Was nicht passt, wird passend gemacht

Eltern, aufge­passt: Eine inter­es­sante Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richts (VG) Aachen vom 31.07.2018 könnte Ihnen dabei helfen, eine Kita zu finden, die es Ihnen ermög­licht, so viel zu arbeiten, wie sie mögen. Bisher war das nämlich oft nicht der Fall, weil viele Kitas um 16.00 Uhr oder wenig später schlossen. Da ein normaler Arbeitstag aber selten vor 17.00 Uhr endet, und die meisten Leute auch nicht neben der Kita wohnen, mussten oft Eltern, die eigentlich Vollzeit arbeiten wollten oder aus finan­zi­ellen Gründen auch mussten, auf Teilzeit umsteigen.

So ging es auch Eltern aus Aachen. Sie hatten einen wöchent­lichen Betreu­ungs­bedarf von 45 Stunden nachge­wiesen. Sie wollten ihr Kind von 8.00 bis 17.00 Uhr betreuen lassen. Die Stadt Aachen wies ihnen aber nur einen Kitaplatz bis 16:30 zu.

Die Familie zog vor Gericht. Im Eilver­fahren gab das VG Aachen ihnen nun recht. Die Stadt ist verpflichtet, ihnen einen entspre­chenden Platz bis 17.00 Uhr zuzuweisen. Dies ergibt sich aus § 24 Abs. 2 SGB VIII lautet:

Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebens­jahres Anspruch auf frühkind­liche Förderung in einer Tages­ein­richtung oder in Kindertagespflege.“

Das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) hat am 21.05.2015 (1 BvF 2/13, dort Rn. 43) klarge­stellt, dass dieser Anspruch nicht unter einem Kapazi­täts­vor­behalt steht. Die Stadt kann sich also nicht darauf berufen, dass sie keinen solchen Platz in petto hat und erst recht nicht den Eltern aufer­legen, sich einen solchen zu suchen, wie der Verwal­tungs­ge­richtshof (VGH) München mit Urt. v. 22.07.2016 entschieden hat. Dieser Platz darf auch nicht mehr als 30 Minuten entfernt sein, sagt das Oberver­wal­tungs­ge­richt (OVG) Berlin-Brandenburg.

Für Kommunen bedeutet das, dass sie die Anzahl der Kitaplätze nicht (mehr) auf Kosten der Betreu­ungs­zeiten vermehren dürfen. Plätze in der Nähe zu den Zeiten, die Eltern als Bedarf nachweisen, hat es einfach zu geben. Zwar ist es prinzi­piell möglich, die absolute Unmög­lichkeit nachzu­weisen und dann „nur“ Schadens­ersatz zu leisten. Aber hierfür liegt die Schwelle hoch. Für Eltern heißt es nun, recht­zeitig Anträge zu stellen und dann, wenn abgelehnt wird, schnell zu Gericht zu gehen. Besonders wichtig könnte das für Allein­er­zie­hende sein: Denn wenn sie einen öffentlich-recht­lichen Anspruch auf Vollzeit­be­treuung haben, ist es nicht ausge­schlossen (wenn auch noch ungeklärt), dass dies Klagen auf Betreu­ungs­un­terhalt entge­gen­ge­halten wird.

Doch noch heißt es abzuwarten: Möglich ist noch eine Beschwerde der Staat. Und auch im Haupt­sa­che­ver­fahren kann sich noch etwas anderes ergeben.

2018-08-02T20:53:24+02:002. August 2018|Allgemein, Verwaltungsrecht|

Und sie bewegt sich doch

Frau Göker flucht. Das kommt nicht oft vor. Frau Geschäfts­füh­rerin Göker der Stadt­werke Oberal­theim GmbH (SWO) gilt als geradezu übermenschlich beherrscht. Aber wenn man sechs Wochen Mutter­schutz und ein entsetz­liches Jahr ohne die unersetz­liche, sozusagen gottgleiche Assis­tentin Annika Assmann fast überstanden hat, nur um im Januar zu erfahren, dass deren Elternzeit statt im März zu enden, nun bis August verlängert werden soll, kann man schon mal Ausdrücke gebrauchen, von denen Außen­ste­hende nicht einmal geahnt hätten, dass Frau Göker sie kennt.

Anders als manche im Vorfeld unkten, liegt diese Verlän­gerung keineswegs an einer Persön­lich­keits­ver­än­derung von Frau Assmann. Ganz im Gegenteil: Frau Assmann langweilt sich zwischen PEKiP und endlosen Spazier­gängen im Stadtpark von Oberal­theim demnächst zu Tode und brennt darauf, Sohn Charly endlich in der Kita Puste­blume unter­zu­bringen. Doch die Puste­blume hat alle 70 Plätze restlos belegt. Erst ab August soll es einen Platz für Charly geben, wenn die großen Kinder einge­schult werden. Dabei hat Frau Assmann doch einen Kosten­über­nah­me­be­scheid – vulgo Kitagut­schein – ab März bekommen, denn am 1. März wird Charly eins.

