Und was heißt das nun ganz praktisch? Der Koali­ti­ons­vertrag der Regierung Scholz

Nun liegt es also vor, der Koali­ti­ons­vertrag für die nächsten vier Jahre. „Mehr Fortschritt wagen“ zitieren die Ampel-Parteien die Regierung Brandt, die einst „mehr Demokratie“ wagen wollte. Man will, so die klare Botschaft, hoch hinaus.

Doch was hat so ein Koali­ti­ons­vertrag eigentlich zu bedeuten? Nicht wenige politische Kommen­ta­toren weisen darauf hin, dass im Tages­ge­schäft auch der letzten vier Regie­rungen Merkel die Koali­ti­ons­ver­träge eine weitaus kleinere Rolle spielten als die oft kurzfris­tigen Reaktionen auf aktuelle Entwick­lungen wie zuletzt die Pandemie. Wer wollte auch eine Regierung, die vom Tag ihrer Konsti­tu­ierung an stur ihren Stiefel fährt, fiele auch die ganze Welt rechts und links in sich zusammen.

Die Juristen halten Koali­ti­ons­ver­träge teilweise für Verfas­sungs­ver­träge, teilweise für verwal­tungs­recht­liche Verträge, was angesichts ihres Gegen­standes indes nicht überzeugt. Einklagbar, so viel ist klar, ist ein Koali­ti­ons­vertrag aber schon wegen der notwen­digen Flexi­bi­lität angesichts sich stetig verän­dernder Umstände nicht. Die Rechts­folge bei Verletzung von Koali­ti­ons­ver­trägen ist damit nicht etwa der Regie­rungs­verlust oder gar der Vollzug unerfüllter Versprechen qua Gerichts­urteil, sondern höchstens ein Reputa­ti­ons­schaden, der aber ebenso eintreten kann, wenn eine Regierung allzu ambiti­onslos plant.

Ausbau der Erneuerbaren

Ambiti­ons­lo­sigkeit kann man der Ampel im Punkt Energie nicht nachsagen. Die Regierung Scholz erkennt den wachsenden Strom­hunger an und plant mit 680 – 750 TWh im Jahr 2030. Während bisher 60% aus erneu­er­baren Quellen stammen sollten, will die Ampel dieses Ziel auf 80% erhöhen, also ungefähr eine Verdop­pelung vom heutigen Niveau aus.

Ermög­lichen soll dies ein Instru­men­tenmix. Zunächst will die Ampel Planungs- und Geneh­mi­gungs­ver­fahren beschleu­nigen. Der Ausbau der Erneu­er­baren soll Vorrang bei der Schutz­gü­ter­ab­wägung genießen. Bei der Arten­schutz­prüfung bei Windener­gie­vor­haben – hier geht es vor allem Vögel – soll es künftig eine bundes­ein­heit­liche Bewer­tungs­me­thode geben und der Vogel­schutz technisch gewähr­leistet werden. Auf EU-Ebene will die Regierung sich für einen Popula­tions- statt Indivi­du­al­schutz einsetzen. Doch ob das gelingt? Aktuell macht das EU-Recht jeden­falls die Planung nicht einfacher. Was unein­ge­schränkt zu begrüßen ist: Klarere Vorgaben für das Genehmigungsverfahren.

Auch der Plan, die Flächen­be­reit­stellung für Windkraft onshore über das BauGB zu sichern und offshore gegenüber anderen Nutzungs­formen aufzu­werten sowie alte Standorte rechts­sicher zu recyclen, beseitigt Ausbausch­wie­rig­keiten, die die Branche schon lange beklagt. Gewerb­liche Dachflächen verpflichtend für Photo­vol­ta­ik­an­lagen zu nutzen, ist sinnvoll, auch wenn bisher offen ist, wie bei privaten Neubauten der Plan, dies zum Regel­zu­stand zu machen, durch­ge­setzt werden soll. Dass die Koalition große Dachflächen in die Ausschrei­bungs­pflicht einbe­ziehen will, eröffnet der Energie­wirt­schaft vor allem als Partner der Immobi­li­en­wirt­schaft Möglich­keiten für die Ausweitung von Geschäfts­mo­dellen, die bisher zwar oft angedacht wurden, aber weit weniger reali­siert werden als technisch wie energie­wirt­schaftlich denkbar. Zu begrüßen ist auch, dass die Koalition ausge­för­derte Anlagen als grüne Regio­nal­strom­quelle stärken will. Mögli­cher­weise deutet sich hier eine Option für das bisher wenig genutzte Regio­nal­nach­weis­re­gister beim Umwelt­bun­desamt an.

