hier: Den Letzten beißen die Hunde. Die Richter stützen dies auf den hier noch anwend­baren § 25 Abs. 1 S. 2 TEHG a. F., wo es hieß:

Der neue Betreiber übernimmt die noch nicht erfüllten Pflichten des ursprüng­lichen Betreibers nach den §§ 5 und 7.“

Eine zwischen­zeit­liche Insolvenz ändert nach Ansicht des Gerichts nichts an der vollen Abgabe­pflicht des früheren Betreibers. Der Anspruch der Bundes­re­publik auf Abgabe von Emissi­ons­be­rech­ti­gungen durch die Betreiber von TEHG-Anlagen sei nämlich etwas ganz anderes als andere Ansprüche, die im Insol­venzfall nur in dem im Umfang bestehen, in dem auch alle anderen zur Insol­venz­ta­belle angemeldete Forde­rungen befriedigt werden. Es handele sich in Hinblick auf den Insol­venzfall – dies ist einiger­maßen überra­schend – nicht um eine Forderung, die man in Geld umrechnen könne, sondern um eine quasi ordnungs­recht­liche Verpflichtung.

Labradoodle, Hund, Labrador, Maulkorb, Haltie, Zähne

Obiter dictum hat die Kammer sich auch zur aktuellen Rechtslage geäußert. § 25 TEHG hat nämlich inzwi­schen einen neuen Abs. 3, dessen Satz 2 lautet:

Soweit der Betrieb im Rahmen eines Insol­venz­ver­fahrens fortge­führt wird, bestehen die Verpflich­tungen des Betreibers aus diesem Gesetz fort.“

Die Klägerin dieses Verfahrens meinte, diese Neure­gelung führe dazu, dass Verbind­lich­keiten aus Zeiträumen vor der Insolvenz unter­gehen, das sah das Gericht als haltlos an.

Was bedeutet das nun für die Praxis? Insbe­sondere gibt es keinen „unbelas­teten“ Erwerb von Anlagen nach Insol­venz­ver­fahren. Bei der Frage, ob eine Anlage in oder nach einer Insolvenz weiter­be­trieben werden soll, muss also auch stets die Frage berück­sichtigt werden, wie viele Emissi­ons­be­rech­ti­gungen vorhanden sind und wie viel Zukauf nicht nur für den laufenden, sondern auch für den früheren Betrieb erfor­derlich ist (Miriam Vollmer).

Sie wollen mehr über die Reform des EU ETS erfahren? Wir schulen per Webinar am 6. September 2021, 10.00 Uhr bis 12.00 Uhr. EUR 150 zzgl. USt. Infos und Anmeldung finden Sie hier oder per E‑Mail an office@re-rechtsanwaelte.de.
Wenn Sie dagegen eine Grund­satz­schulung über den ETS suchen, sind Sie bei uns am 
6. Oktober 2021,10.00 Uhr bis 16.00 Uhr, richtig. EUR 400 zzgl. USt., Infos und Anmeldung finden Sie hier oder per E‑Mail an office@re-rechtsanwaelte.de

 

2021-08-06T12:20:36+02:006. August 2021|Emissionshandel, Umwelt, Verwaltungsrecht|

#FitFor55: Was wird aus dem ETS?

Von ursprünglich 40% Minderung bis 2030 gegenüber dem Jahr 1990 hat die EU ihr Klimaziel im Dezember 2020 auf 55% verschärft. Klar, dass der bis dato geltende recht­liche Rahmen nun auch einer Nachbes­serung bedarf. Hier liegt nun seit Mittwoch, dem 14. Juli 2021, ein ganzes Paket der Kommission auf dem Tisch. Wir stellen die wesent­lichen Inhalte und ihre Konse­quenzen in loser Folge vor.

