Wann ist eine Pipeline „fertig“?

Nord Stream 2, das hat vermutlich jeder der Presse entnommen, hat vorm Oberlan­des­ge­richt (OLG) Düsseldorf am 28. Mai 2021 einen wichtigen Prozess verloren (3 Kart 211/20). So viel ist klar. Doch: Was genau war hier eigentlich das Thema? Und wieso hat das OLG Düsseldorf gegen die Nord Stream 2 AG entschieden?

Gegen­stand des Verfahrens war ein Beschluss der Bundes­netz­agentur (BNetzA) vom 15. Mai 2020. Die BNetzA hatte nämlich den Antrag der Nord Stream 2 AG abgelehnt, die Pipeline zwischen Russland und Zentral­europa von der Regulierung freizu­stellen. Diese Freistellung war der Nord Stream 2 AG wirtschaftlich wichtig, weil mit dem Zwang zu Regulierung u. a. die Trennung von Netz und Vertrieb verbunden ist, aber auch die Notwen­digkeit, regulierte Netzent­gelte zu kalku­lieren und den Dritt­zugang zur Netzin­fra­struktur zu ermög­lichen. Für Nord Stream 2 stand also Einiges auf dem Spiel.

Dass die Nord Stream 2 AG überhaupt einen Freistel­lungs­antrag beantragen konnte, beruht auf einer Ausnah­me­vor­schrift: § 28b Abs. 1 EnWG, der den Art. 49a Änderungs­richt­linie umsetzt, erlaubt die Freistellung für Gasver­bin­dungs­lei­tungen zwischen der EU und einem Dritt­staat, für die neben einer Reihe anderer Voraus­set­zungen ein Stichtag für die abgeschlossene Fertig­stellung gilt: Der 23. Mai 2019. Das OLG Düsseldorf hatte sich also mit der Frage zu beschäf­tigen, ob an diesem Tage die Pipeline Nord Stream 2 fertig war.

Nun ist bekannt, dass die Pipeline im landläu­figen Sinne bis heute nicht fertig ist. Nur einer der beiden Röhrenstränge wurde im Juni 2021 fertig­ge­stellt, der andere noch nicht. Doch die Nord Stream 2 AG  argumen­tierte, der Begriff der Fertig­stellung sei anders zu verstehen: Statt einer baulich-techni­schen Fertig­stellung sei der Begriff der Fertig­stellung hier wirtschaftlich-funktional zu inter­pre­tieren. Danach sei es gleich­gültig, ob die Pipeline schon existiere, es käme auf die finale und nicht mehr umkehrbare Inves­ti­ti­ons­ent­scheidung an. Dies begründete das Unter­nehmen – bzw. seine Anwälte – mit einer ausge­sprochen umfas­senden, verschlun­genen Inter­pre­tation des Unionsrechts.

Das OLG Düsseldorf ließ sich darauf indes nicht ein. In Rn. 65 begründete es seine Sicht auf die streit­ent­schei­dende Norm und führte aus:

Mit dem Begriff der Fertig­stellung wird nach dem allge­meinen Sprach­ge­brauch zum Ausdruck gebracht, dass die Herstellung einer Sache abgeschlossen bzw. beendet ist.“

Mit anderen Worten: Geld ausgeben zu wollen, reicht nicht. Fertig ist nur eine physisch vorhandene Leitung. Dies ergebe sich neben Wortlaut und Sinn und Zweck der Regelung u. a. auch aus den anderen Sprach­fas­sungen der Richt­linie und andere Regelungen, die auf die „Fertig­stellung“ abstellen. Auch die sich anschlie­ßende Grund­rechts­ar­gu­men­tation überzeugte die Richter nicht.

Alaska, Pipeline, Öl, Wahrzeichen

Was also nun? Die Nord Stream 2 AG kann sich an den Bundes­ge­richtshof (BGH) wenden. Unter­liegt sie auch hier, so muss sie sich wie andere Netzbe­treiber in Deutschland auch der Regulierung des Netzes und seiner Nutzungs­ent­gelte unterwerfen.

Wie man hört, soll es aber auch schon anderen Unter­nehmen gelungen sein, trotzdem profi­tabel zu arbeiten (Miriam Vollmer).

2021-08-31T22:51:36+02:0031. August 2021|Allgemein, BNetzA, Energiepolitik, Gas|

Wann ist Erzeugung dezentral?

Der § 18 der StromNEV gewährt bei Einspeisung ins Nieder­span­nungs- oder ins Mittel­span­nungsnetz ein Entgelt für den einspei­senden Anlagen­be­treiber, weil die Übertra­gungs­netze entlastet werden. Doch wann ist eine Anlage eine solche dezen­trale Erzeu­gungs­anlage? Hierzu hat sich der BGH am 27.10.2020 (Az.: EnVR 70/19) geäußert.

In der Entscheidung geht es um Block E des Kraft­werks Westfalen mit statt­lichen 764 MW Leistung. Der Block wurde 2014 in Betrieb genommen und war zunächst nur ans 380-kV-Höchst­span­nungsnetz angeschlossen. Erst 2016 kam ein zusätz­licher Anschluss ans 110-kV-Hochspan­nungs­ver­tei­lernetz der Netzbe­trei­berin und Antrags­geg­nerin im Verfahren hinzu. Seitdem speist der Block E in mehr als 90% der Betriebs­stunden ins Hochspan­nungsnetz, gleich­zeitig findet stets eine Mindestein­speisung von 50 MW ins Übertra­gungsnetz statt.

Die Netzbe­trei­berin verwei­gerte der Kraft­werks­be­trei­berin ab Januar 2017 die Entgelte für vermiedene Netzent­gelte für 2.117 GWh, die diese ins Verteilnetz einge­speist hatte. Darauf regte die Kraft­werks­be­trei­berin ein Missbrauchs­ver­fahren bei der Bundes­netz­agentur (BNetzA) an, das diese ablehnte. Hiergegen richtete sich die Beschwerde der Kraft­werks­be­trei­berin. Das OLG Düsseldorf wies die Beschwerde zurück, nun hat auch der BGH die Rechts­be­schwerde zurückgewiesen.

Wie schon das OLG Düsseldorf betrachtet auch der BGH Kraft­werke, die auch ins Übertra­gungsnetz einspeisen, nicht als dezen­trale Erzeu­gungs­anlage. Es sei erfor­derlich, dass eine Anlage ausschließlich ans Verteilnetz angeschlossen sei. Denn die Netzkosten durch Ausbau­ver­meidung sinken nur, wenn ausschließlich das Verteilnetz genutzt wird. Zudem beruhe § 18 StromNEV auf einer genera­li­sierten Fiktion, so dass der Vortrag, die Netzent­lastung finde tatsächlich statt, den BGH nicht überzeugt. Auch syste­ma­tische HInweise auf ältere Normver­sionen überzeugten den BGH ebenso wenig wie Vertrau­ens­schutz, weil 2016 für einige Monate vermie­denes Netzentgelt gezahlt wurde.

Im Ergebnis bleibt es dabei: Dezen­trale Erzeu­gungs­an­lagen dürfen nur an eine Netzebene angeschlossen sein (Miriam Vollmer)

2021-02-19T19:39:05+01:0019. Februar 2021|BNetzA, Strom|