Urheber­recht und Informationsfreiheit

Kann man bestehende Urheber­rechte gegen Ansprüche auf Infor­ma­ti­ons­freiheit ins Feld führen? Damit musste sich das Landge­richt Köln in einem Klage­ver­fahren beschäf­tigen, das das Bundes­in­stitut für Risiko­be­wertung (BfR) gegen den Journa­listen Arne Semsrott, Projekt­leiter von Fragden­Staat betrieben hat (Urt. v. 12.11.202163/19). Das BfR hatte Semsrott abgemahnt und wollte so erreichen, dass der Beklagte ein Gutachten über Krebs­ri­siken des Unkraut­ver­nich­tungs­mittels Glyphosat, das diesem auf eine IFG-Antrag hin zugesandt worden war, nicht veröf­fent­lichen durfte, weil es angeblich Urheber­rechts­schutz unter­liegt. Nachdem der sich nicht unter­worfen hatte, hatte das BfR ihn auf Unter­lassung verklagt. Prozessual ergab sich so die nicht alltäg­liche Situation, dass ein Zivil­ge­richt über einen verwal­tungs­recht­lichen Anspruch zu urteilen hatte.

Warum war das Verfahren wichtig?

Hätte das BfR sich durch­ge­setzt, hätten öffent­liche Stellen regel­mäßig Studien, Gutachten und andere Schrift­stücke, die eine gewisse Schöp­fungshöhe erreichen, den Blicken der breiten Öffent­lichkeit entziehen können. Behörden hätten dann oft erreichen können, dass zwar an sich Ansprüche nach § 1 Abs. 1 IFG auf amtliche Infor­ma­tionen bestehen, aber der Anspruchs­be­rech­tigte mit den Infor­ma­tionen praktisch nichts anfangen kann. Die Lesart des BfR hätte das Infor­ma­ti­ons­recht in Hinblick auf viele für die Öffent­lichkeit inter­es­sante Inhalte damit schlicht ausgehebelt.

Was sagt das LG Köln?

Das Landge­richt Köln ließ sich vom BfR aber im konkreten Fall nicht überzeugen. Es sah zunächst das Veröf­fent­li­chungs­recht vom Verwer­tungs­recht des BfR umfasst. Die Behörde kann danach also nicht einfach behaupten, sie dürfe so ein Gutachten nicht publi­zieren (hier sollte gesetzlich über Klarstel­lungen bei Auftrags­gut­achten durch Dritte auf vertrag­licher Basis nachge­dacht werden).

Weiter urteilte das LG Köln, dass das BfR die Veröf­fent­li­chung nicht unter­sagen konnte, weil das Gutachten mit der Zusendung an den Antrag­steller bereits veröf­fent­licht war. Zudem konnte sich der Antrag­steller auf das Zitat­recht des § 51 UrhG berufen, weil der Antrag­steller das Werk ja in einem Kontext veröf­fent­licht hat. Zuletzt hatte das BfR per Allge­mein­ver­fügung sogar ein Verfahren aufge­setzt, mit dem jedermann das Gutachten abfragen konnte, was rund 43.000 Antrag­steller dann auch getan hatten. Das Argument des Gerichts war also: Wenn etwas schon so öffentlich ist, dann kann es nicht mehr öffent­licher werden, so dass es auch von Dritten – wie dem Beklagten und Antrag­steller – veröf­fent­licht werden darf.

Sieg der Informationsfreiheit?

Ist das nun ein Sieg der Infor­ma­ti­ons­freiheit auf voller Linie? Keineswegs. In den aller­meisten Fällen wird ein Gutachten, das jemand abgefragt hat, nicht von so vielen anderen Menschen verlangt. Und nicht jeder und nicht immer kann vor einer Veröf­fent­li­chung und Verwendung eines Gutachtens eine große Kampagne starten. Das bedeutet aber: Die Macht des Urheber­rechts gegen unerwünschte Infor­ma­ti­ons­rechte ist nach wie vor erheblich. Hier wäre es am Gesetz­geber, Freiheit und Schutz geistigen Eigentums in den Fällen zu harmo­ni­sieren, in denen nicht etwa Private Rechte geltend machen, sondern der Steuer­zahler Gutachten bezahlt hat, die vor ihm geheim­zu­halten schwer zu begründen ist.

