Mehr Fragen als Antworten: AG Brühl v. 14.12.2023 zu Fernwärmesatzungen

Laut § 3 Abs. 2 AVBFern­wärmeV dürfen Fernwär­me­kunden, die auf Erneu­erbare Energien umsteigen, die Anschluss­leistung ihres Fernwär­me­lie­fer­ver­trags verringern und sogar ganz kündigen. Aber gilt das auch, wenn es vor Ort eine Fernwär­me­satzung gibt, die eigene Fernwär­me­ver­sor­gungs­an­lagen verbietet? Damit hat sich das AG Brühl mit Urt. v. 14.12.2023 − 27 C 59/23 – beschäftigt. Kläger war ein Kunde, der auf Wärme­pumpe und hauseigene PV umsteigen wollte.

Das AG Brühl kam in der ausge­sprochen knappen Entscheidung zu einem klaren Ergebnis: § 3 Abs. 2 AVBFern­wärmeV gehe vor. Das stützt das Gericht auf § 35 Abs. 1 AVBFern­wärmeV, dessen erster Halbsatz lautet:

Rechts­vor­schriften, die das Versor­gungs­ver­hältnis öffentlich-rechtlich regeln, sind den Bestim­mungen dieser Verordnung entspre­chend zu gestalten;“

Das Gericht leitet daraus ab, dass die Fernwär­me­satzung mangels entspre­chender Befrei­ungs­mög­lichkeit insgesamt nichtig sei. Der Kläger darf seine Wärme­pumpe nutzen.

Bezogen auf diesen konkreten Fall ist dieses Ergebnis auch durchaus überzeugend. Bei emissi­ons­freien Heizungs­tech­no­logien sind Fernwär­me­sat­zungen ja generell schon nicht geeignet, den Satzungs­zweck zu erreichen. Doch abgelöst vom Einzelfall stellen sich Fragen. Kann eine öffentlich-recht­liche Satzung unwirksam sein, weil sie mit einer normhier­ar­chisch nicht überge­ord­neten Rechts­ver­ordnung nicht in Einklang steht? Wie sieht es mit der Nutzung von Biomasse und Biomethan aus? Das AG Brühl hat hier eine einzel­fall­be­zogen sinnvolle, aber dogma­tisch nur sehr bedingt überzeu­gende Entscheidung getroffen, die hoffen lässt, dass sich weitere Gerichte mit diesem Spannungsfeld beschäftigen. 

Was bedeutet die aktuelle Unsicherheit nun für die Praxis? Kunden wenden sich mit dem Nachweis des Heizungs­pro­jekts weiterhin an die Gemeinde, um einen Dispens einzu­holen, und parallel an ihren Versorger. Dieser sollte gerade ältere Satzungen einem Stresstest unter­ziehen, sie gegebe­nen­falls anpassen und unter Umständen dort, wo es möglich ist, über Grund­dienst­bar­keiten absichern. In jedem Fall sollte der Verord­nungs­geber der AVBFern­wärmeV die Gelegenheit der anste­henden Neure­gelung nutzen, um Rechts­si­cherheit für die Wärme­wende zu schaffen (Miriam Vollmer).

2025-05-30T23:22:46+02:0030. Mai 2025|Wärme|

OLG Hamm weist Klima­schutz­klage gegen RWE ab

Die sog. „Klima­klage“ des perua­ni­schen Bauern Saúl Luciano Lliuya gegen den deutschen Energie­konzern RWE ist ein inter­na­tional viel beach­tetes Verfahren, das exempla­risch für die zuneh­mende juris­tische Bedeutung von Klima­ge­rech­tigkeit vor Gericht steht. Der Fall, der vor dem Oberlan­des­ge­richt (OLG) Hamm in Nordrhein-Westfalen verhandelt wurde, gilt als eine der ersten zivil­recht­lichen Klima­klagen weltweit, in der ein privates Unter­nehmen für konkrete Folgen des Klima­wandels haftbar gemacht werden soll.

