Informationsfreiheit als Grundrecht
Ein Arbeitspapier im Rahmen der Koalitionsverhandlungen legt pikanterweise unter der Überschrift „Repräsentative Demokratie stärken“ nahe, dass die CDU das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) in seiner bisherigen Form abschaffen will. Verbände warnen, in den Medien wurde das Thema bisher kaum aufgegriffen. Das Umweltinformationsgesetz (UIG) soll darüber hinaus „verschlankt“ werden. Geht das rechtlich überhaupt?
Die Frage lässt sich auf mehreren Ebenen beantworten:
1) Die Ebene des Grundgesetzes (GG), wo in Deutschland klassischerweise Grundrechte geregelt sind, gibt zunächst kein klares Grundrecht auf Informationszugang her: Im Grundgesetz ist die Informationszugangsfreiheit gegenüber dem Staat nicht ausdrücklich benannt. Anders ist dies etwa in einigen Landesverfassungen und auf EU-Ebene (so etwa in Art. 8 Abs. 2 Satz 2 und Art. 42 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union). Zwar gibt es in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Ansatzpunkte, das Recht auf Zugang zu staatlichen Informationen anderen Grundrechten und Verfassungsprinzipien zu entnehmen. Letzlich ergeben sich daraus aber keine subjektiven Rechte für Einzelne (vgl. Wirtz/Brink: Die verfassungsrechtliche Verankerung der Informationszugangsfreiheit, NVwZ 2015, 1166):
- die Meinungsfreiheit beinhaltet gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG auch das Recht auf Informationsfreiheit (ständige Rechtsprechung, z.B. BVerfGE 27, 71). Jedoch gilt das für staatliche Informationsquellen nur dann, wenn sie ohnehin frei zugänglich sind oder durch rechtliche Bestimmungen zugänglich gemacht werden (BVerfG, Beschluss vom 20.06.2017 – Az – 1 BvR 1978/13). Daher kann man sich nur solange auf die Informationsfreiheit zu amtlichen Dokumenten berufen, solange das IFG oder andere rechliche Normen einem den Zugang einräumen.
- Das IFG soll laut Gesetzesbegründung „die demokratischen Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger“ stärken. Mit diesem Gesetzeszweck ist eine Erfolgsgeschichte verbunden. Die demokratische Kontrolle insbesondere der Exekutive konnte auf direktem Weg durch mehr Transparenz verbessert werden. Das Demokratieprinzip gemäß Art. 20 Abs. 1 GG wäre zu eng gefasst, wenn es ausschließlich um die Wahl von parlamentarischen Repräsentanten ginge, die dann die Exekutive kontrollieren. Auch die Bürger selbst müssen das Recht haben, sich über die Tätigkeit der Verwaltung zu informieren. Allerdings unterstützt das Demokratieprinzip lediglich das Informationszugangsrecht der Bürgerinnen und Bürger. Ein subjektives Recht auf Zugang zu amtlichen Informationen folgt bisher nicht daraus.
- Aus der Rechtsstaatlichkeit folgt zumindest für Verfahrensbeteiligte ein Recht auf Akteneinsicht, das allerdings auch durch andere Vorschriften im Verwaltungsverfahrensgesetz und in der Verwaltungsgerichtsordnung normiert ist.
- Fazit: Trotz der genannten verfassungsrechtlichen Ansatzpunkte gilt weiterhin die im Grunde etatistische Grundregel, dass Transparenz staatlicherseits nur geschuldet ist, wenn der Staat sie durch einfaches Gesetz einräumt. Dies widerspricht dem liberalen Geist des Grundgesetzes. Denn nach Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 2 GG ist der Staat stets dem Einzelnen rechenschaftspflichtig, nicht umgekehrt.
Neben den eigenen verfassungsrechtlichen Selbstbindungen hat sich Deutschland jedoch völkerrechtlichen Bindungen unterworfen, aus denen Rechte aus Informationszugangsfreiheit folgen. Daraus folgen auch für deutsche Bürger Rechte, die keinen Verfassungsrang haben, aber sich auf der Ebene einfacher Gesetze bewegen:
2) Die Europäische Menschenrechtskonvention beinhaltet in Art. 10 ein Recht auf Meinungsfreiheit, das ähnlich lautet wie Art. 5 Abs. 1 GG, aber vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg weiter ausgelegt wird: Aus ihm folgt auch ein Informationszugangsrecht gegenüber dem Staat (vgl. ECHR, Österreichische Vereinigung zur Erhaltung v. Austria, Application no. 39534/07) Judgement Strasbourg, 28 November 2013). In dem Fall ging es nicht nur um den Zugang zu bereits vorhandenen Dokumenten, sondern darum, Daten für den Antragsteller aufzubereiten, die vorhanden waren, aber für sich genommen nicht aussagekräftig waren.
Ein ähnlicher Anspruch wurde zuvor schon für Ungarn entschieden, wo einem Kläger vor dem Verfassungsgericht ein Schriftsatz vorenthalten wurde. Auch in Deutschland würde die Abschaffung des IFG ähnlich wie in Ungarn zu Konflikten mit dem Völkerrecht führen.
3) Das Umweltinformatonsgesetz ist durch die Aarhus-Konvention veranlasst und setzt die darin enthaltenen Rechte um. Deutschland darf nicht hinter die Pflichten des Vertrags zurückfallen, ohne gegen seine völkerrechtlichen Pflichten und gegen EU-Recht zu verstoßen. Auch insofern droht der Vorschlag der Unionsparteien an internationalen Vorgaben zu scheitern.
Kurz zusammengefasst: Das Grundgesetz gibt bislang keinen subjektiven Anspruch auf Informationszugang her. An sich wäre es aber an der Zeit, den Anspruch auf amtliche Dokumente und Informationen auch in der deutschen Verfassung zu verankern. Alles andere entspricht einem veralteten Staatsverständnis: Nach der Verfassungsordnung des GG ist der Staat kein Selbstzweck ist und muss sich von den Bürgerinnen und Bürgern in die Karten schauen lassen – jedenfalls soweit keine wichtigen anderen Rechte oder Funktionsprinzipien entgegenstehen.
Die Abschaffung oder erhebliche Beschneidung des Informationszugangsrechts würde Deutschland international isolieren. Immerhin hat Deutschland sich sowohl gegenüber der EU (bzw. den Vertragsstaaten der Aarhus-Konvention) als auch gegenüber dem Europarat zu Informationszugangsrechten verpflichtet. Der Schaden, der durch den „German Vote“ etwa beim Abschied vom Verbrenner in den letzten Jahren bereits angerichtet worden ist, würde durch einen Verstoß gegen Rechte der EMRK und der Aarhus-Konvention weiter vertieft. (Olaf Dilling)