Die Entscheidung ist zudem noch nichts rechts­kräftig: Die Berufung wurde angekündigt. (Miriam Vollmer)

2020-11-17T22:47:45+01:0017. November 2020|Verwaltungsrecht|

Prosa über Glyphosat

Glyphosat ist mal wieder in aller Munde. Vor allem wegen der Entscheidung eines kalifor­ni­schen Gerichts, das Monsanto vor kurzem zu einer Zahlung von immerhin 80 Millionen Dollar verur­teilt hat. Hinter­grund ist die Klage eines krebs­kranken Mannes. Die Jury war zu dem Schluss gekommen, dass seine Erkrankung durch Glyphosat verur­sacht sei. Sie hatte den Hersteller dafür verant­wortlich gemacht. Mehr als 1000 ähnliche Verfahren sollen in den USA anhängig sein. Dass hatte sich der deutsche Chemie- und Pharma­konzern Bayer bei der Übernahme von Monsanto im Juni 2018 mögli­cher­weise anders vorgestellt.

Auch in Deutschland gibt es ein Verfahren zu Glykosat, das nicht zuletzt vor diesem Hinter­grund brisant ist. Dabei geht es nicht um einen konkreten Schadensfall, sondern eher um Aufklärung über mögliche Schad­wir­kungen. Die Online-Plattform für Infor­ma­ti­ons­freiheit „Frag den Staat“ hat nämlich eine Stellung­nahme des Bundesamts für Risiko­be­wertung (BfR) online gestellt. Darin geht es u.a. um die Frage, ob Glyphosat für den Menschen krebs­er­regend sei. „Frag den Staat“ hatte das sechs­seitige Papier zuvor aufgrund eines Auskunfts­an­spruchs nach dem Infor­ma­ti­ons­frei­heits­gesetz (IFG) vom BfR erhalten. Nun hat das BfR „Frag den Staat“ für die Veröf­fent­li­chung der internen Stellung­nahme abmahnen lassen. Die Abmahnung können Sie ebenfalls online lesen. Die Begründung des BfR lautet nicht etwa, dass es sich um vertrau­liche Infor­ma­tionen handle. Immerhin müssen die Infor­ma­tionen auch nach dem IFG ohnehin jedem Inter­es­sierten zur Verfügung gestellt werden. Vielmehr sei die Stellung­nahme urheber­rechtlich geschützt.

Was uns zu einem weiteren derzeit brisanten Thema führt. Genau, die Urheber­rechts­reform. Ging es da nicht um verarmte Künstler, die in den Weiten des Internet zunehmend leer ausgehen? Und um junge YouTuber, die ihre Arbeit durch Upload­filtern vor dem „Aus“ sehen? Nun ist das BfR aber doch eher eine der ehrwür­digen Insti­tu­tionen, die von unseren Steuer­geldern finan­ziert werden. Die sich auf neutrale und metho­disch struk­tu­rierte Weise mit Belangen befassen sollen, die eigentlich alle etwas angehen. Sie fragen sich jetzt sicher, warum die das Urheber­recht geltend machen, durch das schöp­fe­rische Leistungen geschützt werden sollen. Und warum das dann effektiv die Verbreitung von Infor­ma­tionen verhindern soll, die für die Öffent­lichkeit relevant wären. Nun, was sollen wir Ihnen da bloß sagen – das fragen wir uns nämlich auch.

 

2019-03-28T11:28:54+01:0028. März 2019|Allgemein, Digitales, Umwelt|

Heute geschlossen: Wieso ist Wikipedia zu?

Das Internet hat die Musik­in­dustrie erlegt. Wer 2000 geboren ist, kann Fan einer Band sein und noch nie ein Album gekauft haben. Selbst jemand, der den ganzen Tag Musik hört, wird dank iTunes Match oder Spotify vermutlich deutlich weniger für Musik ausgeben als sein 1965 geborener Vater, dessen CD-Regal schon heute ein bisschen aus der Zeit gefallen wirkt. Konse­quen­ter­weise leben Bands deswegen heute weniger vom Tonträ­ger­verkauf. Als von Tournee­auf­tritten, und auch eine populärer Musiker verdient heute weniger als früher.

Die ins Äußerste gestei­gerte technische Repro­du­zier­barkeit nicht nur von Kunst­werken, sondern von allen medialen Inhalten wird nicht nur von Musikern, sondern auch von vielen anderen Urhebern beklagt. Das ist mehr als verständlich: Die Platt­formen verdienen – vor allem mit Werbung – viel Geld. Die, deren kreative Leistungen die Nutzer auf die Plattform locken, gehen oft genug ganz leer aus oder bekommen nur – siehe Musik­in­dustrie – Brosamen vom reich gedeckten Tisch der Plattformbetreiber.

