OVG Berlin: Tempo 10 in Bergmann­straße bleibt!

Das Oberver­wal­tungs­ge­richt Berlin-Brandenburg hat Ende September eine Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richts bestätigt, nach der die Anordnung der Geschwin­dig­keits­be­schränkung auf 10 km/h für Radfahrer in der Bergmann­straße in Berlin Kreuzberg gerecht­fertigt sein dürfte. Beide Entschei­dungen sind vorläufig. Sie betreffen ein Eilver­fahren, das ein Radfahrer angestrengt hat, der täglich durch die Straße fährt und der Auffassung war, dass dort keine entspre­chende Gefah­renlage vorliegen würde.

Das Gericht war ausweislich der Presse­mit­teilung (zum Beschluss vom 22. September 2022 – OVG 1 S 53/22 -) anderer Meinung. Im Bergmannkiez ist inzwi­schen durch die sukzessive bauliche Umgestaltung der Straße eine Art Begeg­nungszone entstanden. Sowohl Fahrrad als auch Fußgän­ger­verkehr haben stark zugenommen, insbe­sondere was die Querung der Straße angeht. Durch diese Gemengelage sein inzwi­schen die Annahme einer quali­fi­zierten Gefahr gerecht­fertigt (Olaf Dilling).

2022-10-07T18:47:16+02:007. Oktober 2022|Rechtsprechung, Verkehr, Verwaltungsrecht|

Flanier­meile Volksdorf findet statt!

Nicht erst seit Beginn der Pandemie ist die Verödung von Innen­städten ein Thema. Dieses Thema polari­siert gerade auch in verkehrs­po­li­ti­scher Hinsicht. Viele Geschäfts­leute und Politiker sind weiterhin der Auffassung, dass Menschen typischer­weise mit dem Auto direkt in die Innen­städte wollen. Dagegen reift in anderen städti­schen Quartieren die Einsicht, dass die Attrak­ti­vität der Innen­städte, Wohn- und Geschäfts­be­reiche durch Wegfall von öffent­lichen Parkplätzen nicht sinkt, sondern steigt.

So haben die Berliner Bezirke Mitte und Fried­richshain-Kreuzberg dieses Jahr beschlossen, bestimmte Stadt­viertel gänzlich ohne öffent­liche Parkplätze zu gestalten. Betroffen sind der Gräfekiez und das Scheu­nen­viertel. Wer die Straßenzüge kennt, dürfte das nachvoll­ziehen können. Es ist wegen parkender Kraft­fahr­zeuge kaum Platz in den Straßen und angesichts der Anzahl der Haushalte in großen Mehrfa­mi­li­en­häusern wäre es ohnehin kaum möglich, allen Parkplätze zu bieten. Da ist es konse­quent, die relativ geringe Anzahl an Parkmög­lich­keiten denje­nigen zur Verfügung zu stellen, die sie wirklich brauchen: Menschen mit Behin­derung, dem Liefer­verkehr, Taxis und Carsharing zum Beispiel. Der Rest des knappen öffent­lichen Raums kann dann produk­ti­veren Zwecken zur Verfügung stehen, wie dem Fortkommen von Fußgängern und Fahrrad­fahrern, der Verbes­serung der Aufent­halts­qua­lität, insbe­sondere auch gastro­no­mi­schen Angeboten.

Dass solche Maßnahmen selten konfliktfrei vonstat­ten­gehen, ist nachvoll­ziehbar. Denn Verän­de­rungen, auch wenn sich sich langfristig oft als Verbes­se­rungen heraus­stellen, sind oft erstmal schmerzhaft. Insofern sind Gemeinden gut beraten, wenn sie vor ihrer Durch­führung die recht­lichen Spiel­räume beachten. Aufschluss­reich ist insofern eine Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richts (VG) Hamburg. Darin setzt sich das VG mit einer zunächst tempo­rären Maßnahme im Frühjahr und Frühsommer diesen Jahres in Hamburg-Volksdorf ausein­ander, die im Wege des Verkehrs­ver­suchs eine sogenannte Flanier­meile im Zentrum des Stadt­viertels einrichten wollte. Auch hier sollen alle öffent­lichen Parkplätze entfallen. Zusätzlich soll die den Kraft­fahr­zeugen zur Verfügung stehende Fahrbahn verengt werden, um Platz für andere Nutzungen zu schaffen. Ziel war es, für „Fußgän­ge­rinnen und Fußgänger sowie Radfah­rende temporär attraktive Flanier­quar­tiere“ zu schaffen, die „mit hoher Aufent­halts­qua­lität“ überzeugen. Getragen ist das Ganze von einem städte­bau­lichen Rahmenplan, in dem ein Konzept für entspanntes Einkaufen zwischen Natur und Kultur entwi­ckelt wurde.