Windturbine, Windrad, Windenergie, Windpark, Windkraft

Erfreulich ist der klare Akzent zugunsten dezen­traler Lösungen, auch wenn ein noch klareres Bekenntnis zugunsten von Zahlungen an Gemeinden für Erneu­erbare Energie­an­lagen auf dem Gemein­de­gebiet schön gewesen wäre. Genos­sen­schaft­liche Modelle und Mieter­strom- und Quartiers­kon­zepte wollte schon die letzte Regierung Merkel stärken, hier steht zu hoffen, dass Energie­mi­nister Habeck sich der Sache etwas entschlos­sener annimmt.

Kohle­aus­stieg vor 2038 – Ausbau von Gaskraftwerken

Dass die Koalition das Kohle­aus­stiegs­gesetz nicht noch einmal anfassen und so weitere Entschä­di­gungen zahlen will, zeugt von einigem Augenmaß. Denn es spricht in der Tat viel dafür, dass ein drastisch höherer CO2-Preis die Kohle ohnehin deutlich vor 2038 aus dem Markt drängt. Setzt man auf dieses Instrument, ist es sicher sinnvoll, einen CO2-Mindest­preis als Hebel für einen Umbau der Merit-Order zu nutzen. Dass die Koalition einen solchen Mindest­preis aber nur dann einführen will, wenn die EU sich hierauf nicht verständigt und die Preise nicht steigen wie geplant, lässt aller­dings offen, wann das genau der Fall sein wird.

Fallen Atom- und Kohle­kraft künftig weg, soll die Lücke zwischen den volatilen Erneu­er­baren und dem Bedarf durch moderne Gaskraft­werke gedeckt werden. Hier bleibt der Koali­ti­ons­vertrag aber unscharf, wie genau dies gewähr­leistet werden soll. Was unter „wettbe­werb­lichen und techno­lo­gie­of­fenen Kapazi­täts­me­cha­nismen und Flexi­bi­li­täten“ zu verstehen ist, bleibt also noch eine Weile spannend. Man darf hoffen, dass das Potential der KWK und der Wert des KWKG hier gesehen werden. Wichtig ist hier ein auch langfristig gesicherter Rahmen, um nicht erneut wie Mitte der Nuller Jahre mit wirtschaftlich traurigem Ergebnis in einen nur vermeint­lichen Boom hinein zu bauen. Ob die neuen Gaskraft­werke dann wirklich eines Tages mit Wasser­stoff betrieben werden? Angesichts der mäßigen Effizienz von H2 darf man durchaus zweifeln, auch wenn die Regierung im Interesse eines schnellen Hochlaufs sogar den ungeliebten blauen Wasser­stoff fürs Erste akzep­tieren will. Doch wer baut, wenn er nicht weiß, wie lange die Rahmen­be­din­gungen die Nutzung zulassen?

Emissi­ons­handel

Beim natio­nalen Emissi­ons­handel soll es nun – entgegen vieler Diskus­sionen im Markt – nun doch keine schnellere Preis­ent­wicklung geben. Dies wird viele Autofahrer freuen, doch die erheb­liche Diskrepanz zwischen der Regulierung großer und kleiner Verbren­nungs­an­lagen bleibt so nicht nur, sondern vertieft sich mit steigenden Kursen künftig noch. Dies setzt Anreize, die auch proble­ma­tische Seiten haben können.

Im EU-Emissi­ons­handel bleibt Deutschland Richtung Brüssel auch unter rot-grün-gelb in vertrautem Fahrwasser: Man will weiter die freie Zuteilung, man strebt den Schutz der energie­in­ten­siven Industrie an auch durch Grenzsteuerausgleichsmaßnahmen.

Mehr Licht als Schatten

Ob Deutschland sich damit wirklich, wie Habeck meint auf 1,5° C‑Kurs befindet? In jedem Fall müssen nicht nur der Bund, sondern auch die Länder und Kommunen ihre Kompe­tenzen in Sachen Planung und Geneh­migung stärken. Drei Infra­struk­turen – Erneu­erbare, Gas und Wasser­stoff – gleich­zeitig hochzu­fahren, ist ehrgeizig. Unter­nehmen der Energie­wirt­schaft kommt dabei eine Schlüs­sel­rolle zu. Sie können zu unver­zicht­baren Partnern von Immobi­li­en­wirt­schaft und Industrie werden.

Im besten Fall liegt vor uns also ein goldenes Jahrzehnt. Es liegt nun zu allererst an der Bundes­re­gierung, die Rahmen­be­din­gungen und die erfor­der­liche Langfrist­si­cherheit zu schaffen, um die ungeheuren Inves­ti­tionen anzuregen, vor denen wir stehen.

Wir freuen uns drauf.  (Miriam Vollmer).

Sorgfalts­pflichten in globalen Liefer­ketten: Für Menschen und Umwelt?

