Dreht Habeck nun den Saft ab?

An manchen Tagen wundert man sich. Wie können normale Leute wirklich glauben, Deutschland ginge der Strom aus und nun säße man künftig ab und zu einfach im Dunkeln? Tatsächlich verhält es sich – natürlich – anders:

Zunächst handelt es sich nicht um ein neues Gesetz oder eine Anordnung der Regierung. Sondern die über lange Monate abgestimmte Festlegung der Bundes­netz­agentur (BNetzA) über die „Integration steuer­barer Verbrauchs­ein­rich­tungen“. Die neue Festlegung ist auch keine Maßnahme, die auf einem generellen Mangel an Strom beruhen würde. Es geht vielmehr um die begrenzte Trans­port­ka­pa­zität der Verteil­netze, also der lokalen Leitungs­ver­bin­dungen. Diese müssen künftig mehr Strom trans­por­tieren, weil immer mehr Wärme­pumpen und E‑Autos zusätzlich Strom benötigen. Diese Netze sollen ausgebaut werden, aber das dauert seine Zeit. Zudem erspart es Ausbau­kosten, wenn sich der maximale Verbrauch zeitlich besser verteilt. Für den Laien: Man kann sich das ungefähr so vorstellen wie eine Straßenbahn, mit der auch mehr Passa­giere trans­por­tiert werden können, wenn nicht alle um 8:45 versuchen, die M 4 nach Mitte zu besteigen. Deswegen bedurfte es einer neuen Regelung: Bisher durften Netzbe­treiber nämlich wegen der begrenzten Netzka­pa­zität den Anschluss verzögern oder verweigern. Verbraucher hätten sich deswegen dann keine Wärme­pumpe oder kein E‑Auto kaufen können oder lange warten müssen. Das soll nun nicht mehr möglich sein. Jeder darf ans Netz.

Strommast, Sonnenuntergang

Im Gegenzug darf der Netzbe­treiber (nur) dieje­nigen Verbrauchs­ein­rich­tungen, die steuerbar sind, steuern, wenn für das lokale Netz ansonsten zu viel bezogen wird. Komplette Abschal­tungen sind nicht mehr zulässig, aber er darf den Bezug vorüber­gehend reduzieren, minimal auf 4,2 kW. Es wird dann immer noch geheizt und immer noch das Auto geladen, aber eben nicht mehr so schnell. Der Verbrauch wird also zeitlich verlagert. Anders als manche Presse­ar­tikel sugge­rieren, geht es dabei nicht um den Haushalts­strom. Es taut also weder die Tiefkühl­truhe ab, noch geht auf einmal das Licht aus. Es gibt auch eine Extra­re­gelung, wenn eigene Erzeuger vorhanden sind wie etwa die eigene PV-Anlage: Prosumer profitieren.

Den Benefit, den die Steuer­barkeit für das Netz – damit auch für die Netzent­gelte – hat, darf der Netzbe­treiber nicht gratis verein­nahmen. Die Betreiber der steuer­baren Verbrauchs­ein­heiten zahlen ein abgesenktes Netzentgelt, entweder pauschal oder ein reduzierter Arbeits­preis. Ab 2025 soll ein zeitva­riables Netzentgelt möglich sein (die Festlegung der BK 8 hier).

Wem diese Regelungen bekannt vorkommen, der hat recht: Ganz ähnliche Regelungen gibt es schon lange für Indus­trie­un­ter­nehmen. Hier honoriert § 19 Abs. 2 StromNEV neben der Bandlast auch die atypische Netznutzung, also dann zu beziehen, wenn die Netzlast ansonsten niedrig ist. Nichts Neues also unter der Sonne, aber eine Kombi­nation aus der Ausnutzung von Vorteilen der Digita­li­sierung, um die Netzkosten zu reduzieren, und einer Reaktion auf die Elektri­fi­zierung. Denn wenn bislang der Energie­ver­brauch eines Haushalts auch an der Tankstelle und über das Gasnetz gedeckt wurde, ist klar, dass das Netz reagieren muss, wenn auf einmal der gesamte Energie­bedarf vieler Verbraucher übers Stromnetz kommt (Miriam Vollmer).