Gegen die temporäre Maßnahme haben sich mehrere Geschäfts­leute mit einem Eilantrag gewendet. Die zukünftige Einrichtung der Flanier­meile würde das Anfahren ihrer Geschäfte durch Hilfs­kräfte, Kunden, Besucher und Liefe­ranten verhin­deren. Dadurch seien sie in der Nutzung der Straße beschränkt. Als Anlieger seien sie in ihren Eigen­tums­rechten aus Art. 14 Abs. 1 GG betroffen. Sie würden darüber hinaus mit Umsatzs­ein­bußen rechnen. Insofern sei auch Art. 12 GG betroffen. Zur Recht­fer­tigung des Eingriffs auf Grundlage des § 45 StVO könne sich die Straßen­ver­kehrs­be­hörde nicht auf eine geordnete städte­bau­liche Entwi­ckung berufen. Andere Rechts­güter würden ausscheiden, da keine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Straßen­ver­kehrs bestehe.

Das VG Hamburg hat den Antrag in seinem Beschluss vom 05.05.2022 (Az. 5 E 1724/22) abgewiesen, so dass die Flanier­meile Volksdorf wie geplant statt­finden kann. Ein Eingriff in die genannten Grund­rechte wurde vom Gericht nicht angenommen. Denn die Abschaffung der Parkplätze würde die Gewer­be­trei­benden nicht direkt in ihrer Berufs­aus­übung betreffen. Für eine Betrof­fenheit des Art. 12 GG wäre eine objektiv berufs­re­gelnden Tendenz der streit­ge­gen­ständ­lichen Maßnahme erfor­derlich. Diese wiederum würde einen engen Zusam­menhang der Regelungen mit der Berufs­aus­übung der Antrag­steller erfordern, die das Gericht nicht erkennen konnte.

Ebenso bestätigt das Gericht im Zusam­menhang mit Art. 14 GG die geltende Recht­spre­chung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt zum Anlie­ger­ge­brauch und dem mangelnden Schutz öffent­licher Parkplätze. Der Anlie­ger­ge­brauch schütze nur „den notwen­digen Zugang des Grund­stücks zur Straße und seine Zugäng­lichkeit von ihr“. Nicht gewähr­leistet werde „die Erreich­barkeit des eigenen Grund­stücks mit Kraft­fahr­zeugen des Eigen­tümers oder gar jeder Anliegerverkehr“.

Zudem kommt das Gericht zur Auffassung, dass die Maßnahmen sich auf § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 5 Alt. 2 StVO stützen lassen dürften. Dafür kommt die geordnete städte­bau­liche Entwicklung als Recht­fer­ti­gungs­grund in Frage. Dies setzt ein städte­bau­liches Verkehrs­konzept voraus, das jedoch auch vorliegen würde. Die Entscheidung zeigt, dass die Sorgen vor Gegenwind bei der Einschränkung von Parkraum und sonstigen Verkehrs­flächen für Kraft­fahr­zeuge in recht­licher Hinsicht geringer sind, als oft angeommen wird. Es gibt schlicht kein Recht auf wohnort- oder geschäftsnahe Parkplätze. Wichtig für die Gemeinde ist, jedoch entspre­chende Maßnahmen auf ein städte­bau­liches Verkehrs­konzept zu stützen (Olaf Dilling).

 

2022-07-06T11:44:59+02:006. Juli 2022|Verkehr|

Eilantrag auf Zurück­haltung von Umwelt­in­spek­ti­ons­be­richten: Zu OVG Münster, 8 B 1564/19

Seit 2013 ordnet § 52a Abs. 5 BImSchG an, dass Geneh­mi­gungs­be­hörden nach ihren regel­mä­ßigen Besich­ti­gungen von großen, geneh­mi­gungs­be­dürf­tigen Anlagen, die der Indus­trie­emis­si­ons­richt­linie 2010/75/EU unter­fallen, einen Umwelt­in­spek­ti­ons­be­richt anfer­tigen und diesen innerhalb von zwei Monaten dem Betreiber und innerhalb von vier Monaten der Öffent­lichkeit zur Verfügung stellen müssen. Aus dem Bericht sollen sich die

relevanten Feststel­lungen über die Einhaltung der Geneh­mi­gungs­an­for­de­rungen nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 und der Neben­be­stim­mungen nach § 12 sowie mit Schluss­fol­ge­rungen, ob weitere Maßnahmen notwendig sind“

ergeben. Zu deutsch: In dem Bericht steht, ob das Unter­nehmen, das die überwachte Indus­trie­anlage betreibt, sich immis­si­ons­schutz­rechtlich etwas hat zuschulden kommen lassen. Für die Gründe, die ein Unter­nehmen berech­tigen, Infor­ma­tionen zurück­halten zu lassen, gilt der Maßstab des Umwelt­in­for­ma­ti­ons­ge­setzes (UIG), dies betrifft zB Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse.