Ein modernes Urheber­recht soll diesem Missstand begegnen. Hierfür ist der europäische Gesetz­geber zuständig. Mit einer Reform der Richt­linie 2001/29/EG  will die EU unter anderem Urhebern mehr Geld verschaffen. Dafür sollen die Platt­formen mehr in die Verant­wortung genommen werden. Derzeit können sie sich dann, wenn Dritte unerlaubt Inhalte hochladen, meistens auf das Teleme­di­en­gesetz (TMG) berufen, nach dessen § 10 sie nicht verpflichtet sind, die hochge­la­denen Inhalte zu überprüfen, sondern erst dann, wenn der Berech­tigte an sie heran­tritt, den Zugang zu diesen Inhalten sperren müssen. Die Kosten für die Rechts­ver­folgung durch den Dritten tragen die Platt­formen nicht.

Aber wo liegt nun das Problem, fragen sich manche Zeitungs­leser ebenso wie verant­wort­liche Politiker. Letztere vermuten hinter den Protesten Lobby­arbeit der Platt­formen oder gar Bots, also Maschinen, deren getwit­terte Meinungs­äu­ße­rungen nicht die Ansichten realer Menschen wider­spiegeln. Diese Unter­stellung regt Kritiker besonders auf. Sie fühlen sich von der Politik nicht ernst genommen. Tatsächlich ist es so, dass die Sorge eines erheb­lichen Teils der kriti­schen Öffent­lichkeit berechtigt sein dürfte. In Zukunft müssten praktisch alle relevanten Platt­formen dafür sorgen, dass keine Inhalte hochge­laden werden, an denen jemand anders Rechte hat. Ansonsten sollen sie haften, als hätten sie selbst das Urheber­recht verletzt. Das wäre teuer.

Praktisch soll dies über Lizenz­ver­ein­ba­rungen abgesi­chert werden. Nun sitzt bei YouTube bekanntlich nicht ein Heer von Mitar­beitern und überprüft, was hochge­laden wird. Dies sollen automa­ti­sierte Filter übernehmen, sogenannte Upload-Filter. Dies wird nun heftig kriti­siert. Die Upload-Filter seien nämlich nicht so gut, wie die Politiker im Europäi­schen Parlament glauben. Sie könnten insbe­sondere Satire und Parodien nicht erkennen. Soll heißen: Das, was z. B. Jan Böhmermann macht, könnte künftig nicht mehr auf Platt­formen hochge­laden werden. Die Ausein­an­der­setzung mit Inhalten Dritter – also nicht deren unerlaubte Verbreitung – würde schweren Schaden nehmen.

Viele fürchten auch, dass nicht nur Urheber­rechts­ver­stöße, sondern auch andere angeblich rechts­widrige Inhalte durch Upload­filter geblockt werden, also die Basis für eine digitale Zensur geschaffen wird. Dies würde das Internet und damit die politische Öffent­lichkeit tiefgreifend verändern. Diese Kritik teilen NGOs wie die Stiftung Netzpo­litik. Und eben auch die Wikipedia, die aus Protest heute abgeschaltet wurde.

Ob das die Politik beein­druckt? Die Äußerungen auch maßgeb­licher Politiker wie der MdE Axel Voss aus den letzten Tagen lassen nicht nur an ihrer Offenheit zweifeln. Sondern teilweise sogar am Sachver­stand der Akteure, wenn in häufig verwendete Schlag­worte in Zusam­menhang mit einer Suchan­frage, wie sie bei Google auftauchen, als eigene Suchrubrik missdeutet werden. Bis jetzt jeden­falls läuft die Reform der Urheber­richt­linie wie geplant durch. Nächste Woche finden dann die finalen Abstim­mungen im Europäi­schen Parlament statt. Am Wochenende soll protes­tiert werden. Wer die Kritik teilt, aber nicht gleich auf die Straße gehen will, kann hier unter­schreiben. Oh, und wer eine gut lesbare Zusam­men­fassung der bestehenden Kritik­punkte sucht, dem sei dieses Interview mit der MdE Julia Reda empfohlen.

2019-03-21T09:17:08+01:0021. März 2019|Allgemein, Digitales|