Verbandsklagerechte: Welche Spielräume hat Deutschland?
Armin Laschet sind die Verbandsklagerechte ein Dorn im Auge. Alles dauere viel zu lange. Wenn er Kanzler würde, würde die nächste Bundesregierung die Klagerechte der Umweltverbände beschneiden. Dies findet sich in etwas weniger deutlicher Form auch im Unionswahlprogramm wieder, wo von einer „Straffung“ die Rede ist.
Doch ist das überhaupt möglich? Kann die Bundesrepublik Klagen gegen Investitionsprojekte künftig auf direkt Betroffene beschränken, wie es früher einmal – da waren wir noch Studenten – war? Damals konnte nur derjenige gegen eine Genehmigung für eine Industrieanlage oder ein Bauprojekt vorgehen, der entweder Adressat der Genehmigung war und etwa unzufrieden mit Nebenbestimmungen. Oder andere unmittelbar in eigenen Rechten betroffene Personen, etwa Nachbarn, die z. B. gegen Schadstoffimmissionen, Gerüche oder Verschattung ihrer Grundstücke vorgehen wollten. Umweltverbände suchten sich bisweilen betroffene Nachbarn.
Die Aarhus-Konvention
1998 aber wurde in der dänischen Stadt Aarhus die Aarhus-Konvention beschlossen. Diese Konvention bindet die Bundesregierung seit ihrer Ratifikation 2007 als Vertragspartei völkerrechtlich. Sie gibt es damit der Bundesrepublik verbindlich auf, weitreichende Klagerechte zu installieren, darunter auch das Recht für Nichtregierungsorganisationen (NGO), unabhängig von einer eigenen Betroffenheit in Umweltbelangen zu klagen. Wer hiervon als NGO profitiert, regelt Art. 2 Abs. 5 der Konvention, so dass auch keine Vertragspartei zwar weitgehende Klagerechte einräumen, aber dafür unliebsame Verbände nicht anerkennen kann.
Die Richtlinie 2003/35/EG
Nun kann man völkerrechtliche Verträge, die einem nicht mehr gefallen, auch kündigen. Doch nicht nur die Bundesrepublik, auch die EU ist Vertragspartei. Und diese hat die Klagerechte der Verbände in einer eigenen Richtlinie umgesetzt, der Richtlinie 2003/35/EG vom 26. Mai 2003.
Richtlinien sind von den Mitgliedstaaten verbindlich umzusetzen. Deutschland erließ also ein erstes Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) im Jahre 2006. Hier regelte der Gesetzgeber die Anforderungen an einen Umweltverband nahezu 1:1. Aktuell sind 127 Verbände anerkannt, man kann hier eine Liste einsehen. Weiter räumte das 2006 in Kraft getretene Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) in seinem § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG a. F. Umweltverbänden das Recht ein, auch ohne eigene Betroffenheit vor Gericht zu gehen, aber nur gegen die Verletzung von grundsätzlich drittschützenden Normen.
Wichtige Gerichtsentscheidungen zum Verbandsklagerecht
Diese Einschränkung fiel mit dem Urteil des EuGH v. 12.05.2011 – Rs. C‑115/09 (Trianel) in sich zusammen. Die Richter monierten, dass nach der Richtlinie sämtliche umweltrechtliche Vorschriften, die auf dem Europarecht basieren, von den Verbänden vor Gericht gebracht werden können müssen. Darauf änderte die Bundesrepublik ihr UmwRG ab und weitete die Klagerechte der Verbände aus.
Mit den Entscheidungen Altrip (7. November 2013, Rs. C-72/12) weitete der EuGH die Reichweite der Klagerechte weiter aus: Auch Fehler bei der Durchführung der UVP können seitdem zur Aufhebung von Genehmigungen führen, außerdem relativierte der EuGH die Kausalitätserfordernisse im Prozess. Wenige Wochen zuvor am 5. September 2013 hatte bereits das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) (7 C 21.12) die Verbandsklagerechte erweitert, indem der Senat in konsequenter Anwendung der Gurndsätze, die der EuGH in der Entscheidung Slowakischer Braunbär (Rs. C‑240/09) das Klagerecht auf einen im UmwRG nicht genannten Rechtsakt, nämlich Luftreinhaltepläne, erstreckt hat.
Was heißt das für Regelungsspielräume?
Doch was bedeutet all dies nun für die praktischen Spielräume der Bundesrepublik? Zunächst: Solange Deutschland nicht die Aarhus-Konvention und die EU verlässt, kann es die Verbandsklagerechte nicht einfach abschaffen. Das UmwRG einfach über Bord zu werfen, ist also keine rechtmäßige Option. Und selbst wenn der Bundestag das UmwRG gemeinschaftsrechtswidrig aufheben würde, würde dies die Klagerechte der Verbände nicht beschneiden, denn Richtlinien richten sich zwar an sich an die Mitgliedstaaten, aber nicht ordentlich umgesetzte Richtlinien, die so eindeutig sind, dass sie auf keinen Umsetzungsakt angewiesen sind, sind direkt anwendbar. Umweltverbände können also direkt auch ohne deutsches UmwRG zu Gericht und sich auf die 2003/35/EG berufen.
Doch nicht nur für eine Aufhebung, auch für eine Abschwächung sieht es schlecht aus. Der EuGH hat ja bereits mehrfach die Bundesrepublik verurteilt, ihr UmwRG nachzuschärfen. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass das UmwRG in seinem aktuellen Zustand an irgendeiner Stelle weiter geht, als die Richtlinie unbedingt verlangt. Zudem gilt ja auch hier die unmittelbare Anwendbarkeit einer unzureichend umgesetzten Richtlinie. Das bedeutet: Schwächt Deutschland sein UmwRG, so hält das Umweltverbände immer noch nicht vom Klagen ab, unter Umständen dauern die Verfahren nur noch länger, weil einzelne Verwaltungsgerichte die Frage der Gemeinschaftsrechtskonformität dem EuGH vorlegen.
Insgesamt bedeutet das: Eine Abschaffung, auch eine Schwächung des Verbandsklagerechts durch die Bundesrepublik ist aktuell nicht möglich. Denkbar wäre dies nur, wenn die EU und Deutschland aus der Aarhus-Konvention austreten und die EU zusätzlich die Richtlinie drastisch abändert. Realistisch ist dies nicht (Miriam Vollmer)