Hinter­grund der Klage

Der Kläger Saúl Luciano Lliuya ist Bauer und Bergführer in der perua­ni­schen Anden­stadt Huaraz. Die Stadt liegt unterhalb eines Gletschers, dessen Schmelz­wasser in einem hochge­le­genen See – dem Palca­cocha-See – aufge­fangen wird. Durch den Klima­wandel hat sich der Gletscher stark zurück­ge­zogen, und das Volumen des Sees hat sich drama­tisch vergrößert. Lliuya befürchtet, dass der See überläuft oder durch einen Gletscher­ab­bruch eine Flutwelle auslöst, die sein Haus und große Teile von Huaraz zerstören könnte.

 

Seine Klage richtete sich gegen den Energie­konzern RWE, der laut wissen­schaft­lichen Studien zu etwa 0,47 Prozent der globalen indus­tri­ellen CO₂-Emissionen seit Beginn der Indus­tria­li­sierung beigetragen haben soll. Lliuya fordert daher, dass RWE sich mit diesem Anteil an den Kosten für Schutz­maß­nahmen beteiligt – konkret an der Finan­zierung eines Dammsystems oberhalb von Huaraz.

Der Verlauf des Rechtsstreits

Das Landge­richt Essen hatte die Klage 2016 in erster Instanz abgewiesen. Das OLG Hamm jedoch ließ im Berufungs­ver­fahren 2017 erkennen, dass es die Klage für schlüssig hält und trat in die Beweis­auf­nahme ein. Damit wurde ein recht­licher Präze­denzfall geschaffen: Zum ersten Mal befasste sich ein deutsches Zivil­ge­richt konkret mit der Frage, ob ein Unter­nehmen für klima­schäd­liche Emissionen haftbar gemacht werden kann, auch wenn die Schäden tausende Kilometer entfernt auftreten.

In Folge wurden Sachver­ständige beauf­tragt, unter anderem um die kausalen Zusam­men­hänge zwischen dem CO₂-Ausstoß von RWE und der Bedro­hungslage in Huaraz zu prüfen.

Die Entscheidung des OLG Hamm

Das OLG Hamm hat die Klage mit Urteil vom 28. Mai 2025 (Az. 5 U 15/17) abgewiesen. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass im Ergebnis eines einge­holten Gutachtens die Eintritts­wahr­schein­lichkeit des schädi­genden Ereig­nisses – der einer Überflutung durch den Palca­cocha-See – bei lediglich rund 1 % in den nächsten 30 Jahren liege. Diese Wahrschein­lichkeit sei zu gering, um eine rechtlich relevante konkrete Gefahr zu begründen. Eine Haftung nach deutschem Zivil­recht setze voraus, dass eine reale und greifbare Gefähr­dungslage vorliege – was hier aus Sicht des Gerichts hier nicht gegeben war.

Die Bedeutung des Falles

Auch wenn die erste Klima­klage damit abgewiesen wurde, eröffnet die zu Grunde liegende Wertung des OLG Hamm den Weg für mögliche weitere – und dann erfolg­reiche – Klagen. Denn die Klage schei­terte nicht daran, dass ein Schaden­er­satz­an­spruch einer Person gegen ein Unter­nehmen, wegen dessen starken Beitrages zum Klima­schutz per se unzulässig oder unschlüssig wäre, auch wenn Emissi­onsort und Ort des Schadens weit ausein­ander lägen Hätte hier beim Kläger ein bereits entstan­dener Schaden vorge­legen oder wäre zumindest die Eintritt­ts­wahr­schein­lichkeit eines Schadens als hoch einge­stuft worden, wäre die Klage sehr wahrscheinlich erfolg­reich gewesen.

(Christian Dümke)

2025-05-30T16:51:59+02:0030. Mai 2025|Rechtsprechung|

Verkehr: Über Dunkel-Dunkel-Anlagen, Grünpfeile und Induktionsschleifen

Neulich habe ich darüber geklagt als Fußgänger und Radfahrer ein halbes Leben an roten Ampeln auf Autofahrer zu warten. Ein Professor für Verkehrs­wesen hat mich darauf hinge­wiesen, dass es für mein Problem durchaus Lösungen gäbe. Die seien nur nicht so bekannt und könnten öfter angewendet werden. Das liegt vielleicht auch an ihren etwas obskuren Namen. Denn wer weiß schon, was z.B. eine „Dunkel-Dunkel-Anlage“ ist?

