Ob die Proteste gegen den Tagebau in Lützerath, auf den Straßen der Republik oder in Gemäl­de­ga­lerien wirklich der sinnvollste Hebel für mehr Klima­schutz sind, da haben wir unsere Zweifel. Trotzdem ist es einiger­maßen besorg­nis­er­regend, dass in der öffent­lichen Diskussion aktuell die Tendenz vorherrscht, diese Proteste als undemo­kra­tisch, gewaltsam oder gar „terro­ris­tisch“ darzu­stellen. Denn dadurch wird in Frage gestellt, was spätestens seit der Brokdorf-Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts eigentlich zum Bestand des Verfas­sungs­ver­ständ­nisses unter dem Grund­gesetz zählt: Dass die Versamm­lungs­freiheit weit auszu­legen ist, dass verein­zeltes unfried­liches Verhalten nicht zu einer Inkri­mi­nierung einer Demons­tration insgesamt oder gar einer ganzen Protest­be­wegung führen darf, dass passiver Wider­stand grund­sätzlich möglich sein muss, auch und gerade wenn er sich gegen die Durch­setzung geltenden Rechts wendet.

Tatsächlich ist ja für die Klima­schutz­be­wegung eigentlich eher charak­te­ris­tisch, dass sie geltendes Recht einfordert: vor allem die Einhaltung des Paris-Überein­kommens, also eines völker­recht­lichen Vertrags, und des Klima­schutz­ge­setzes und die darin formu­lierten Ziele. Im Kern ist es insofern eine Bewegung, die sich stärker als beispiels­weise der Protest gegen die Statio­nierung von Pershing II, die Anti-Atom-Bewegung der 1980er oder die Proteste von Landwirten gegen die Dünge­mit­tel­ver­ordnung mit dem demokra­ti­schen Souverän konform geht. Sie verfolgt im Wesent­lichen Ziele, die grund­sätzlich von allen demokra­ti­schen Parteien geteilt werden. Wenn sich Klima­schützer nun gegen rechts­kräftige Entschei­dungen zum Ausbau des Braun­koh­le­ta­gebaus oder des Baus von Autobahnen wenden, dann weisen sie vor allem auf Wider­sprüche in der aktuellen Politik hin. Zum Beispiel auf ein Verkehrs­ressort, das im Detail die Ziele nicht nur knapp, sondern komplett verfehlt, denen sie ‚grosso modo‘ schon zugestimmt hat.

Anti-Akw-Protest 1979 mit Traktoren und Demonstranten auf der Fahrbahn

Straßen­blo­ckade – legitimer ziviler Ungehorsam oder gewalt­samer Akt? Anti-AKW-Demo Hannover 31.3.79, Photo: Eckhard Henkel / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0 DE, CC BY-SA 3.0 DE <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en>, via Wikimedia Commons

Aber letztlich kann es darauf gar nicht ankommen, wenn es um den Schutz von Demons­tra­tionen durch die Versamm­lungs­freiheit geht. Denn Versamm­lungen sind auch und gerade dann geschützt, wenn es um Wider­spruch gegen aktuell geltendes Recht geht: Dafür sind politische Prozesse in liberalen Demokratien da, andere Meinungen, die sich nicht in geltendem Recht nieder­ge­schlagen haben, zu absor­bieren und öffentlich zu verhandeln.

Was die Gewalt­samkeit angeht, ist der Gewalt­be­griff, der den Schutz­be­reich der Versamm­lungs­freiheit definiert, selbst Gegen­stand der rechts­po­li­ti­schen Setzung: Je nach Ausge­staltung des Straf­rechts und Entwicklung der Recht­spre­chung der Straf­ge­richte können Verhal­tens­weisen, die – Beispiel Mutlangen – als Inbegriff fried­lichen Protests und des zivilen Ungehorsams galten, zu krimi­nellen, radikalen Verhalten umdefi­niert werden. Dieser politi­schen und recht­lichen Neujus­tierung sind jedoch ihrer­seits Grenzen durch das Verfas­sungs­recht gesetzt. Denn die Einschränkung von Grund­rechten ist an verfas­sungs­recht­lichen Maßstäben zu messen: an den sogenannten „Schranken-Schranken“, wie es im Juris­ten­deutsch heißt.

Der Gesetz­geber ist also gut beraten, sich bei der Krimi­na­li­sierung von Blockaden zu mäßigen, wenn er einen Schiff­bruch in Karlsruhe vermeiden will. Zudem muss er im Hinterkopf behalten, wie sich aktuell disku­tierten Straf­ver­schär­fungen für Nötigung und gefähr­liche Eingriffe in den Straßen­verkehr über die inten­dierte Wirkung hinaus auch auf die Nutzung des öffent­lichen Raums insgesamt auswirken: Müssen auch Falsch­parker für längere Zeit ins Gefängnis, wenn sie in Kauf nehmen, Rettungs­kräfte zu blockieren? Oder wird eine „Straßen­blo­ckade“ privi­le­giert, die aus egois­ti­schen Motiven oder Bequem­lichkeit erfolgt? Kann es sein, dass ein im Ergebnis vergleich­bares Verhalten strenger bestraft wird, nur weil als Ausdruck einer politi­schen Gesinnung ist? Für einen demokra­ti­schen Rechts­staat ist dies eine durchaus fragwürdige Entwicklung. (Olaf Dilling)