„Sportfreiheit“: Das Reiten im Walde
Wer im Studium deutsches Verfassungsrecht lernt, kommt um die Entscheidung „Reiten im Walde“ des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nicht herum. Geklagt hatte der Vorsitzenden eines Nordrhein-Westfälischen Reitvereins gegen Verbote, in der Umgebung von Aachen im Wald zu reiten. Die Entscheidung ist inzwischen zwar gut 30 Jahre alt. Sie bietet über den sportlichen Anlass hinaus eine bleibende allgemeine Lehre über die Grundrechte:
Das BVerfG hat anhand dieses Falles entwickelt, dass die in Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) garantierte freie Entfaltung der Persönlichkeit – einfach gesagt – jedem ein verfassungsrechtlich verbrieftes Recht gibt, zu tun oder zu unterlassen was er oder sie will. Jedenfalls, solange dies nicht ausdrücklich verboten ist, das BVerfG spricht insofern vom „dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen (Rechts-)Ordnung“. Diese sog. allgemeine Handlungsfreiheit kann sich daher beim Reiten im Walde genauso manifestieren wie bei jeder beliebigen anderen Tätigkeit. Sie umfasst auch die Garantie, entsprechende „subjektive Rechte“ vor Gericht durchsetzen zu können.
Für Sport und Erholung in der freien Natur war das zunächst einmal eine gute Nachricht. Denn anders als bei wirtschaftlichen, politischen oder künstlerischen Tätigkeiten greifen hier oft keine spezifischen Grundrechte, wie zum Beispiel Eigentums‑, Berufs‑, Versammlungs- oder Kunstfreiheit. Zwar ist in einigen Landesverfassungen Sport inzwischen als Staatsziel vorgesehen, z.B. auch in NRW, in Art. 18 Abs. 3 der Landesverfassung, und auch für das Grundgesetz wird das immer wieder gefordert. Darauf können (bzw. könnten) sich Sportler jedoch nur bedingt vor Gericht berufen. Staatszielbestimmungen können als Gesetzgebungsauftrag zwar Pflichten für den Staat begründen und müssen bei der Auslegung von Gesetzen von Gerichten berücksichtigt werden. Sie begründen jedoch keine subjektiven Rechte, die allein zu einer Klage berechtigen. Die allgemeine Handlungsfreiheit wirkt aber als eine Art Auffanggrundrecht und kann dadurch zumindest zum Teil die mangelnde verfassungsrechtliche Berücksichtigung des Sports ausgleichen.
Nun, wie das bei Rechtsfällen manchmal so ist: Obwohl das Gericht dem Kläger in dieser einen Frage recht gab, hatte er am Ende doch das Nachsehen. Denn das Verfassungsgericht entschied, dass zwar das Grundrecht betroffen und die Verfassungsbeschwerde zulässig sei. Aber das Reiten sei dennoch zu Recht aufgrund der landesgesetzlichen Bestimmungen verboten, so dass sein Grundrecht nicht verletzt und die Klage damit unbegründet sei. Zwar steht jedes Handeln eines Menschen gemäß Art. 2 Abs. 1 GG unter dem umfassenden Schutz der Grundrechte. Trotzdem ist, siehe oben, nur das erlaubt, was nicht auf gesetzlicher Grundlage verboten ist. Das gibt dem Gesetzgeber einen relativ großen Spielraum, auch wenn das Verbot selbst wieder verfassungsmäßig sein muss.
Um doch noch zu einem guten Ende für den Reitsport zu kommen: Aktuell könne sich die Reiter und Mountainbiker in Thüringen freuen, denn nachdem das Reiten 2013 auf allen nicht dafür gekennzeichneten Wegen verboten worden war, hat der Landesgesetzgeber diesen Herbst den § 6 Abs. 3 Satz 2 des Thüringischen Waldgesetzes neugefasst: „Reiten und Radfahren ist auf dafür geeigneten, festen und befestigten Wegen sowie Straßen, auf denen forstwirtschaftliche Maßnahmen nicht stattfinden, gestattet.“ Insofern, gute Nachrichten für das Reiten im Walde! (Olaf Dilling).