Mit Datum vom 26. Mai 2021 hat das Rechtbank Den Haag, die mit einem Landgericht vergleichbare Eingangsinstanz, Rechtsgeschichte geschrieben. Auf die Klage einiger Umweltverbände hin hat es Shell mit allen seinen Konzerngesellschaften verurteilt, bis 2030 seine direkten und indirekten Emissionen um satte 45% gegenüber 2019 zu verringern. Eine englische Fassung des nicht rechtskräftigen Urteils (C/09/571932 / HA ZA 19–379) finden Sie hier.
Was steht im Shell-Urteil?
Bei der Klage handelt es sich um eine zivilrechtliche Entscheidung. Das Urteil beruht auf Art. 162 des 6. Buchs des niederländischen Zivilgesetzbuchs, der Haftungsnorm für unerlaubte Handlungen. Hier wurde also ein zunächst mal schlichter Unterlassungsanspruch geltend gemacht, nicht anders als wenn man darauf klagt, dass die Nachbarn endlich aufhören, mitten in der Nacht viel zu laute schwarze Messen zu feiern.
Nun setzt ein Unterlassungsanspruch ja stets voraus, dass überhaupt eine unerlaubte Handlung vorliegt und es den Klagenden zusteht, diese geltend zu machen. Im Beispiel mit den satanischen Nachbarn besteht die unerlaubte Handlung im ruhestörenden Krach und die Befugnis, Ruhe einzuklagen, resultiert aus der Stellung als Nachbar. Im Falle der Shell-Klage ist die Sache komplizierter. Das Gericht hat auf verletzte Sorgfaltspflichten von Shell gegenüber den Bewohnern der Niederlande und der Wattenmeerregion abgestellt, was hinter dem Vortrag aus der Klage, wo auf die gesamte Weltbevölkerung heute und in Zukunft abgestellt wird, deutlich zurückbleibt. Die Rechtsstellung der Niederländer und Wattenmeeranrainer entnimmt das Gericht dem Recht auf Leben und dem Schutz von Privatleben und Familie laut der EMRK, wie es im Urgenda-Urteil gegen die Niederlande angelegt ist.
Shell hat sich darauf berufen, dass das Unternehmen am Emissionshandel teilnimmt. Das Gericht geht darauf zwar ein, meint aber, dass der Emissionshandel ja nur einen kleinen Teil der Aktivitäten von Shell abdecke. Auch die übrigen Genehmigungen von Shell würden CO2-Emissionen nicht legitimieren. Weiter überzeugt es das Gericht auch nicht, dass bei einer Reduktion der Emissionen von Shell andere Unternehmen dessen Stellung einnehmen würden. Shell hätte eine eigene Verpflichtung, zudem sei dann mehr Platz im CO2-Budget.
Verhältnismäßig schmalen Raum nimmt die an sich komplexe Diskussion ein, ob Shell überhaupt als privater Akteur eine eigene Verantwortung hat oder ob dies eine staatliche Aufgabe ist. Hier entscheidet sich das Gericht klar zugunsten einer eigenen Verantwortung des Unternehmens neben der der Staaten.
Ist die Entscheidung auf Deutschland übertragbar?
Auch in Deutschland, wie in vielen anderen Ländern auch, gibt es anhängige Klimaklagen. Die FAZ spricht von rund 40 weiteren Klimaklagen in unterschiedlichen Staaten, die sich gegen Unternehmen richten. Eine deutsche Klage ist verhältnismäßig weit: In dem Verfahren Saúl Luciano Lliuya ./. RWE ist schon 2017 ein Beweisbeschluss ergangen. Das bedeutet: Das OLG Hamm hält es für stichhaltig, dass RWE mit seinen Emissionen für 0,47% der Schäden gerade stehen muss, die am Haus des peruanischen Bauern durch den Klimawandel entstehen.
Grundlage ist hier nicht ein deliktischer Anspruch wie in den Niederlanden, denn dieser setzt in Deutschland rechtswidriges Verhalten voraus. Insofern besteht also keine Übertragbarkeit. RWE hat nämlich nicht rechtswidrig gehandelt, weil das Unternehmen Genehmigungen und auch Emissionszertifikate vorweisen kann. Statt dessen wurde aber auf § 1004 BGB abgestellt, das ist ein sachenrechtlicher Anspruch gegen Eigentumsstörungen. Dieser greift nämlich auch dann, wenn das Verhalten des Schuldners rechtmäßig ist, also durch Emissionshandel und Genehmigungen legitimiert.
Im Ergebnis bedeutet das: Eine ganz parallele Entscheidung zum Shell-Urteil würde in Deutschland wohl nicht ergehen. Aber eine Entscheidung, die im Ergebnis sehr ähnliche Konsequenzen hätte, wäre durchaus möglich. Damit würden die Verbände, die Klimaklagen betreiben, ihr Ziel aber auch erreicht: Es geht ihnen nicht in erster Linie um Geld und/oder Unterlassungsansprüche, sondern um die Änderung von Geschäftsmodellen durch Druck auf Aktionäre. Klima soll ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Faktor für strategische Unternehmensentscheidungen werden (Miriam Vollmer).
„Im Ergebnis bedeutet das: Eine ganz parallele Entscheidung zum Shell-Urteil würde in Deutschland wohl nicht ergehen. Aber eine Entscheidung, die im Ergebnis sehr ähnliche Konsequenzen hätte, wäre durchaus möglich.“
Das sehe ich auch so, gehe aber davon aus, dass letztlich das Bundesverfassungsgericht befasst werden und entscheiden wird. Daher ist für Klagen, die dieses Jahr eingereicht werden, mit einer Verfahrensdauer nicht unter drei Jahren zu rechnen. Mit Blick auf die zur Einhaltung der Klimaziele notwendigen Anpassungen ist das wertvolle Zeit!
Ja, das ist sicher so.