Das kann doch nicht sein!“, wütet Geschäfts­füh­rerin Göker gegen das Schicksal und berät sich lange mit Frau Justi­tiarin Berlach und Frau Assmann selbst. Schließlich fassen die drei Damen einen Plan: Frau Assmann stellt einen Antrag auf Zuweisung eines Kitaplatzes ab dem 1. März. Als die Ablehnung mangels freier Plätze kommt, legt sie unmit­telbar Wider­spruch ein und kündigt einen Eilantrag vorm Verwal­tungs­ge­richt (VG) an. Zur Begründung verweist sie – mit ein bisschen freund­schaft­licher Unter­stützung von Frau Berlach – auf § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII, wo es heißt:

Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebens­jahres Anspruch auf frühkind­liche Förderung in einer Tages­ein­richtung oder in Kindertagespflege.“

Keineswegs heißt es hier, dass ein Kind ab dem 1. August nach dem ersten Geburtstag Anspruch auf einen Kitaplatz hat. Auch steht da nicht, dass dieser Anspruch nur dann bestehen würde, wenn es ausrei­chend Plätze vor Ort gibt. Ganz im Gegenteil gewährt der Gesetz­geber diesen Anspruch ohne Kapazi­täts­vor­behalt, wie u. a. das BVerfG unter­strichen hat (1 BvF 2/13, dort Rn. 43). Das bedeutet, dass es Sache der Behörden ist, die Plätze bereit­zu­stellen. Deswegen hat auch kürzlich das Oberver­wal­tungs­ge­richt (OVG) Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 22.03.2018 (OVG 6 S 2.18 und OVG 6 S 6.18) das Land Berlin verpflichtet, innerhalb von fünf Wochen Kitaplätze (oder gleich­wertige Betreu­ungs­plätze) in angemes­sener Entfernung von weniger als 30 Minuten nachzuweisen.

Das Jugendamt aber stellt sich tot. Nicht einmal, als Frau Assmann tatsächlich das VG Oberal­theim bemüht und einen Eilantrag stellt, kommt Bewegung in die Behörde. Man wolle, hört man hinter vorge­hal­tener Hand, niemanden dazu einladen, es Frau Assmann gleich zu tun. Erst, als das VG Oberal­theim tatsächlich einen Beschluss im Eilrechts­schutz erlässt und Charly den begehrten Platz ab dem 1. März zuspricht, erhält Frau Assmann kommen­tarlos einen Kitavertrag zugeschickt.

Und Frau Göker soll, wie man hört, in ihrem Büro eine Art kleinen Freudentanz aufge­führt haben.

2018-06-11T08:25:56+02:0010. Juni 2018|Verwaltungsrecht|

Neues zum Kitaan­spruch: Beschlüsse des OVG Berlin-Brandenburg

Ab dem ersten Geburtstag hat ein Kind Anspruch auf einen Kitaplatz. Wie man diesen geltend macht, habe ich vor einigen Wochen bereits einmal darge­stellt. Aber was, wenn das Jugendamt – in Berlin sind das die Bezirke – diesen nicht bereit­stellen kann, weil es nicht genug gibt? Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln) stellte im letzten Jahr fest, dass bundesweit fast 300.000 Plätze fehlen. Das ist nicht nur drama­tisch für die Kinder, denen die Förde­rungs­mög­lich­keiten einer Kita vorent­halten werden. Sondern auch für die Eltern, die nicht so arbeiten können, wie sie es möchten.

Nachdem das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) 2015 klarge­stellt hat (1 BvF 2/13, dort Rn. 43), dass der Anspruch auf einen Kitaplatz nicht unter einem Kapazi­täts­vor­behalt steht, konnten sich die Gemeinden nicht mehr darauf heraus­reden, dass sie keine Plätze haben. Zuletzt hatte sich eine Recht­spre­chung durch­ge­setzt, nach der die Jugend­ämter Kitaplätze zuweisen mussten, und ansonsten auch teurere private Betreu­ungs­lö­sungen tragen oder die entgan­genen Einkünfte für längere Eltern­zeiten als ursprünglich beabsichtigt tragen mussten.

Am Ende sahen sich also doch die Eltern in der Pflicht. Das könnte sich jetzt aller­dings ändern: Das Oberver­wal­tungs­ge­richt (OVG) Berlin-Brandenburg hat mit Beschluss vom 22.03.2018 (OVG 6 S 2.18 und OVG 6 S 6.18) das Land Berlin verpflichtet, innerhalb von fünf Wochen Kitaplätze (oder gleich­wertige Betreu­ungs­plätze) in angemes­sener Entfernung von weniger als 30 Minuten nachzu­weisen. Wie diese Plätze angesichts von Fachkräf­te­mangel und Ausbausch­wie­rig­keiten herzu­stellen sind, ist dabei nicht das Problem der Eltern.

Was folgt daraus für die Praxis? Eltern sollten so früh wie möglich Kitagut­scheine beantragen. Den Weg zur Wunschkita wird wohl jede Familie auch weiterhin einschlagen, denn schließlich gibt es erheb­liche räumliche und quali­tative Unter­schiede zwischen den Einrich­tungen. Doch wenn die Wunschkita absagt, sollten Eltern recht­zeitig das Gespräch mit dem Jugendamt suchen, wenn der vollständig und frist­gemäß gestellte Antrag nicht beschieden wird, mit Untätig­keits­klage drohen und diese notfalls einlegen. Diese Schritte sollten so recht­zeitig einge­leitet werden, dass das Jugendamt mindestens die in diesen beiden Eilver­fahren für angemessen erklärten fünf Wochen Zeit hat, um Kitaplätze nachzu­weisen. Sollte sich auch dann nichts tun, wäre an gerichtlich festge­setzte Zwangs­maß­nahmen zu denken. Doch erfah­rungs­gemäß lassen Behörden es so weit dann doch nicht kommen. Als Eltern vergrößern sich durch diese sich fortent­wi­ckelnde Recht­spre­chung die Spiel­räume. Für die Städte und Gemeinden jedoch heißt es nun, auch unkon­ven­tio­nelle Wege zu gehen, um den gesetzlich einge­räumten Anspruch in jedem Fall erfüllen zu können. Abwimmeln und aussitzen und auf private Initiative hoffen ist jeden­falls keine ernst­hafte Option mehr.

2018-03-23T15:37:39+01:0023. März 2018|Verwaltungsrecht|