Der sogenannte ruhende Verkehr
Rechtlich dreht sich auf deutschen Straßen alles um den Verkehr. Denn nach den Landesstraßengesetzen sind Straßen dem Verkehrszweck gewidmet, so etwa § 2 Abs. 1 Berliner Straßengesetz. Und bei straßenverkehrsrechtlichen Anordnungen sind Sicherheit und Ordnung des Verkehrs nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO der Dreh- und Angelpunkt: Regelungen, die nicht diesen Rechtsgütern dienen, sondern zum Beispiel dem Ruhebedürfnis der Stadtbewohner oder der Luftreinhaltung bedürfen einer eigens in der Straßenverkehrsordnung eingeräumten Ausnahme, vgl. § 45 Abs. 1 Satz 2 StVO.
Im engen Sinn wird Verkehr definiert als „jede auf Ortsveränderung von Personen und Sachen zielende Tätigkeit…“. Dass das Parken von Kfz dabei überhaupt zum Verkehr zählt, ist dabei keine Selbstverständlichkeit. Es muss bei der Definition des Verkehrs daher ausdrücklich als weiterer Posten Erwähnung finden: „…einschließlich des ruhenden Verkehrs“.
Trotzdem findet flächenmäßig in einem sehr großen Teil des urbanen öffentlichen Verkehrsraums die meiste Zeit gar kein Verkehr im Sinne einer aktuellen Ortsveränderung statt. Denn viele Kraftfahrzeuge stehen den größten Teil des Tages auf demselben Platz, in vielen Fällen sogar über Wochen oder gar Monate. So heißt es, dass die Hälfte der in Berlin zugelassenen 1,2 Millionen Kfz auf öffentlichen Parkplätzen abgestellt werden, dabei aber durchschnittlich nur 30 Minuten am Tag genutzt werden. Genutzt werden sie lediglich von gut der Hälfte der Berliner, denn etwas über 40% hat gar kein eigenes Auto. Daher fordern Umweltverbände seit langem, dass zumindest ein Teil dieses Platzes effizienter genutzt würde, wenn er für den Umweltverbund, also ÖPNV, Fahrrad und Fußverkehr, oder für Sharing-Angebote zur Verfügung stehen würde.
Als etwas kleinlich erscheint vor dem Hintergrund der großzügig bemessenen Parkflächen die rechtliche Einschätzung, dass Sitzgelegenheiten, die von Anwohnern vor ihren Häusern aufgestellt werden, als genehmigungsbedürftige Sondernutzung einzustufen sind. Bei einem Streit in Heidelberg über den Klappstuhl eines älteren Altstadtbewohners, über den die Presse ausführlich berichtete, ist das Ordnungsamt inzwischen eingeknickt. Nur in Notfällen soll er das Feld räumen müssen. Und hat damit insofern Augenmaß bewiesen, als bei Fußgänger an ein Recht auf „ruhenden Verkehr“ zu denken ist, zumindest, wenn sie wie der betreffende Heidelberger die 100 Jahre überschritten haben.
Vor dem Hintergrund neuer Möglichkeiten der „Shared Mobility“, von Carsharing bis hin zum Angebot an E‑Scootern, sollte aber auch über die Notwendigkeit des „ruhenden Verkehrs“ in den Städten neu nachgedacht werden. Die Kommunen haben dabei oft mehr Möglichkeiten, die Aufteilung der Verkehrsfläche neu zu gestalten, als ihnen bewusst ist (Olaf Dilling).