Brauchen wir eine ökolo­gische Schul­den­bremse? Ein politi­scher Kommentar.

Wenn sich wichtige politische Weichen­stel­lungen ereignen, fällt es manchmal schwer, sich weiterhin primär dem juris­ti­schen Tages­ge­schäft zu widmen. Selbst wenn das noch so drängt. Und das ist wohl auch richtig so, beim Anwalts­beruf. Denn so technisch Rechts­be­ratung gerade im Bereich öffent­licher Infra­struk­turen manchmal rüber­kommt, so sehr ist sie doch in einen politi­schen Kontext einge­bettet und nur aus ihm heraus verständlich. Darüber hinaus ist es auch Aufgabe von Anwälten, im Rahmen ihrer Möglich­keiten die politische Diskussion so zu beein­flussen, dass die Gesetze mit denen sie hantieren, Sinn machen. Dies gibt ihnen dann auch bei ihrer Anwendung einen (berufs- und wettbe­werbs­rechtlich übrigens vollkommen lupen­reinen) Vorteil. Zeitung zu lesen bzw Rundfunk zu hören, ist daher auch – und gerade – in Zeiten sozialer Netzwerke anwalt­liche „Berufs­pflicht“!

[Robert Habeck (Grüne), Olaf Scholz (SPD) und Christian Lindner bei der Unter­zei­chung des Koali­ti­ons­ver­trags im Dezember 2021 [Photo by Sandro Halank / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0]]

Was in den letzten Tagen passiert ist, genau gesagt am 06.11.2024, wird starke – viele sagen: „histo­rische“ – Auswir­kungen auf Themen wie Klima, Energie und Verkehr haben. Da ist es gleich­gültig, ob auf globaler, auf natio­naler oder lokaler Ebene. Das heißt, auf die eine oder andere Art wird uns als Energie- und Umwelt­rechtler dieser politische Wende­punkt mindestens in den nächsten vier Jahren weiter begleiten.

Die Hoffnung, dass Klima­ziele noch zu halten sind, ist für viele in weite Ferne gerückt, sowohl durch den Sieg des Klima­leugners Trump als auch durch das Scheitern der Ampel, die als Regierung eines „Klima­kanzlers“ angetreten war. Das Versprechen dieser Regierung war u.a. einzu­lösen, was das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt der Bundes­re­gierung in seinem Klima­be­schluss aufge­geben hat: Sie muss den zukünf­tigen Genera­tionen noch Freiheiten bei der Nutzung fossiler Brenn­stoffe einräumen. Die Spiel­räume die bis 2030 zum Ausstoß von CO2 noch bestehen, dürfen nicht bereits frühzeitig von den Eltern ausge­schöpft werden, so dass ihre Kinder auch noch konsu­mieren können.

Nun stellt sich diese Frage der Genera­tio­nen­ge­rech­tigkeit nicht nur im Klima­schutz und über Art. 20a GG. Sie stellt sich genauso auch bezüglich Art. 109 GG, der Schul­den­bremse, in Bezug auf den Staats­haushalt. Legen sich hier zwei Grund­ge­setz­ar­tikel gegen­seitig „Patt“?

Für eine solche Situation haben Verfas­sungs­ju­risten aus langer Erfahrung natürlich eine Lösung parat. Das Zauber­wörtchen heißt „praktische Konkordanz“. Das klang für mich als Jurastudent im ersten Semster immer ein bisschen wie ein obskures, hinter Schleiern des Beratungs­ge­heim­nisses verbor­genes Aller­hei­ligstes des Grund­ge­setzes, das in Karlsruhe (und nur dort!) sorgsam gehütet wird. Wenn aber die Schleier im weiteren Verlauf des Studiums fallen, ist es dann doch ziemlich simpel: Es geht einfach darum, jedes Grund­recht bzw. Verfas­sungs­gebot, so gut wie möglich zur Geltung kommen zu lassen. Das setzt voraus, dass eher auf Synergien als auf Wider­sprüche geschaut wird. Das ist kein Hexenwerk sondern folgt den klugen Regeln der schwä­bi­schen Hausfrau. Es geht darum, den staats­recht­lichen Hefekuchen erst mal (bei ca. 37° C) ordentlich gehen zu lassen, statt ihn sofort wie die Beute der drei Räuber mit rotem, grünen und gelben Hut unter­ein­ander aufzu­teilen. Zugluft und Türen­knallen lassen Hefeteig bekanntlich zusammenfallen.

