Wikipedia: Das Antiei­gentum im Commons-Universum

Mitte Januar hat die Wikipedia ihren zweiten runden Geburtstag gefeiert. Seit 20 Jahren gibt es nun dieses Nachschla­gewerk, das aus unserem Leben kaum mehr wegzu­denken ist. Ein willkom­mener Anlass auch mal ein paar recht­liche Fragen zu beleuchten, die im Zusam­menhang mit der freien Online-Enzyklo­pädie eine Rolle spielen. Die Wikipedia ist so innovativ, dass für diese Fragen ein einzelner Beitrag kaum reicht. Daher läuft es vermutlich auf eine lose Folge von Beiträgen hinaus.

Aber zur Sache: Was bedeutet es eigentlich, wenn Wikipedia sich als die „freie“ Enzyklo­pädie bezeichnet? Nun, wie so oft bei dem schwer fassbaren Begriff der Freiheit spielen viele Bedeu­tungs­ebenen zusammen: zunächst einmal ist die Nutzung der Enzyklo­pädie kostenlos. Die Enzyklo­pädie ist also „frei“ wie in Freibier. Aber damit nicht genug: Sie ist auch frei zugänglich, sie kann „frei“, das heißt ohne festes Redak­ti­onsteam von allen „Benutzern“ bearbeitet werden (als sogenannter „user-generated content“). Und die Inhalte lassen sich auch außerhalb der Wikipedia weiter nutzen und bearbeiten.

Daher ist die Auffassung weit verbreitet, dass an der Wikipedia kein Urheber­recht bestehen würde. Das ist aber nicht ganz zutreffend. Grund­sätzlich erhält jeder Urheber an seinen Werken, das heißt an allen nicht ganz trivialen geistigen Schöp­fungen, ein Urheber­recht. Und zwar unabhängig davon, ob er oder sie das überhaupt wollen. Ein Gemein­schaftswerk wie die Wikipedia würde daher mit unzäh­ligen untrennbar mitein­ander verwo­benen Urheber­rechten belastet, die eine Weiter­be­ar­beitung und ‑nutzung erheblich behindern würden.

Daher behelfen sich die Wikipedia und verwandte Projekte mit einem System von sogenannten Creative-Commons-Lizenzen. Diese CC-Lizenzen basieren auf dem Urheber­recht. Sie hebeln aber die durch das Urheber­recht etablierten Beschrän­kungen mit den Mitteln des Urheber­rechts aus. Dies erfolgt dadurch, dass die Urheber durch die Lizen­zierung einen an einen offenen Adres­sa­ten­kreis gerich­teten Standard­vertrag anbieten. Mit diesem Vertrag kann ein Autor der Öffent­lichkeit Nutzungs­rechte am Werk einräumen. Dadurch entstehen sogenannte „freie Inhalte“, die frei weiter­ge­nutzt werden können, an denen aber niemand wieder exklu­sives geistiges Eigentum erwerben kann. Denn der Verzicht darauf ist eine zentrale Bedingung des Rechts auf Nutzung und Weiter­be­ar­beitung. Mit anderen Worten sind diese freien Inhalt so etwas wie Antiei­gentum, das sich mit der Herstellung proprietär genutzten geistigen Eigentums nur bedingt verträgt.

Hier zeigt sich, dass Jura nicht immer so starr und unfle­xibel ist, wie oft vermutet: Immerhin konnten die urheber­recht­lichen Beschrän­kungen durch das Vertrags­recht der CC-Lizenzen auf kreative Weise in Möglich­keiten mit hohem Innova­ti­ons­po­tential verwandelt werden (Olaf Dilling).

2021-02-09T00:38:35+01:009. Februar 2021|Allgemein, Digitales|

Urheber­recht und Informationsfreiheit

Kann man bestehende Urheber­rechte gegen Ansprüche auf Infor­ma­ti­ons­freiheit ins Feld führen? Damit musste sich das Landge­richt Köln in einem Klage­ver­fahren beschäf­tigen, das das Bundes­in­stitut für Risiko­be­wertung (BfR) gegen den Journa­listen Arne Semsrott, Projekt­leiter von Fragden­Staat betrieben hat (Urt. v. 12.11.202163/19). Das BfR hatte Semsrott abgemahnt und wollte so erreichen, dass der Beklagte ein Gutachten über Krebs­ri­siken des Unkraut­ver­nich­tungs­mittels Glyphosat, das diesem auf eine IFG-Antrag hin zugesandt worden war, nicht veröf­fent­lichen durfte, weil es angeblich Urheber­rechts­schutz unter­liegt. Nachdem der sich nicht unter­worfen hatte, hatte das BfR ihn auf Unter­lassung verklagt. Prozessual ergab sich so die nicht alltäg­liche Situation, dass ein Zivil­ge­richt über einen verwal­tungs­recht­lichen Anspruch zu urteilen hatte.

Warum war das Verfahren wichtig?

Hätte das BfR sich durch­ge­setzt, hätten öffent­liche Stellen regel­mäßig Studien, Gutachten und andere Schrift­stücke, die eine gewisse Schöp­fungshöhe erreichen, den Blicken der breiten Öffent­lichkeit entziehen können. Behörden hätten dann oft erreichen können, dass zwar an sich Ansprüche nach § 1 Abs. 1 IFG auf amtliche Infor­ma­tionen bestehen, aber der Anspruchs­be­rech­tigte mit den Infor­ma­tionen praktisch nichts anfangen kann. Die Lesart des BfR hätte das Infor­ma­ti­ons­recht in Hinblick auf viele für die Öffent­lichkeit inter­es­sante Inhalte damit schlicht ausgehebelt.

Was sagt das LG Köln?