In das Liefer­ket­ten­gesetz (inzwi­schen offiziell: Gesetz über die unter­neh­me­ri­schen Sorgfalts­pflichten in Liefer­ketten – LkSG) werden große Hoffnungen gesetzt. Globa­li­sierung soll gerechter gestaltet werden und es soll die Verla­gerung von Umwelt­zer­störung ins Ausland verhindern. Den Geset­zes­entwurf hatten wir hier schon einmal kurz vorge­stellt.

Aller­dings wurde am im Juni diesen Jahres schließlich verab­schie­deten Gesetz kriti­siert, dass es nun primär um Menschen­rechte, nicht aber mehr um den Schutz der Umwelt als solchen ginge. Nur wenn zugleich Menschen­rechte betroffen sind, etwa weil auch die Gesundheit von Menschen auf dem Spiel steht, ist es anwendbar. Dies geht aus der Definition der geschützten Rechts­po­si­tionen in § 2 LkSG hervor.

Wie ist es also mit Umwelt­pro­blemen, die deutsche Unter­nehmen in anderen Ländern verur­sachen? Ein aktuell disku­tiertes Beispiel ist die Erdgas­ge­winnung. In Bruns­büttel wird aktuell ein Flüssig­gas­ter­minal mit einer jährlichen Kapazität von 8 Mrd. Nm³ geplant, um den Import von Erdgas über den Seeweg zu ermög­lichen. Kritiker machen darauf aufmerksam, dass das Erdgas häufig mit Methoden gewonnen wird, die in Deutschland verboten sind. So etwa in Patagonien, wo Wintershall an der Gewinnung von Erdgas durch Fracking in Schie­fer­vor­kommen invol­viert ist.

Gastankschiff

Vor einigen Tagen hat auf einer Veran­staltung der Friedrich-Ebert-Stiftung ein argen­ti­ni­scher Umwelt­schützer und eine Vertre­terin der ortsan­säs­sigen indigenen Bevöl­kerung den Kanzler­kan­di­daten Olaf Scholz mit dem Fall konfron­tiert. Daraufhin hat Scholz das Liefer­ket­ten­sorg­falts­pflicht­gesetz als Verdienst der großen Koalition angepriesen und nahegelegt, dass solche Fälle nun durch das Gesetz geregelt seien. Nun, wie gesagt, müsste es beim umwelt­schäd­lichen Fracking schon zu Menschen­rechts­ver­let­zungen kommen, damit das Gesetz zum Tragen käme. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn die Gesundheit der Bevöl­kerung durch die Vergiftung des Grund­wassers geschädigt würde oder die Gegend schlechthin unbewohnbar wird. Insofern sind es relativ hohe Hürden, die eine „Haftung“ voraus­setzen würde.

Wobei eine Haftung im zivil­recht­lichen Sinn noch nicht einmal Ziel des Gesetzes ist. Vielmehr geht es zunächst um Berichts­pflichten, bei hartnä­ckigen Verstößen auch um Bußgelder und schließlich auch darum, für bis zu drei Jahren vom öffent­lichen Beschaf­fungs­wesen ausge­schlossen zu werden. Ob und wie sich Unter­nehmen durch diese Sanktionen schrecken lassen, bleibt abzuwarten. Im im Wesent­lichen wird es davon abhängen, wie streng die Regeln von der zustän­digen Behörde, dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhr­kon­trolle, durch­ge­setzt werden (Olaf Dilling).

2021-11-15T18:48:55+01:0015. November 2021|Gas, Industrie, Umwelt|

Wie böse ist die Scheibenpacht?

Eine „Milli­arden-Abzocke“ sei die Schei­ben­pacht, steht im Spiegel, der die Modelle mit den Cum-Ex-Fällen vergleicht, in denen Unter­nehmen sich Steuern haben erstatten lassen, die sie nicht bezahlt haben. Doch während es bei Cum-Ex auf der Hand liegt, dass eine Erstattung nicht höher sein kann, als die eigent­liche Zahlung, auf die sie sich bezieht, ist die Situation bei der Schei­ben­pacht deutlich komplexer und führt tief in die Vergan­genheit des EEG und des Energie­rechts generell. Ein paar Worte deswegen zur Einordnung:

Anders als Verbraucher beziehen Unter­nehmen ihre Energie oft nicht von Dritten, sondern erzeugen sie selbst. Das hat keinen irgendwie „anrüchigen“ Hinter­grund, sondern hängt mit dem Wärme­bedarf von Unter­nehmen zusammen, die Wärme für mecha­nische oder chemische Prozesse oder zum Trocknen benötigen. Strom aus diesem Prozess auszu­koppeln ist dann nur konse­quent. Zudem spart ein Unter­nehmen im besten Fall natürlich auch Geld, wenn sein Strom nicht über ein Netz trans­por­tiert werden muss, so dass keine Netzent­gelte anfallen, und auch kein anderes Unter­nehmen mitver­dient. Indus­trie­kraft­werke sind also eine ganz normale, energe­tisch, ökolo­gisch und wirtschaftlich sinnvolle und deswegen verbreitete Angelegenheit.