Klar, dass diese Veröf­fent­li­chung Konflikt­po­tential besitzt. Schließlich kann ein fehler­hafter oder mindestens missver­ständ­licher Bericht ein Unter­nehmen in ein schlechtes Licht rücken. Selbst wenn sich im weiteren Verlauf heraus­stellen sollte, dass die angeb­lichen immis­si­ons­schutz­recht­lichen Mängel nicht oder zumindest nicht so bestehen, wäre der Schaden bereits einge­treten, denn mögli­cher­weise nehmen Leser der im Internet publi­zierten Berichte spätere Korrek­turen gar nicht mehr wahr.

Um diesen Konflikt ging es auch in einem Eilver­fahren, das das OVG Münster am 28. August 2020 entschied (8 B 1564/19). Hier hatte ein Unter­nehmen zunächst beim VG Düsseldorf einen Eilantrag gestellt, um die Publi­kation des Inspek­ti­ons­be­richts bis zur Klärung im Haupt­sa­che­ver­fahren unter­binden zu lassen, weil bei einer vorläu­figen Veröf­fent­li­chung mit anschlie­ßender Löschung bereits ein mögli­cher­weise irrepa­rabler Schaden einge­treten sein könnte.

Schon das VG Düsseldorf war mit Beschluss vom 5. November 2019 (3 L 3144/18) dem Antrag des Unter­nehmens nachge­kommen. Ein Teil der angeb­lichen Verstöße war auch im Inspek­ti­ons­be­richt als für die Umwelt irrelevant gekenn­zeichnet, solche Verstöße würden nicht in den Bericht gehören. Dem hatte sich die Behörde im Verfahren sogar angeschlossen. Das und die ungeklärte Sachlage in weiteren Einzel­punkten reichte dem VG, um die Veröf­fent­li­chung erst einmal bis zur gericht­lichen Aufar­beitung im Haupt­sa­che­ver­fahren zu stoppen.

Das von der Behörde hiergegen angeru­fenen OVG Münster bestä­tigte diesen Beschluss. Der Umwelt­in­spek­ti­ons­be­richt bleibt also weiter unter Verschluss, bis das Haupt­sa­che­ver­fahren abgeschlossen ist. Die erfor­der­liche Richtig­keits­gewähr und Unmiss­ver­ständ­lichkeit des Berichts sei nicht gegeben. Das OVG benannte insgesamt fünf einzelne von der Behörde beanstandete Mängel, die missver­ständlich, ungenau beschrieben, nicht nachvoll­ziehbar katego­ri­siert oder einfach bisher nicht nachge­wie­se­ner­maßen zutreffend sind. Bei Veröf­fent­li­chung würden unmit­telbar negative wirtschaft­liche Folgen drohen, mögli­cher­weise könnten ja Kunden oder Geschäfts­partner dem Unter­nehmen nicht mehr wie bisher vertrauen.

Inter­essant ist auch eine Passage am Ende, wo der entschei­dende Senat begründet, wieso auch nicht teilweise geschwärzt publi­ziert werden könnte. Hier führen die Richter aus, dass ein teilweise geschwärzter Bericht erst recht Anlass zu Missver­ständ­nissen und Speku­la­tionen bieten würde.

Was bedeutet das für die Praxis? Wer eine Indus­trie­anlage nach der IED betreibt, sollte den Inspek­ti­ons­be­richt, der ihm spätestens zwei Wochen nach dem Besuch zugeht, sofort sorgfältig prüfen (lassen). Er hat ab nämlich nur vier Wochen ab dem Besuch (Nicht ab Erhalt des Berichts!), um auf die Umwelt­be­hörde zuzugehen, wenn der Umwelt­in­spek­ti­ons­be­richt proble­ma­tisch ist und nicht online gestellt werden soll, und notfalls einen Eilantrag anhängig zu machen. Die gute Nachricht: Die Recht­spre­chung erkennt die Proble­matik, dass spätere Korrek­turen oft nichts mehr nützen, um einen einmal lädierten Ruf wieder­her­zu­stellen (Miriam Vollmer).

 

2021-03-04T21:27:32+01:004. März 2021|Industrie, Umwelt, Verwaltungsrecht|