Mit einem Minimum an politi­schen Willen und Zusam­menhalt hätte es den Fraktionen der Ampel dann nicht so schwer fallen dürfen, entspre­chende Synergien und Schnitt­mengen zu finden:

  • Wenn es um Klima­schutz geht, hätte es – erstens – darum gehen müssen, markt­ver­zer­rende Subven­tionen und selektive Steuer­ver­güns­ti­gungen zu streichen.
  • Zweitens wäre nach kosten­neu­tralen Instru­menten zu suchen gewesen, etwa ein Tempo­limit oder andere ordnungs­recht­liche Maßnahmen, die viel CO2 hätten sparen können, ohne den Staats­haushalt zu belasten.
  • An dritter Stelle kommen schließlich solche Maßnahmen, die zunächst zwar staat­liche Inves­ti­tionen erfordern, die sich aber über die Jahre amorti­sieren und daher auf lange Sicht ebenfalls kosten­neutral sind.

Nur bei der dritten Art von Maßnahmen, die aller­dings die entschei­denden sind, stellt sich überhaupt die Frage der Verein­barkeit von Art. 20a und 109 GG. Und der vermeint­liche Wider­spruch lässt sich durch eine ökono­misch und ökolo­gisch intel­li­gente Gestaltung von Maßnahmen auflösen. Nehmen wir einen Kfw-Kredit, über die eine energe­tische Sanierung oder eine Wärme­pumpe gefördert wird. Dadurch wird der Staats­haushalt zunächst belastet. Die begüns­tigten Bürger verpflichten sich jedoch dazu, den Kredit zurückzuzahlen.

Aus Sicht der FDP mögen solche Inves­ti­tionen durch den Staat unsinnig sein. Denn aus markt­li­be­raler, an den Lehren von Hayek und Friedman orien­tierter Sicht weiß der Staat immer weniger als „der Markt“ und die Summe seiner vielen dezen­tralen Beobachter. Darauf kommt es aber auch gar nicht an. Denn die Ressource, um die es geht ist in der Politik weniger Wissen, als Vertrauen. In diesem Fall das Vertrauen in die Verwirk­li­chung einer politi­schen Zielsetzung, nämlich die Netto-Klima­neu­tra­lität Deutsch­lands bis 2045 zu erreichen.

Die Erwartung, die ein „Klima­kanzler“ berech­tig­ter­weise weckt und in die sowohl Bürger als auch vor allem Wirtschafts­un­ter­nehmen vertrauen müssen, ist die Amorti­sation dieser Inves­tition in energe­tische Maßnahmen oder Wärme­pumpen durch entspre­chend sinkende Strom­kosten. Was könnte der Staat tun, um das Vertrauen der Bürger oder Unter­nehmen zu gewinnen? Ganz einfach: Er könnte eine Wette mit seinen Bürgern abschließen, des Inhalts, dass der Bürger darle­hens­fi­nan­ziert eine private Inves­tition in eine Hausiso­lierung und Wärme­pumpe tätigt und dafür sinkende Brutto-Energie­kosten und insbe­sondere sinkende Strom­preise garan­tiert bekommt. Diese Wette könnte darin bestehen, dass die Rückzahlung des Darlehens an den Strom­preis­index gekoppelt ist. Mit anderen Worten stellt der Bürger ein Sparschwein auf, zahlt monatlich ein, was er an Energie­kosten spart. Am Ende des Jahres gibt er das ersparte Geld der Kfw zurück, es fließt in den Staat­haushalt und hilft, die Schul­den­bremse einzuhalten.

Ach so, eine weitere Wette hatte der Staat gleich­zeitig mit dem Bürger auch noch geschlossen. Das Darlehen mit der Kfw ist ihm nicht umsonst zinslos (oder zu einem niedrigen, gleich­blei­benden Zins) gewährt worden. Der Staat wettet also mit dem Bürger, dass er eine niedrige Inflation einhält. Tut er es nicht, verliert der Staat seine Wette. Auch dies dient bei entspre­chend vielen Darlehen, dass der Staat ein Interesse daran hat, die Inflation niedrig zu halten. Ökolo­gische und ökono­mische Nachhal­tigkeit gehen so Hand in Hand. Hinter dem Schleier der prakti­schen Konkordanz sind Art. 20a und Art. 109 GG … naja, zumindest gute Freunde.

Hätte, hätte. Wie geht es weiter? Um die Frage in der Überschrift noch zu beant­worten. Nein! Wir brauchen keine ökolo­gische Schul­den­bremse. Denn wir haben sie bereits in Art. 20a GG. Wir müssen diesen Artikel nur in Überein­stimmung mit der oben genannten Recht­spre­chung des BVerfG anwenden.

