Vollstreckung gegen Behörden: Schlussanträge des Generalanwalts
Wir erinnern uns: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat zahlreiche Urteile auf wirksame Maßnahmen gegen Überschreitungen von Schadstoffgrenzwerten nach der Luftqualitätsrichtlinie erstritten. Unter anderem auch ein Urteil gegen den Freistaat Bayern betreffend den Luftreinhalteplan für die Stadt München (VG München, Urteil vom 09.10.2012 – M 1 K 12.1046, bestätigt durch den VGH München am 27.02.2017). Die DUH will Dieselfahrverbote, Stadt und Land wollen die betroffenen Autofahrer nicht einschränken.
Bayern wehrt sich bis heute mit Händen und Füßen. Die DUH ließ mehrfach Zwangsgelder festsetzen, aber die führten nicht zum angestrebten Erfolg. Zum einen sind die nach § 172 VwGO maximal festzusetzenden Zwangsgelder von nur 10.000 EUR zu niedrig, um den politischen Ärger aufzuwiegen. Zum anderen fließen die Zwangsgelder in die Landeskasse, so dass das widerspenstige Land noch nicht einmal einen Nachteil hat.
Die DUH beantragte deswegen die Verhängung von Zwangshaft gegen den bayerischen Ministerpräsidenten Söder oder die Umweltministerin. Problem an der Sache: Die VwGO sieht für die öffentliche Hand dies an sich nicht vor. Behörden halten sich nämlich normalerweise an rechtskräftige Entscheidungen der Gerichte. Allerdings existiert eine Norm, die für Zwangsmittel auf die ZPO verweist. Als Grundlage für eine Zwangshaft wäre über diese Überleitungsnorm an § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 888 ZPO zu denken. Alternativ könnte die eigentlich nur Zwangsgeld legitimierende Norm des § 172 VwGO bei europarechtskonformer Auslegung auch noch effizientere Zwangsmittel legitimieren.
Die Frage, ob diese Normenkette zum Einsatz kommt, um Europarecht durchzusetzen, wenn der Mitgliedstaat sich weigert, legte der Bayerische VGH dem EuGH vor. Dieses Verfahren ist noch nicht beendet. Allerdings hat gestern der Generalanwalt Hendrik Saugmansgaard OE seine Schlussanträge gestellt. Diese sind nicht verbindlich, aber in der Mehrzahl der Fälle urteilt der EuGH in diesem Sinne.
Der Generalanwalt hat nun eine Empfehlung ausgesprochen, die nur auf den ersten Blick für die öffentliche Hand erfreulich ist. Er gesteht zu, dass freiheitsentziehende Maßnahmen nur dann ausgesprochen werden können, wenn das nationale Recht dies „in klarer, vorhersehbarer, zugänglicher und willkürfreier Weise“ vorsieht. Weil das in Deutschland nicht der Fall ist, sondern der Normenbestand nur im Wege einer umwenigen Interpretation Zwangshaft erlaubt, schließen sich die Gefängnistore vorerst nicht hinter dem Ministerpräsidenten von Bayern. Begründet hat der Generalanwalt dies nicht nur mit dem Grundrecht auf Freiheit der Betroffenen. Sondern auch mit der Unklarheit, wer denn überhaupt hiervon betroffen sei.
Die Entscheidung läuft aber nicht darauf hinaus, dass Urteile gegen die öffentliche Hand damit leer laufen, wenn der Staat sich nicht an Urteile hält. Der Generalanwalt weist nämlich darauf hin, dass es durchaus ein effektives Mittel gibt, Staaten zu zwingen, die sich nicht an Gemeinschaftsrecht – wie eben die NEC-Richtlinie – halten: Das Vertragsverletzungsverfahren. In dem bekanntlich die Gelder, die dem pflichtwidrig handelnden Mitgliedstaat auferlegt werden, deutlich höher sind als 10.000 EUR (Miriam Vollmer)