Doch wie kommt nun die EEG-Umlage hier ins Spiel? Bis 2014 musste man für seine eigene Erzeugung keine EEG-Umlage zahlen. Das erschien damals jedem logisch, schließlich zahlte das Unter­nehmen auch keine Netzent­gelte für die Nutzung der eigenen Leitungen, es bezog einfach Erdgas oder einen anderen Brenn­stoff, und was hinter dem Werkszaun stattfand, ging die große, weite Welt des Energie­rechts nichts an. Erst seit Inkraft­treten des EEG 2014 fällt auch für eigen­erzeugten Strom EEG-Umlage an, weil der Gesetz­geber es ungerecht fand, dass manche EEG-Umlage zahlen und andere nicht.

Dies allein hätte vermutlich keinen Hund hinterm Ofen vorge­lockt. Zum Skandal wird die Befreiung von der EEG-Umlage offenbar dann, wenn nicht ein Unter­nehmen ein Kraftwerk betreibt, um sich mit Strom zu versorgen. Sondern sich mehrere Unter­nehmen ein Kraftwerk teilen, indem sie Anteile an dieser Anlage pachteten. Manchmal sind diese Unter­nehmen – gerade in gewach­senen Indus­trie­an­sied­lungen – aus einem Konzern hervor­ge­gangen, manchmal wurde nur die Energie­ver­sorgung gesell­schafts­rechtlich verselb­ständigt, bisweilen hatte der Betreiber im recht­lichen Sinne mit dem Kraftwerk tatsächlich gar nicht so viel zu tun, weil ein anderes Unter­nehmen die technische Betriebs­führung innehatte. Was an den verär­gerten Reaktionen jeden­falls zutrifft: Die Unter­nehmen zahlten als „Schei­ben­pächter“ keine EEG-Umlage, so wie andere Eigen­erzeuger auch.

Um Ruhe in die Rechts­strei­tig­keiten rund um die Schei­ben­pacht zu bekommen, erließ der Gesetz­geber mit dem § 104 Abs. 4 EEG 2017 eine Art „Deckel-drauf“-Regelung: Die Schei­ben­pacht sollte keine Eigen­erzeugung gewesen sein, aber die Unter­nehmen sollten die volle EEG nicht nachträglich an die (mit dem Einsammeln der EEG-Umlage gesetzlich betrauten) Übertra­gungs­netz­be­treiber (ÜNB) zahlen müssen, wenn das belie­ferte Unter­nehmen Anspruch auf eine EEG-Umlage­be­freiung bzw. ‑privi­le­gierung gehabt hätte, wenn es vor 2014 allei­niger Betreiber des nie relevant geänderten Kraft­werks gewesen wäre und recht­zeitig eine nachträg­liche Meldung der Mengen erfolgt ist.

Architektur, Stahlwerk, Fabrikgebäude, Alt, Fabrik

Doch dann entwi­ckelten sich die Dinge nicht so, wie der Gesetz­geber es sich vorge­stellt hatte: Die ÜNB entwi­ckelten einigen Verfol­gungs­eifer, statt Rechts­frieden brachen diverse juris­ti­schen Handge­menge aus (die zB in diese Entscheidung des LG Duisburg mündeten), und so legte der Gesetz­geber noch einmal nach: Der heutige § 104 Abs. 5 EEG 2021 enthält einen Anspruch auf einen Vergleich bei Strei­tig­keiten, ob die EEG-Umlage zu zahlen ist, wenn es noch keine rechts­kräf­tigen Urteile gibt. Die Unter­nehmen müssen dann nicht für die Vergan­genheit bis 31. Dezember 2020 nachzahlen, aber ab dem 1. Januar 2021 müssen sie ihre Zahlungs­pflicht anerkennen.

Ist dies nun unmora­lisch? Vielfach wurde tatsächlich weniger EEG-Umlage gezahlt, als wenn ein einwandfrei drittes Unter­nehmen geliefert hätte. Auf der anderen Seite: Hätten die Unter­nehmen exklusiv ein Kraftwerk betrieben, stünden sie noch besser da als wenn sie sich eins geteilt haben.

Uns persönlich scheint der Vergleich mit Cum-Ex jeden­falls ausge­sprochen streng (Miriam Vollmer).

2021-11-03T09:17:57+01:002. November 2021|Allgemein, Erneuerbare Energien, Industrie, Strom|