Alles Umwelt oder was? – Zu OVG Lüneburg, 2 ME 246/20

§ 3 Abs. 1 des Umwelt­in­for­ma­ti­ons­ge­setzes (UIG) gewährt jedem ohne Angabe von Gründen Zugang zu Umwelt­in­for­ma­tionen. Damit spielt die Frage, was eigentlich eine Umwelt­in­for­mation darstellt, eine ganz entschei­dende Frage, wenn Bürger etwas wissen wollen und die Behörde mauert.

§ 2 Abs. 3 UIG ist erst einmal denkbar weit. Umwelt­in­for­ma­tionen sind hiernach alle Daten über

den Zustand von Umwelt­be­stand­teilen wie Luft und Atmosphäre, Wasser, Boden, Landschaft und natür­liche Lebens­räume einschließlich Feucht­ge­biete, Küsten- und Meeres­ge­biete, die Arten­vielfalt und ihre Bestand­teile, einschließlich gentech­nisch verän­derter Organismen, sowie die Wechsel­wir­kungen zwischen diesen Bestandteilen;“

Nicht nur der Zustand selbst, auch unter anderem die Maßnahmen und Tätig­keiten, die sich auf diesen Zustand beziehen, sind Umwelt­in­for­ma­tionen, wie sich aus dem ausge­sprochen weiten Wortlaut der Norm ergibt.

Doch nicht alle Gerichte sehen das so. Das Oberver­wal­tungs­ge­richt (OVG) Lüneburg hat mit Beschluss vom 12. Mai 2020 (2 ME 246/20) eine erstin­stanz­liche Eilent­scheidung des Veral­tungs­ge­richts (VG) Hannover aufge­hoben, in der es um Erlasse des Nieder­säch­si­schen Justiz­mi­nis­te­riums ging, die dieses in Bezug auf den Umgang mit der Corona-Pandemie verfasst hat. Das VG Hannover war erstin­stanzlich noch von einem Anspruch auf Infor­mation ausge­gangen. Das OVG hatte in zweiter Instanz aber angenommen, dass es sich bei der Viren- und Aerosol­be­lastung der Luft nicht um Umwelt­in­for­ma­tionen handelt. Die Inneraumluft sei nämlich keine Luft im Sinne des Gesetzes. Der Umwelt­bezug einer Maßnahme müsste eine gewisse Inten­sität erreichen; eine einfache Berührung von Umwelt­gütern reiche nicht.

Diese Rechts­an­sicht ist mindestens überra­schend. Das Gesetz legt nämlich nichts Entspre­chendes nahe. Hier gibt es keine Verengung auf einen „Umwelt­bezug“. Und dass Luft innerhalb von Gebäuden keine Luft sei, ist natur­wis­sen­schaftlich ebenso gewagt wie juris­tisch. Das OVG Berlin-Brandenburg hat genau ds 2015 auch schon einmal mit gutem Grund anders gesehen.

Es ist insofern nicht besonders wahrscheinlich, dass sich diese Rechts­an­sicht durch­setzt. Doch im Eilver­fahren ist nach dem OVG Schluss. Es bleibt insofern einem Haupt­sa­che­ver­fahren oder einer separaten Klärung vorbe­halten, ob die sehr enge Auslegung des OVG Lüneburg wirklich überzeugt (Miriam Vollmer).

2020-08-24T23:04:46+02:0024. August 2020|Umwelt, Verwaltungsrecht|

Infor­ma­ti­ons­freiheit: Puten weder Umwelt noch Lebensmittel

Tiertrans­porte sind selbst in den Augen leiden­schaft­licher Fleisch­esser keine schöne Angele­genheit. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass Tierschützer sich für Daten über die Transport– und Schlacht­be­din­gungen inter­es­sieren, um sie zu veröf­fent­lichen. Entspre­chend klagte ein Verein, der sich unter anderem für den Tierschutz einsetzt, sich gegen die Aufsichts­be­hörde durch alle Instanzen, um Einsicht in deren Akten über die Kontrolle von Puten­trans­porten zu einer Geflü­gel­schlach­terei zu erhalten. Die Beklagte lehnte den Antrag im Juli 2013 ab, die beigeladene Geflü­gel­schlach­terei wollte sich natur­gemäß auch nicht in die Karten schauen lassen.

Vor dem VG Oldenburg (5 A 268/14) setzte sich der Verein zunächst durch. Bei den Daten handele es sich um Umwelt­in­for­ma­tionen im Sinne des § 2 Abs. 3 Umwelt­in­for­ma­ti­ons­gesetz (UIG), so dass ein Anspruch auf Infor­mation auch für den am Transport unbetei­ligten Verein bestünde. Das hiergegen angerufene Oberver­wal­tungs­ge­richt in Lüneburg änderte mit Entscheidung vom 27.02.2018, (2 LC 58/17) nur die Begründung, nicht das Ergebnis. Seiner Ansicht nach sind Nutztiere wie Puten keine Umwelt­be­stand­teile. Aller­dings sah das Oberver­wal­tungs­ge­richt einen Anspruch nach dem Verbrau­cher­infor­ma­ti­ons­gesetz (VIG), weil Verbrau­che­rinnen und Verbraucher Anspruch auf alle Daten über Abwei­chungen vom Lebens– und Futter­mit­tel­recht hätten. Hierzu sei auch das Recht der Tiertrans­porte und der Tierschlachtung zu zählen. Dem Oberver­wal­tungs­ge­richt ging es also um den Verein als Verei­nigung poten­ti­eller Fleisch­esser und seine Inter­essen an einwand­freien Fleischprodukten.

