Manchmal ist das Gute des Besseren Feind. Oder es ist gar nicht recht auszumachen, was das Gute eigentlich ist. So verhält es sich bisweilen etwa beim Ausbau der Erneuerbaren Energien: Gut für die Energiewende, aber manchmal nicht gut für Natur und Artenschutz.
Mit diesem Dilemma hat sich das Wuppertal Institut nun im Auftrag des Naturschutzbunds jetzt in einem Gutachten beschäftigt. Die Ergebnisse, zu denen die Studie kommt, verdienen eine genauere Betrachtung, denn der Nabu bekennt sich hier auch zu technischen Lösungen, die bei vielen Umweltschützern verpönt sind.
Für die meisten Vorschläge gilt dies freilich nicht. Eine Steigerung der Energieeffizienz fordert wirklich jeder. Bei einem suffizienten Lebensstil sieht es schon anders aus. Aber auch über mehr PV gegenüber Windkraft und weniger Biomasseeinsatz kann man ebenso sprechen wie über den Import von EE-Strom. Ähnlich sieht es bei einer Reihe anderer Vorschläge aus (eine Liste samt Bewertung findet sich auf S. 60.). Dann aber wird es haarig und damit interessant: Einsatz synthetischer Kraftstoffe auf Basis erneuerbare Energien, also Power-to‑X. Und – hier bitte kurz die Luft anhalten – CCS.
An CCS mögen sich die Älteren unter uns erinnern. Vor einigen Jahren erwartete man mal von der Versenkung von verflüssigtem CO2 im Untergrund die Lösung aller Probleme. Man würde einfach immer wieder emittieren, es müssten keine Anlagen abgeschaltet werden, sogar der Tagebau hätte einfach immer weiterlaufen können, und am Ende hätte man das Problem im Boden vergraben. Schließlich weiß man, dass das die beste Möglichkeit ist, sich dauerhaft seiner Probleme zu entledigen.
Nun. Die auf diese Optimismus beruhende CCS-Richtlinie wurde erlassen. Die deutsche Umsetzung allerdings enthält allerdings eine folgenschwere Klausel: Bundesländer, die kein CCS wollen, müssen auch nicht. Natürlich sind sofort alle überhaupt in Frage kommenden Kandidaten ausgestiegen, denn es gibt einige offene Fragen rund um CCS, die bisher nicht beantwortet sind. Mit anderen Worten: Man weiß noch gar nicht, ob die Technik wirklich so unbedenklich ist, wie man es hofft.
Angesichts dessen ist es um so erstaunlicher, dass der Nabu nun auch auf CCS setzt. Doch unabhängig davon, was man von CCS hält: Dass sich überhaupt ein großer Umweltverband bewegt und auch unorthodoxe Überlegungen publiziert, zeigt, dass die Bereitschaft, Kröten zu schlucken, um in Sachen Klima überhaupt weiterzukommen, heute größer ist als vor einigen Jahren.
Das Gutachten des Wuppertal Instituts ist beim Punkt „Einsatz von CCS im Industriesektor zur Reduktion des Strombedarfs“ mangelhaft. Dem Strombedarf für die Umstellung von Stahl- und Zementherstellung auf strombasierte Techniken wird nur pauschal ein höherer Verbrauch an fossilen Energieträgern und ein höherer CO2-Verlust an die Atmosphäre gegenüber gestellt. Es fehlt jedoch eine Quantifizierung des zusätzlichen Strombedarfs für die Abscheidung des CO2 (bei einem Kohlekraftwerk rund 30% der Kraftwerksleistung), den Transport und die Verpressung sowie die dauerhafte Überwachung der Endlager, die Beseitigung der ökologischen und ökonomischen Schäden durch undichte Endlager, undichte Pipelines, gesunkene Schiffe beim CO2-Transport und Unfälle von CO2-Abscheideanlagen.
Es fehlt auch ein Vergleich der (Energie)Kosten für den Aufbau der Abscheideanlagen und weiteren Infrastruktur für CCS im Vergleich mit einer Umstellung der Erzeugung von Stahl und Zement mit Hilfe erneuerbarer Energien. Ohne eine Gesamtbetrachtung ist das Gutachten jedoch wertlos.
Deutschland wäre auf CO2-Endlager in Norwegen angewiesen, da der Widerstand auf dem Festland zu groß und die Undichtigkeiten durch Bohrlöcher in der deutschen Nordsee zu zahlreich sind. Dadurch ist auch die Abhängigkeit vom Ausland erheblich, denn wenn in Norwegen durch CO2-Verluste das Meerwasser zusätzlich versauern und die Fischerei bedrohen würde, könnte es mit CCS in Deutschland sehr schnell wieder vorbei sein.
Der entscheidende Punkt jedoch dürfte sein, dass die Technik für die individuell an die jeweiligen Industrieprozesse anzupassende Abscheideanlagen nicht ausgereift ist und der Aufbau der notwendigen Infrastrukur viel zu lange dauern würde. Bis dahin wäre zu erwarten, dass mehrere Kipppunkte des Klimas bereits überschritten wären und die Klimakatasrophe mit oder ohne CCS ungebremst voranschreiten würde.
Die Einschätzung, dass der Widerstand gegen CCS nur mäßig sei, ist ebenfalls zu widersprechen. Um überhaupt in den Bereich einer Relevanz für die CO2-Reduktion zu kommen, ist laut EU ein Pipelinenetz von mindestens 20.000 km länge nebst Anbindung an die einzelne Industriestandorte notwendig. Da die Industriestandorte überwiegend in Deutschland und in dicht besiedelten Gebieten liegen, dürfte der gegen diese Pipelines gerichtete Widerstand sehr groß sein.