Wie es mit dem EU-Emissi­ons­handel weiter­gehen soll, war schon im Vorfeld teilweise durch­ge­si­ckert. Nun liegt der Vorschlag der Kommission auf dem Tisch. Geht es nach der Brüsseler Behörde, so stehen der europäi­schen Industrie und den großen, fossilen Kraft­werks­an­lagen harte Zeiten bevor: Der Löwen­anteil der zusätz­lichen Minde­rungen soll von den emissi­ons­han­dels­pflich­tigen Anlagen erbracht werden. Statt – wie bisher – Emissionen bis 2030 um 43% gg. 2005 zu senken, soll nun von den rund 10.000 ETS-Anlagen in der EU um 62% gg. 2005 gemindert werden. 2050 soll der Emissi­ons­handel dann enden: In diesem Jahr soll die Menge der in Umlauf gebrachten Emissi­ons­be­rech­ti­gungen die Nulllinie erreichen. Die europäische Industrie hat also nicht mehr ganz 30 Jahre Zeit, sich vollständig zu dekar­bo­ni­sieren. Dabei wird der Emissi­ons­handel weiter wachsen, denn auch die Seeschiff­fahrt soll einbe­zogen werden.

Die Verschärfung des Minde­rungs­ziels wird in einer steileren Abschmelzung des Budgets abgebildet: Die insgesamt pro Jahr in Umlauf gebrachte Zerti­fi­kat­menge sinkt nicht mehr wie aktuell um „nur“ 1,6% pro Jahr, sondern um 4,2%. Dabei wird ab 2021 gerechnet. Gleich­zeitig wird die Markt­sta­bi­li­täts­re­serve refor­miert und die Umlauf­menge auch auf diesem Wege faktisch knapp gehalten.

Bagger, Braunkohle, Tagebau, Schaufelradbagger, Riesen

Nicht überra­schend: Die Kommission will nicht nur die Gesamt­menge verringern. Sondern auch die kosten­losen Zutei­lungen auch für die energie­in­tensive Industrie auslaufen lassen. Immerhin, der Entwurf sieht Nullzu­tei­lungen nun erst 2036 vor. Von 2026 an bis 2036 soll dies über eine jährliche Kürzung der Zutei­lungen um jeweils weitere 10% abgewi­ckelt werden.

Die Bench­marks als Basis der Zuteilung werden künftig um jährlich maximal 2,5% statt 1,6% gekürzt. Schon bald sind die Zerti­fikate also faktisch nur noch symbo­lisch, Unter­nehmen müssen also mit erheb­lichen Mehrkosten rechnen, zumal die Zerti­fikate wegen des steilen Minde­rungs­pfades nun sehr schnell erheblich teurer werden.

Diese steigenden Preise werden – und sollen – in erhöhte Produk­preise münden. Anders als in der Vergan­genheit will die Kommission aber die Wettbe­werbs­fä­higkeit der Industrie nicht über höhere Zutei­lungen schützen, sondern über einen Grenz­steu­er­aus­gleich (hierzu detail­liert demnächst).

Was bedeutet das nun für Praxis? Vor allem eins: Die ETS-Kosten steigen schnell und steil. Wer bisher nicht mit EUA kalku­liert hat, muss dies schleu­nigst nachholen. Jeder Anlagen­be­treiber sollte seine Beschaf­fungs­stra­tegie anpassen. Auch auf Inves­to­ren­seite sind Anlagen­stra­tegien an die verän­derte Lage zu adaptieren: Hier geht es nicht mehr um „ein bisschen mehr vom Gleichen“. Fast 20% mehr Minderung bis 2030 sind ein vertabler Gamech­anger. Zwar ist das Paket noch längst nicht verhandelt. Zumindest kleinere Änderungen sind noch durchaus möglich und wahrscheinlich. Doch da 15% mehr Minderung ja nicht vom Himmel fallen werden, ist ein echtes Zurück­rudern der KOM unwahr­scheinlich. Gleichwohl: Sich in die laufende Konsul­tation einzu­bringen, ist sinnvoll (Miriam Vollmer).