Also, wie geht es weiter? Eine Bundes­re­gierung, die auf dem Boden des Grund­ge­setzes steht, wird gar nicht umhin­kommen, die ökolo­gische Schul­den­bremse anzuwenden. Das trotzig gegen ökolo­gische Gebote gerichtete „Heraus­reißen“ von Windkraft­an­lagen, nur weil sie „häßlich“ sind, dürfte auf vehementen Wider­spruch aus Karlsruhe und aus Leipzig, dem Sitz des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts, stoßen. Das würde einen Trump nicht schrecken. Bei der biederen CDU darf man aber davon ausgehen, dass sie den Rechts­staat nicht so schnell auf dem Müllhaufen der Geschichte verab­schieden wird. (Olaf Dilling)

2024-11-12T22:49:11+01:0012. November 2024|Kommentar, Strom, Umwelt|

Alles Abfall oder? Das Ende vom Abfal­lende für minera­lische Abfälle?

Kreis­lauf­wirt­schaft ist Klima­schutz, weil Ressour­cen­schutz Klima­schutz ist. Die Circular Economy ist daher auch eine der beiden Säulen des Green Deal der EU, um Europa bis 2050 zu einem klima­neu­tralen Kontinent zu machen. Für eine funktio­nie­rende Kreis­lauf­wirt­schaft muss es als wesent­lichen Baustein „Neben­pro­dukte“ geben dürfen, also der Weg am Abfall­recht vorbei muss tatsächlich offen­stehen. Der Weg ist oftmals entweder zu oder in der Praxis so steinig, dass man ihn kaum zu beschreiten wagt. Zudem müssen für eine funktio­nie­rende Kreis­lauf­wirt­schaft Abfälle auch das Ende der Abfall­ei­gen­schaft erreichen können. Dies sollte zudem dem Hof des Behandlers möglich sein. Diese einfache Erkenntnis ist jedoch in der Praxis oft getrübt. So ist Interesse daran, Stoffe und Gegen­stände schnell ins Abfall­recht gelangen und in diesem System so lange wie möglich verbleiben zu lassen stärker, als die klare Zielvorgabe der Abfall­rah­men­richt­linie und § 4 und 5 KrWG. Dabei heißt es doch eigentlich Kreis­lauf­wirt­schafts­gesetz und nicht mehr Abfall­gesetz? Jährlich fallen in Deutschland mehr als 200 Millionen Tonnen minera­lische Abfälle an. Insbe­sondere im Lichte der doch ziemlich verqueren Ersatz­bau­stoff­ver­ordnung und teuren minera­li­schen Ersatz­bau­stoffen, die nicht einmal öffent­liche Auftrag­geber wollen, inter­es­siert die Praxis, wann minera­lische Abfälle, mit Abstand größte Massestrom an Abfällen das Ende der Abfall­ei­gen­schaft erreichen können. § 5 Abs. 2 KrWG enthält eine bisher ungenutzte Verord­nungs­er­mäch­tigung, um die Bedin­gungen näher zu bestimmen, unter denen für bestimmte Stoffe und Gegen­stände die Abfall­ei­gen­schaft endet. Dabei hatte es Anfang des Jahres noch ganz gut ausgesehen.

Die nun schei­dende Bundes­re­gierung hatte sich im Koali­ti­ons­vertrag das Ziel gesetzt, konkre­ti­sierte Kriterien zur Errei­chung des Abfal­lendes für bestimmte Sekun­där­stoff­ströme zu erarbeiten. In Umsetzung dieses Ziels hatte sich das BMUV dazu entschlossen, entspre­chende Kriterien für minera­lische Ersatz­bau­stoffe festzu­legen, die aus der Aufbe­reitung minera­li­scher Abfälle stammen und bei deren weiterer bestim­mungs­ge­mäßer Verwendung die Abfall­ei­gen­schaft ausge­schlossen werden kann. Diese Abfal­lende-Verordnung sollte im Einklang mit der Ersatz­bau­stoff­ver­ordnung dazu beitragen, dass minera­lische Ersatz­bau­stoffe effek­tiver im Kreislauf geführt werden. Wir erinnern uns: auch die Ersatz­bau­stoff­ver­ordnung war als Charme­of­fensive für minera­lische Ersatz­bau­stoffe gestartet. Endlich mehr Akzeptanz! Gleich­zeitig sollte die Vermarktung von MEB als hochwertige und quali­täts­ge­si­cherte Recycling-Produkte gefördert werden. Das BMUV hatte im Januar 2024 ein Eckpunk­te­papier zur Abfal­lende-Verordnung für bestimmte minera­lische Ersatz­bau­stoffe vorgelegt. Seitdem war nichts weiter passiert. Zumindest ging es nicht weiter. Mit dem gestrigen Aus der Bundes­re­gierung ist zu erwarten, dass auch dieses Projekt (wie einige andere) auf der Strecke bleiben wird.

