Nicht erst seit Beginn der Pandemie ist die Verödung von Innenstädten ein Thema. Dieses Thema polarisiert gerade auch in verkehrspolitischer Hinsicht. Viele Geschäftsleute und Politiker sind weiterhin der Auffassung, dass Menschen typischerweise mit dem Auto direkt in die Innenstädte wollen. Dagegen reift in anderen städtischen Quartieren die Einsicht, dass die Attraktivität der Innenstädte, Wohn- und Geschäftsbereiche durch Wegfall von öffentlichen Parkplätzen nicht sinkt, sondern steigt.
So haben die Berliner Bezirke Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg dieses Jahr beschlossen, bestimmte Stadtviertel gänzlich ohne öffentliche Parkplätze zu gestalten. Betroffen sind der Gräfekiez und das Scheunenviertel. Wer die Straßenzüge kennt, dürfte das nachvollziehen können. Es ist wegen parkender Kraftfahrzeuge kaum Platz in den Straßen und angesichts der Anzahl der Haushalte in großen Mehrfamilienhäusern wäre es ohnehin kaum möglich, allen Parkplätze zu bieten. Da ist es konsequent, die relativ geringe Anzahl an Parkmöglichkeiten denjenigen zur Verfügung zu stellen, die sie wirklich brauchen: Menschen mit Behinderung, dem Lieferverkehr, Taxis und Carsharing zum Beispiel. Der Rest des knappen öffentlichen Raums kann dann produktiveren Zwecken zur Verfügung stehen, wie dem Fortkommen von Fußgängern und Fahrradfahrern, der Verbesserung der Aufenthaltsqualität, insbesondere auch gastronomischen Angeboten.
Dass solche Maßnahmen selten konfliktfrei vonstattengehen, ist nachvollziehbar. Denn Veränderungen, auch wenn sich sich langfristig oft als Verbesserungen herausstellen, sind oft erstmal schmerzhaft. Insofern sind Gemeinden gut beraten, wenn sie vor ihrer Durchführung die rechtlichen Spielräume beachten. Aufschlussreich ist insofern eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Hamburg. Darin setzt sich das VG mit einer zunächst temporären Maßnahme im Frühjahr und Frühsommer diesen Jahres in Hamburg-Volksdorf auseinander, die im Wege des Verkehrsversuchs eine sogenannte Flaniermeile im Zentrum des Stadtviertels einrichten wollte. Auch hier sollen alle öffentlichen Parkplätze entfallen. Zusätzlich soll die den Kraftfahrzeugen zur Verfügung stehende Fahrbahn verengt werden, um Platz für andere Nutzungen zu schaffen. Ziel war es, für „Fußgängerinnen und Fußgänger sowie Radfahrende temporär attraktive Flanierquartiere“ zu schaffen, die „mit hoher Aufenthaltsqualität“ überzeugen. Getragen ist das Ganze von einem städtebaulichen Rahmenplan, in dem ein Konzept für entspanntes Einkaufen zwischen Natur und Kultur entwickelt wurde.
Gegen die temporäre Maßnahme haben sich mehrere Geschäftsleute mit einem Eilantrag gewendet. Die zukünftige Einrichtung der Flaniermeile würde das Anfahren ihrer Geschäfte durch Hilfskräfte, Kunden, Besucher und Lieferanten verhinderen. Dadurch seien sie in der Nutzung der Straße beschränkt. Als Anlieger seien sie in ihren Eigentumsrechten aus Art. 14 Abs. 1 GG betroffen. Sie würden darüber hinaus mit Umsatzseinbußen rechnen. Insofern sei auch Art. 12 GG betroffen. Zur Rechtfertigung des Eingriffs auf Grundlage des § 45 StVO könne sich die Straßenverkehrsbehörde nicht auf eine geordnete städtebauliche Entwickung berufen. Andere Rechtsgüter würden ausscheiden, da keine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs bestehe.
Das VG Hamburg hat den Antrag in seinem Beschluss vom 05.05.2022 (Az. 5 E 1724/22) abgewiesen, so dass die Flaniermeile Volksdorf wie geplant stattfinden kann. Ein Eingriff in die genannten Grundrechte wurde vom Gericht nicht angenommen. Denn die Abschaffung der Parkplätze würde die Gewerbetreibenden nicht direkt in ihrer Berufsausübung betreffen. Für eine Betroffenheit des Art. 12 GG wäre eine objektiv berufsregelnden Tendenz der streitgegenständlichen Maßnahme erforderlich. Diese wiederum würde einen engen Zusammenhang der Regelungen mit der Berufsausübung der Antragsteller erfordern, die das Gericht nicht erkennen konnte.
Ebenso bestätigt das Gericht im Zusammenhang mit Art. 14 GG die geltende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht zum Anliegergebrauch und dem mangelnden Schutz öffentlicher Parkplätze. Der Anliegergebrauch schütze nur „den notwendigen Zugang des Grundstücks zur Straße und seine Zugänglichkeit von ihr“. Nicht gewährleistet werde „die Erreichbarkeit des eigenen Grundstücks mit Kraftfahrzeugen des Eigentümers oder gar jeder Anliegerverkehr“.
Zudem kommt das Gericht zur Auffassung, dass die Maßnahmen sich auf § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 5 Alt. 2 StVO stützen lassen dürften. Dafür kommt die geordnete städtebauliche Entwicklung als Rechtfertigungsgrund in Frage. Dies setzt ein städtebauliches Verkehrskonzept voraus, das jedoch auch vorliegen würde. Die Entscheidung zeigt, dass die Sorgen vor Gegenwind bei der Einschränkung von Parkraum und sonstigen Verkehrsflächen für Kraftfahrzeuge in rechtlicher Hinsicht geringer sind, als oft angeommen wird. Es gibt schlicht kein Recht auf wohnort- oder geschäftsnahe Parkplätze. Wichtig für die Gemeinde ist, jedoch entsprechende Maßnahmen auf ein städtebauliches Verkehrskonzept zu stützen (Olaf Dilling).
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