Sie wollen mehr über die Reform des EU ETS erfahren? Wir schulen per Webinar am 6. September 2021, 10.00 Uhr bis 12.00 Uhr. EUR 150 zzgl. USt. Infos und Anmeldung finden Sie hier oder per E‑Mail an office@re-rechtsanwaelte.de.

2021-07-26T20:48:43+02:0020. Juli 2021|Emissionshandel, Industrie, Strom, Umwelt|

Der britische Emissionshandel

Mit dem Austritt aus der EU hat Großbri­tannien auch das europäische Emissi­ons­han­dels­system verlassen. Doch wer gehofft hatte, mit der ungeliebten EU auch den Emissi­ons­handel ganz abzuschütteln, dürfte sich enttäuscht zeigen: Großbri­tannien hat nun einen neuen, eigenen Emissi­ons­handel auf Basis des Green­house Gas Emissions Trading Scheme Order 2020. Der neue Emissi­ons­handel in UK ist zwar viel kleiner als der der EU, setzt aber auf die bekannten Struk­turen von Cap and Trade auf. Schließlich will UK bis 2050 klima­neutral sein, bis 2035 ist eine Minderung von 78% angepeilt.

Der neue Emissi­ons­handel sieht dem alten täuschend ähnlich. Auch im UK ETS sind Anlagen ab 20 MW Feuerungs­wär­me­leistung (FWL) emissi­ons­han­dels­pflichtig, daneben Flüge, die UK berühren. Nur die nordiri­schen Strom­erzeuger bleiben im EU-System. Die neuen Emissi­ons­ge­neh­mi­gungen für die Briten setzen aber auf die bishe­rigen EU-Geneh­mi­gungen auf. Auch das Register und die Konten­ka­te­gorien orien­tieren sich am bishe­rigen Status Quo.

Wie die EU-Betreiber werden auch die UK-Betreiber eine kostenlose Zuteilung erhalten, Grundlage hierfür ist The Green­house Gas Emissions Trading Scheme (Amendment) Order 2020. Für die Bench­marks greift UK auf die EU-Bench­marks zurück. Regel­al­lo­kation ist aber auch in UK die Verstei­gerung. Am ersten Handelstag im Mai 2021 ergaben sich Preise zwischen 45 £ und 50 £.

UK hatte auch schon in der Vergan­genheit einen CO2-Mindest­preis. Diesen nimmt UK in sein eigenes System mit. Er beträgt 22 £ pro Tonne. Doch UK will nicht nur einen Preis­verfall vermeiden, der das Instrument entwerten würde. Ein Cost Containment Mechanism soll Preis­spitzen oberhalb des Doppelten eines zweijäh­rigen Preis­mittels verhindern und erlaubt es, Aukti­ons­mengen zeitlich zu verlagern oder Zusatz­mengen freizugeben.

Brexit, Ausstieg, Großbritannien, England

Bis jetzt gibt es noch keine Kompa­ti­bi­lität von UK-ETS und EU-ETS, trotz dringender Appelle briti­scher Markt­teil­nehmer. Auch eine Umtausch­barkeit der Zerti­fikate gibt es nicht. Für den kleinen UK-ETS ist dies trotz aller Siche­rungs­maß­nahmen keine gute Nachricht. Kleine Märkte können schon durch verhält­nis­mäßig geringe Handels­mengen verzerrt werden. Erklärtes Ziel der briti­schen Indus­trie­ver­bände ist daher eine Verbindung der Systeme. Doch die politische Lage spricht eher gegen eine solche schnelle, pragma­tische Lösung. Es bleibt mithin abzuwarten, ob Großbri­tannien in den nächsten Jahren zumindest in dieser Hinsicht wieder Anschluss an den Kontinent findet (Miriam Vollmer).

2021-06-11T23:02:33+02:0011. Juni 2021|Emissionshandel, Energiewende weltweit, Umwelt|