2023-12-01T10:54:46+01:001. Dezember 2023|Allgemein|

Kein Wildwest: BNetzA geht gegen prima­strom GmbH und Voxenergie GmbH vor

Viele Vebraucher bemerken die gestie­genen Preise für Energie erst jetzt, weil Festpreis­ver­ein­ba­rungen auslaufen oder weil ihre Versorger sich zu „alten“ Preisen einge­deckt hatten. Doch gerade manche neue Energie­an­bieter, die über Jahre mit einer oft sehr kurzfris­tigen Beschaf­fungs­po­litik gut gefahren waren, standen schon seit 2021 auf einmal vor Problemen. Teilweise versuchten die Unter­nehmen, Verträge zu kündigen. Teilweise wurden Preise mit dem Argument, die Umstände hätten sich eben geändert, trotz entge­gen­ste­hender vertrag­licher Regelungen angehoben.

Dass Preis­an­pas­sungen nicht auf § 313 BGB wegen gestie­gener Bezugs­preise gestützt werden können, hat inzwi­schen die Recht­spre­chung zumindest erstin­stanzlich bestätigt (hierzu mehr hier). Doch das ist noch nicht alles. Mit Datum vom 1. September 2022 hat nun die Bundes­netz­agentur (BNetzA) die Unter­nehmen prima­strom GmbH und Voxenergie GmbH verpflichtet, ihre Preis­er­hö­hungen aus dem Dezember 2021 zurück­zu­nehmen. Grund: Die Unter­nehmen hatten die Frist von einem Monat nicht beachtet, die sich aus § 41 Abs. 5 Satz 2 Energie­wirt­schafts­gesetz ergibt, wo es heißt:

Über Preis­än­de­rungen ist spätestens zwei Wochen, bei Haushalts­kunden spätestens einen Monat, vor Eintritt der beabsich­tigten Änderung zu unter­richten.“

Für die Unter­nehmen bedeutet das: Sind die Preis­an­pas­sungen unwirksam, gelten die alten Preise weiter. Wenn Kunden zwischen­zeitlich mehr gezahlt haben, sind die überschüs­sigen Beträge rechts­grundlos geflossen und können zurück­ge­fordert werden. Da die BNetzA auf Missachtung ihrer Verfügung ein Zwangsgeld von 100.000 EUR angedroht hat, empfiehlt es sich auch aus diesem Grunde nicht, die Angele­genheit nun zu ignorieren oder darauf zu setzen, dass die Kunden nicht vor Gericht ziehen. Kostenlose Fotos zum Thema Rodeo

Abzuwarten bleibt, ob die Unter­nehmen die Angele­genheit gerichtlich überprüfen lassen, aber insgesamt wird deutlich: Die BNetzA ist immerhin bemüht, kein Wildwest im Energie­ver­trieb zu dulden, auch wenn sich besonders die rechts­treuen Wettbe­werber bisweilen ein schnel­leres Eingreifen wünschen würden (Miriam Vollmer).

2022-09-09T18:51:49+02:009. September 2022|Vertrieb|

Der neue § 27 EnSiG: Leistungs­ver­wei­gerung nur mit BNetzA

Die neue Umlage in der Gasman­gellage wird viel disku­tiert. Wenig Beachtung findet hingegen der ebenfalls neue § 27 EnSiG, der heute, am 8. Juli 2022, den Bundesrat passieren soll (Entwurf hier).

Anders als das Super­preis­an­pas­sungs­recht des § 24 EnSiG und die Umlage nach § 26 EnSiG soll § 27 EnSiG unmit­telbar greifen. Denn nach seinem Absatz 3 gilt er auf der Alarm- oder Notfall­stufe. Da die Bundes­re­publik sich schon seit dem 23. Juni 2022 im Gasalarmfall befindet, ist die Regelung also unmit­telbar nach Inkraft­treten anwendbar.