Weibliches Ost-Ampel-"Männchen"

Eigentlich ganz einfach: Es sind Fußgän­ger­ampeln, also Licht­zei­chen­an­lagen, die im Standard­modus in beide Richtungen dunkel sind, also kein Signal geben. Nur bei Bedarf kann ein Signal angefordert werden, mit der Folge, dass nach dem Drücken der Taste durch Fußgänger die Ampel zunächst für Fußgänger „rot“ ist (bzw „gelb“ für Kfz) und dann nach einer Wartezeit auf „grün“ umschlägt. Solange die Ampel dunkel ist, können Fußgänger die Fahrbahn passieren, soweit sie frei ist. Sie haben also die Wahl zwischen einer schnellen und einer sicheren Querung. Besonders für vulnerable Verkehrs­teil­nehmer wie Kinder, ältere oder behin­derte Menschen ist die Möglichkeit hilfreich, das Signal anzufordern. Entgegen geläu­figen Vorur­teilen sind diese Ampeln nach einer Unter­su­chung des Bundes­an­stalt für Straßen und Verkehrs­wesen (BASt) nicht weniger sicher als „normale“ Lichtzeichenanlagen.

Diese Ampel­schal­tungen, die sozusagen „auf Standby“ sind, könnten auch da eine Option sein, wo sie bisher nachts oder am Wochenende oft schlicht ausge­schaltet werden. Dort ist es dann für unsichere Verkehrs­teil­nehmer nicht möglich, alleine die Straße zu überqueren oder es kommt bei hohem Kfz-Aufkommen zu langen Warte­zeiten für Fußgänger.

Die sogenannten „Bettel­ampeln“, die ihre Signale auf Anfor­derung geben, sind keineswegs zwingend auf die Anfor­de­rungen von Fußgängern angewiesen. Denn möglich ist es auch über Induk­ti­ons­schleifen, die in den Asphalt einge­lassen sind, wartende Fahrzeuge zu erkennen. Entspre­chende Kfz-Bettel­ampeln würden sich insbe­sondere an wenig genutzten Kfz-Abzwei­gungen über viel genutzte Fuß- oder Radwege anbieten. Ob von der Möglichkeit in Deutschland überhaupt Gebrauch gemacht wird, würde uns inter­es­sieren. Wenn Sie eine solche Schaltung kennen, würde uns ein Hinweis in den Kommen­taren freuen!

Entzündet hatte sich die Ampel-Diskussion mit dem Professor übrigens an einem weiteren Feature: Dem Grünpfeil für Radfahrer. Dieser ist in § 37 Abs. 2 Satz 10 StVO ausdrücklich als Möglichkeit erwähnt. Sinnvoll ist er vor allem an Licht­zei­chen­an­lagen, die primär den Kfz-Verkehr regeln. Denn dort können Radfahrer relativ gefahrlos bei „rot“ rechts abbiegen, ohne dass es zu wesent­lichen Behin­de­rungen oder Gefähr­dungen mit dem Quer- oder Längs­verkehr kommt. Insbe­sondere der Längs­verkehr ist durch nach rechts abbie­gende Radfahrer nicht betroffen bzw. steht ohnehin wegen des roten Signals. Weniger Sinn hat der Pfeil dort, wo es um Fußgän­ger­ampeln geht, die ohnehin nur auf Anfor­derung signa­li­sieren. Denn dort kommt es auch am ehesten zu Konflikten mit dem Fußverkehr.

Schon früher hatten wir einmal über eine besondere Ampel für Fußgänger geschrieben. Insgesamt gibt es Möglich­keiten zur Nutzung von Licht­zei­chen­an­lagen, die dem Rad- und Fußverkehr mehr Sicherheit und mehr Freiheit bieten. Sie werden nur oft nicht genutzt. (Olaf Dilling)

2025-05-31T09:38:37+02:0027. Mai 2025|Allgemein, Verkehr|