Das Landge­richt Köln ließ sich vom BfR aber im konkreten Fall nicht überzeugen. Es sah zunächst das Veröf­fent­li­chungs­recht vom Verwer­tungs­recht des BfR umfasst. Die Behörde kann danach also nicht einfach behaupten, sie dürfe so ein Gutachten nicht publi­zieren (hier sollte gesetzlich über Klarstel­lungen bei Auftrags­gut­achten durch Dritte auf vertrag­licher Basis nachge­dacht werden).

Weiter urteilte das LG Köln, dass das BfR die Veröf­fent­li­chung nicht unter­sagen konnte, weil das Gutachten mit der Zusendung an den Antrag­steller bereits veröf­fent­licht war. Zudem konnte sich der Antrag­steller auf das Zitat­recht des § 51 UrhG berufen, weil der Antrag­steller das Werk ja in einem Kontext veröf­fent­licht hat. Zuletzt hatte das BfR per Allge­mein­ver­fügung sogar ein Verfahren aufge­setzt, mit dem jedermann das Gutachten abfragen konnte, was rund 43.000 Antrag­steller dann auch getan hatten. Das Argument des Gerichts war also: Wenn etwas schon so öffentlich ist, dann kann es nicht mehr öffent­licher werden, so dass es auch von Dritten – wie dem Beklagten und Antrag­steller – veröf­fent­licht werden darf.

Sieg der Informationsfreiheit?

Ist das nun ein Sieg der Infor­ma­ti­ons­freiheit auf voller Linie? Keineswegs. In den aller­meisten Fällen wird ein Gutachten, das jemand abgefragt hat, nicht von so vielen anderen Menschen verlangt. Und nicht jeder und nicht immer kann vor einer Veröf­fent­li­chung und Verwendung eines Gutachtens eine große Kampagne starten. Das bedeutet aber: Die Macht des Urheber­rechts gegen unerwünschte Infor­ma­ti­ons­rechte ist nach wie vor erheblich. Hier wäre es am Gesetz­geber, Freiheit und Schutz geistigen Eigentums in den Fällen zu harmo­ni­sieren, in denen nicht etwa Private Rechte geltend machen, sondern der Steuer­zahler Gutachten bezahlt hat, die vor ihm geheim­zu­halten schwer zu begründen ist.

Die Entscheidung ist zudem noch nichts rechts­kräftig: Die Berufung wurde angekündigt. (Miriam Vollmer)

2020-11-17T22:47:45+01:0017. November 2020|Verwaltungsrecht|

Prosa über Glyphosat

Glyphosat ist mal wieder in aller Munde. Vor allem wegen der Entscheidung eines kalifor­ni­schen Gerichts, das Monsanto vor kurzem zu einer Zahlung von immerhin 80 Millionen Dollar verur­teilt hat. Hinter­grund ist die Klage eines krebs­kranken Mannes. Die Jury war zu dem Schluss gekommen, dass seine Erkrankung durch Glyphosat verur­sacht sei. Sie hatte den Hersteller dafür verant­wortlich gemacht. Mehr als 1000 ähnliche Verfahren sollen in den USA anhängig sein. Dass hatte sich der deutsche Chemie- und Pharma­konzern Bayer bei der Übernahme von Monsanto im Juni 2018 mögli­cher­weise anders vorgestellt.

Auch in Deutschland gibt es ein Verfahren zu Glykosat, das nicht zuletzt vor diesem Hinter­grund brisant ist. Dabei geht es nicht um einen konkreten Schadensfall, sondern eher um Aufklärung über mögliche Schad­wir­kungen. Die Online-Plattform für Infor­ma­ti­ons­freiheit „Frag den Staat“ hat nämlich eine Stellung­nahme des Bundesamts für Risiko­be­wertung (BfR) online gestellt. Darin geht es u.a. um die Frage, ob Glyphosat für den Menschen krebs­er­regend sei. „Frag den Staat“ hatte das sechs­seitige Papier zuvor aufgrund eines Auskunfts­an­spruchs nach dem Infor­ma­ti­ons­frei­heits­gesetz (IFG) vom BfR erhalten. Nun hat das BfR „Frag den Staat“ für die Veröf­fent­li­chung der internen Stellung­nahme abmahnen lassen. Die Abmahnung können Sie ebenfalls online lesen. Die Begründung des BfR lautet nicht etwa, dass es sich um vertrau­liche Infor­ma­tionen handle. Immerhin müssen die Infor­ma­tionen auch nach dem IFG ohnehin jedem Inter­es­sierten zur Verfügung gestellt werden. Vielmehr sei die Stellung­nahme urheber­rechtlich geschützt.

Was uns zu einem weiteren derzeit brisanten Thema führt. Genau, die Urheber­rechts­reform. Ging es da nicht um verarmte Künstler, die in den Weiten des Internet zunehmend leer ausgehen? Und um junge YouTuber, die ihre Arbeit durch Upload­filtern vor dem „Aus“ sehen? Nun ist das BfR aber doch eher eine der ehrwür­digen Insti­tu­tionen, die von unseren Steuer­geldern finan­ziert werden. Die sich auf neutrale und metho­disch struk­tu­rierte Weise mit Belangen befassen sollen, die eigentlich alle etwas angehen. Sie fragen sich jetzt sicher, warum die das Urheber­recht geltend machen, durch das schöp­fe­rische Leistungen geschützt werden sollen. Und warum das dann effektiv die Verbreitung von Infor­ma­tionen verhindern soll, die für die Öffent­lichkeit relevant wären. Nun, was sollen wir Ihnen da bloß sagen – das fragen wir uns nämlich auch.

 

2019-03-28T11:28:54+01:0028. März 2019|Allgemein, Digitales, Umwelt|