Worum geht’s? § 27 Abs. 1 EnSiG stellt gesetz­liche oder vertrag­liche Leistungsver-
weige­rungs­rechte unter einen Geneh­mi­gungs­vor­behalt. Das klingt zunächst unspek­ta­kulär, ist aber eine ziemliche Bombe. Denn norma­ler­weise zeichnet sich Zivil­recht dadurch aus, dass Behörden gerade nicht mitmi­schen, außer es gibt wirklich triftige Gründe wie etwa bisweilen im Kartell­recht. Dass ein Unter­nehmen für die Ausübung von vertrag­lichen Rechten eine Geneh­migung braucht, ist also ungewöhnlich.

Tatsächlich werden gesetz­liche und vertrag­liche Leistungs­ver­wei­ge­rungs­rechte seit Monaten viel disku­tiert. Zum einen geht es um § 313 BGB. Zum anderen um vertraglich verein­barte Force-Majeure-Klauseln. Verall­ge­mei­nernd – es gibt viele Spiel­arten – geht es jeweils darum, dass wichtige Umstände für ein Vertrags­ver­hältnis sich seit Vertrags­schluss grund­legend geändert haben. In diesem Fall sollen die Parteien nicht am Vertrags­schluss festge­halten werden. Konkret bezogen auf Erdgas stehen viele Unter­nehmen auf dem Stand­punkt, dass bei einer Explosion der Preise vor der Krise geschlossene Verträge auf den Prüfstand gehören. Es solle nicht wie vereinbart erfüllt werden, sondern die Leistung – Gas für den vor der Krise verein­barten günstigen Preis – verweigert werden dürfen.

Ob und wann dieses Leistungs­ver­wei­ge­rungs­recht überhaupt besteht, wird heftig disku­tiert. Es wäre ohne Erlass dieser neuen Norm anzunehmen gewesen, dass in einigem zeitlichen Abstand Zivil­ge­richte über die Maßstäbe der Anwendung entscheiden. Diese Unsicherheit wollte der Gesetz­geber nicht hinnehmen. Die neue Norm knüpft die Ausübung solcher Leistungs­ver­wei­ge­rungs­rechte wegen Reduzierung oder Ausfall von Gasmengen an die Geneh­migung durch die Bundes­netz­agentur (BNetzA). Die BNetzA entscheidet im Rahmen einer Ermes­sens­ent­scheidung mit Blick auf die Funkti­ons­fä­higkeit des Marktes.

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(Foto: Eckhard Henkel / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0 DE)

Wenn eine Ersatz­be­schaffung unmöglich wird, ist eine Geneh­migung nicht mehr nötig, dies muss aber nachge­wiesen werden. Offenbar gilt hier dann eine Anzei­ge­pflicht. Gänzlich erlischt die Geneh­mi­gungs­pflicht, wenn der börsliche Handel mit Gas ausge­setzt ist, denn dann gibt es keinen Markt mehr, den es zu schützen gilt. Immerhin: Verbietet die BNetzA die Ausübung des Leistungs­ver­wei­ge­rungs­rechts, muss also trotz völlig verän­derter Umstände geleistet werden, gewährt § 28 EnSiG einen Entschä­di­gungs­an­spruch in aller­dings engen Grenzen.

Was ist von der Norm zu halten? Sie zeigt die Bemühungen des BMWK um Versor­gungs­si­cherheit auch zulasten der Privat­au­to­nomie. Rechtlich dürfte sie an der äußersten Grenze der noch zuläs­sigen Bestimmtheit einer Norm zu verorten sein. Neben der neuen Umlage, den Möglich­keiten staat­lichen Engage­ments bei wichtigen Infra­struk­tur­un­ter­nehmen und der Aussetzung nicht völlig unerheb­licher Teile des Umwelt­rechts für einen vorüber­ge­henden Zeitraum illus­triert auch diese Norm: Es wird Ernst (Miriam Vollmer)

2022-07-08T10:10:37+02:008. Juli 2022|Energiepolitik, Gas|