Mit Urteil vom 30.01.2020 verwarf indes das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) beide Begrün­dungs­an­sätze (10 C 11.19). Nutztiere seien kein Bestandteil der Umwelt. Nach Ansicht des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts nehmen sie offenbar nicht an der Arten­vielfalt teil. Aber auch das Verbrau­cher­infor­ma­ti­ons­gesetz berück­sichtige keine Verstöße gegen tierschutz­recht­liche Vorschriften, es gehe um Verbraucher– und nicht um Tierschutz. Lebens­mittel seien deswegen erfasst. Lebende Tiere seien aber keine Lebensmittel.

Aus unserer Sicht ist diese Entscheidung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts lebens­fremd. Zwar sind die lebenden Puten noch kein Lebens­mittel, aber natürlich besteht ein enger Zusam­menhang zwischen den Bedin­gungen ihres Lebens und ihrem Zustand als Puten­roll­braten und Geflü­gel­wurst. Und wenn unter den Umwelt­be­griff nur die wilden Tiere fallen, so verkennt dies unseres Erachtens, dass es in der Bundes­re­publik keine wirkliche Wildnis mehr gibt. Auch die hiesige freile­bende Tierwelt ist das Ergebnis von Jahrtau­senden von Kultur­be­mü­hungen. Wenn Tiere aber schon dann kein Umwelt­be­standteil mehr sind, sobald sie jemandem gehören und zur Nutzung vorge­sehen sind, verkürzt man die Reich­weite des Umwelt-Infor­ma­ti­ons­ge­setzes auf eine Weise, von der es schwer vorstellbar ist, dass die Schöpfer der Aarhus-Konvention und der Umwelt-Infor­ma­ti­ons­richt­linie sie inten­diert haben. Diese sind aber für deutsche Gerichte – also auch für das BVerwG – verbindlich (Miriam Vollmer).

2020-02-10T19:11:25+01:0010. Februar 2020|Umwelt, Verwaltungsrecht|

Akten­ein­sicht wegen Tierschutz

Die Anpassung des Umwelt­rechts an Europa hat die deutschen Verwaltung den Bürgern ein gutes Stück weit geöffnet. Die Aarhus-Konvention von 1998 hat drei Säulen: Zugang zu Umwelt­in­for­ma­tionen, Betei­ligung und Mitwirkung von Verbänden und Zugang zu Gerichten. Wer einen Antrag auf Zugang zu Umwelt­in­for­ma­tionen stellt, braucht nicht einmal ein rechtlich geschütztes Interesse. Im Prinzip soll sich jeder bei den Behörden infor­mieren können. Der Zugang zum Umwelt­in­for­ma­tionen ist ein effek­tives Korrektiv für eine Verwaltung, die dem Gesetz­geber oft mit dem Vollzug der umwelt­recht­lichen Vorschriften hinter­her­hinkt. Auch Mausche­leien zwischen Unter­nehmen und Behörden werden durch den Zugriff der Öffent­lichkeit verringert.

Im neuen Jahrtausend ist nicht nur die Umwelt­ver­waltung einer stärkeren öffent­lichen Kontrolle ausge­setzt. Seit 2005 gibt es mit dem Infor­ma­ti­ons­frei­heits­gesetz eine vergleichbare Regelung für Zugang zu allen möglichen Infor­ma­tionen bei Bundes­be­hörden. Seit 2008 wurde außerdem mit dem Verbrau­cher­infor­ma­ti­ons­gesetz (VIG) auf Lebens­mit­tel­skandale reagiert. Seither müssen Infor­ma­tionen über bestimmte Lebens- und Futter­mit­tel­er­zeug­nisse und sicher­heits­re­le­vante Verbrau­cher­pro­dukte von der Verwaltung heraus­ge­geben werden.

Vor ein paar Tagen hat das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) einen Fall entschieden, in dem es um Verbrau­cher­infor­ma­tionen über Verstöße gegen Tierschutz­vor­schriften in einer Geflü­gel­schlach­terei ging. Die Geflü­gel­schlach­terei hatte ursprünglich behauptet, dass es gar nicht um Verbrau­cher­schutz ginge, sondern dass letztlich Tierschutz­ver­bände sie schlecht machen wollten. Schon die Vorin­stanzen hatten geklärt, dass es darauf nicht ankommt. Außerdem waren die Verstöße gegen tierschutz­recht­liche Bestim­mungen nie offiziell per Verwal­tungsakt festge­stellt worden. Das BVerwG entschied, dass auch unabhängig von einem Verwal­tungsakt Ansprüche auf Infor­ma­ti­ons­zugang bestehen können. Außerdem seien nicht nur produkt­be­zogene, also direkt für die Gesundheit des Verbrau­chers relevante Infor­ma­tionen, sondern auch Infor­ma­tionen über hygie­nische oder tierschutz­be­zogene Misstände in der Produk­ti­ons­stätte im Sinne des VIG relevant.

Zuvor hatte im Juli das OVG Münster in einem ähnlichen Fall anders entschieden. Hier hatte ein Tierschutz­verband auf Akten­ein­sicht über einen Schwei­ne­zucht­be­trieb geklagt. Aller­dings nicht unter Berufung auf das VIG, sondern auf das nordrhein-westfä­lische „Gesetz über das Verbands­kla­ge­recht und Mitwir­kungs­rechte für Tierschutz­ver­ei­ni­gungen“. Die Richter hatten die Tierschützer schlicht und ergreifend darauf hinge­wiesen, dass das Gesetz seit Ende 2018 außer Kraft getreten sei. Ob – wie vom BVerwG – auch ein Anspruch aus dem Verbrau­cher­infor­ma­ti­ons­gesetz geprüft wurde, geht aus der Presse­mit­teilung nicht hervor.

2019-09-02T20:31:01+02:002. September 2019|Allgemein, Umwelt|