In der Rubrik „stecken­ge­bliebene Verfahren“ wird eine solche End-of-Waste-Verordnung natürlich keinen vorderen Platz einnehmen. Andere Themen sind für die Zwischenzeit im parla­men­ta­ri­schen Limbus sicherlich wichtiger. Eine zukünftige Bundes­re­gierung sollte dieses Thema jedoch auf die Agenda setzen, damit auch hier dringend benötigt Hilfe­stellung und Klarheit für die Praxis erzielt werden kann. (Dirk Buchsteiner)

2024-11-07T18:11:55+01:007. November 2024|Abfallrecht, Industrie, Umwelt|

Green Deal: Boden­schutz ist auch Klima­schutz – Fachbe­richt „The state of soils in Europe“ veröffentlicht

Gesunde Böden sind von grund­le­gender Bedeutung für die Aufrecht­erhaltung der landwirt­schaft­lichen Produk­ti­vität, die Förderung der biolo­gi­schen Vielfalt, die Regulierung der Wasser­res­sourcen, die Abschwä­chung des Klima­wandels und die Klima­an­passung. Boden­ge­sundheit kommt damit also eine Schlüs­sel­funktion zu. Einer­seits ist Boden in beson­derem Maße vom Klima­wandel betroffen, dies umfasst insbe­sondere Erosion durch Trockenheit und durch zunehmend extremere Stark­re­gen­er­eig­nisse, wie in diesem Jahr schon mehrfach passiert und wie es und nun aktuell die schreck­lichen Bilder aus Spanien zeigen. Anderer­seits sind gesunde Böden ein wichtiger Baustein für die Klima­re­si­lienz und es bedarf Feucht­böden, Grünland und Moore als CO2-Senken. Es wird nicht überra­schen, dass eine am 22.10.2024 veröf­fent­lichte Fachpu­bli­kation des Joint Research Centre der EU-Kommission und der Europäi­schen Umwelt­agentur tatsächlich ein besorg­nis­er­re­gendes Bild vom Zustand der Böden in Europa zeichnet. Mehr als 60 % der Böden in der EU sind von Degra­da­ti­ons­pro­zessen betroffen. Die gesamte Boden­erosion in der EU wird auf eine Milliarde Tonnen pro Jahr geschätzt. Die Wasser­erosion ist die am meisten verbreitete Form der Erosion und betrifft derzeit etwa ein Viertel der Böden in der EU, wobei ein Anstieg um 13 bis 25 Prozent bis 2050 prognos­ti­ziert wird. Dies wirkt sich insgesamt auf die Ernäh­rungs­si­cherheit, die Ökosys­tem­leis­tungen und die mensch­liche Gesundheit aus. Die klare Botschaft ist, dass Boden­ge­sundheit auch politisch Priorität bekommen muss. Es bedarf umfas­sender Boden­ma­nage­ment­stra­tegien, um den gewal­tigen Heraus­for­de­rungen zu begegnen. Daher wird dieser Bericht auch inmitten der laufenden Debatten über ökolo­gische Nachhal­tigkeit und Agrar­po­litik von entschei­dender Bedeutung sein.

Gesunde Böden müssen daher nach diesem Bericht im Mittel­punkt des Europäi­schen Grünen Deals stehen. In dieser Hinsicht ist dieser Bericht auf mehrere wichtige politische Initia­tiven der EU Bezug, wie z. B. die EU-Boden­stra­tegie für 2030, die Teil der EU-Biodi­ver­si­täts­stra­tegie für 2030 ist, den Aktionsplan zur Vermeidung von Umwelt­ver­schmutzung und das europäische Klima­gesetz. Die Ergeb­nisse des Berichts gehen über die Boden­ge­sundheit hinaus und sollen die Politik zur Erhaltung der biolo­gi­schen Vielfalt, zur Eindämmung des Klima­wandels und zur Flächen­nut­zungs­planung beein­flussen. Außerdem wird die Notwen­digkeit einer Zusam­men­arbeit aller Betei­ligten betont, um ökolo­gische, soziale und wirtschaft­liche Nachhal­tigkeit in Europa zu gewähr­leisten. (Dirk Buchsteiner)

 

2024-10-31T13:21:44+01:0031. Oktober 2024|Klimaschutz, Umwelt|