Wunderwaffe im Verbraucherschutz? Die neue Musterfeststellungsklage
Anders als die USA tut sich Deutschland mit kollektivem Rechtsschutz eher schwer. Voraussetzung für den Zugang zu den Gerichten ist nach herkömmlicher Dogmatik nämlich die Betroffenheit in eigenen Rechten – und die kann grundsätzlich nur jeder für sich selbst geltend machen. Im Umweltrecht hat sich das mit der Verbandsklage für anerkannte Umweltverbände schon seit einiger Zeit geändert. Nun gibt es seit Anfang dieses Monats auch im Verbraucherschutz ein Instrument, das mit den §§ 606 ff. in die Zivilprozessordnung (ZPO) eingefügt worden ist. Die sogenannte Musterfeststellungsklage, bzw. kurz: Musterklage. Droht nun eine Schwemme von „Sammelklagen“?
Durch die Musterfeststellungsklage erhalten nun auch bestimmte, gesetzlich näher qualifizierte Verbraucherschutzverbände ein Klagerecht in Zivilsachen. Allerdings bezieht sich das Klagerecht nur auf die Feststellung der Voraussetzungen von Ansprüchen oder anderen Rechtsverhältnissen. Es kann also anders als bei den Sammelklagen nach amerikanischer Art nicht direkt auf Zahlung, Leistung oder Unterlassung geklagt werden. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage – und das ist ein Unterschied zur umweltrechtlichen „altruistischen“ Verbandsklage – ist nach § 606 Absatz 3 Nr. 2 und 3 ZPO, dass zehn individuelle Verbraucher ihre Betroffenheit in eigenen Rechten glaubhaft machen. Innerhalb von zwei Monaten nach öffentlicher Bekanntmachung müssen weitere 50 Verbraucher ihre Rechte wirksam angemeldet haben.
Anlass für die Einführung der Musterfeststellungsklage war der Dieselskandal. Weil die Ansprüche gegen die Volkswagen AG drei Jahre nach dem Bekanntwerden der ‚Unregelmäßigkeiten‘ bei der Abgasreinigung zu Neujahr 2019 verjähren würden, wurde die Klageart noch kurz vorher, nämlich zum 1. November 2018 eingeführt. Am selben Tag hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) in Kooperation mit dem ADAC Klage gegen VW eingereicht, die nun öffentlich bekannt gemacht wurde. Mit der Klage soll festgestellt werden, dass Volkswagen seine Käufer vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat und ihnen Schadensersatz schuldet. Gesucht wurden zunächst noch 50 Verbraucher, die ihre Rechte wirksam anmelden, was vermutlich nicht schwer fallen dürfte. Die Anmeldung als Betroffener im Klageregister ist nämlich nicht mit keinerlei Kosten oder Risiken verbunden – und selbst das Anmeldungsformular lässt sich in wenigen Minuten ausfüllen.
Falls Sie also zufällig ein Fahrzeug der Marke Volkswagen, Audi, Seat oder Skoda mit einem Dieselmotor des Typs VW EA189 gekauft haben, für die ein Rückruf ausgesprochen wurde, könnten Sie sich ebenfalls ins Klageregister eintragen. Wenn die Musterfeststellungsklage erfolgreich ist, wird vom Gericht festgestellt, dass ein Schaden vorliegt. Nach einem positiven Feststellungsurteil müssten die Verbraucher ihre Schadenersatzansprüche zwar noch individuell durchsetzen. Das Prozessrisiko lässt sich dann aber überschauen, so dass ein hoher Anreiz zur Klage besteht, wenn nicht ohnehin ein Vergleich geschlossen wurde.
Wie Sie vielleicht schon erraten haben, wurden die Paragrafen zur Regelung der Musterfeststellungsklage nicht bloß wegen des Dieselskandals in die Zivilprozessordnung eingefügt. Allgemein war es vielen Verbrauchern bislang schlicht zu lästig, mit relativ hohem Aufwand und erheblichem Kostenrisiko gegen Rechtsverstöße von Unternehmen vorzugehen, wenn der eigene Schaden nur gering war. Das könnte sich in Zukunft ändern, da nach einer erfolgreichen Musterfeststellungsklage eine individuelle Schadenersatzklage angesichts des geringen Beweisaufwands und Kostenrisikos auch für Verbraucher ökonomisch lukrativ ist. Laut Erläuterungen im Internetauftritt des Bundesrates soll das neue Verfahren vielmehr „bei so genannten Massengeschäften wie Preiserhöhungen von Banken oder Energielieferanten oder auch unfairen Vertragsklauseln“ helfen. Es ist also nicht auszuschließen, dass die Unteraltheim GmbH in Zukunft auf Verbraucherschützer noch schlechter zu sprechen ist, als das bisher bereits der Fall war. Wie gut, dass die Stadtwerke Oberaltheim ihre Energielieferverträge zum Jahresende überarbeitet haben.