VGH BW: Schul­weg­si­cherheit auch präventiv möglich

Es ist ein Skandal des deutschen Verkehrs­rechts, dass erst Unfälle nachge­wiesen werden müssen, bevor Maßnahmen zur Verkehrs­si­cherheit ergriffen werden können. So jeden­falls ein in deutschen Amtsstuben weit verbrei­teter Mythos. Tatsächlich verlangen viele Straßen­ver­kehrs­be­hörden und manche Gerichte beispiels­weise für die Anordnung von Tempo 30 den Nachweis eines bereits bestehenden Unfall­schwer­punkts. Gerade wenn es um die Sicherheit von Schul­kinder geht, sorgt dies für Unver­ständnis. Denn wieso sollte man erst warten, bis buchstäblich Blut geflossen ist, wenn Unfälle vorher­sehbar sind?

Die Orien­tierung an der Unfall­sta­tistik lässt sich auch weder einem Gesetz bzw. einer Verordnung entnehmen, noch entspricht sie der höchst­rich­ter­lichen Recht­spre­chung. Vielmehr hat das BVerwG immer wieder entschieden, dass eine Prognose, aus der sich eine konkrete Gefahr ableiten lässt, ausrei­chend ist (z.B. BVerwG, Urteil vom 23.09.2010 – BVerwG 3 C 37.09, Rn. 31).

Kleines Mädchen im Kleid und Sonnenhut auf einer Straße mit Lattenzaun

Ein Beschluss des Verwal­tungs­ge­richtshofs Baden-Württemberg von Ende März diesen Jahres unter­stützt dies noch mal am Beispiel von Gefahren auf einem Schulweg. Das Gericht hat es für ausrei­chend angesehen, dass eine Straßen­querung unüber­sichtlich, schlecht einsehbar und das allge­meine Geschwin­dig­keits­niveau hoch ist, um eine quali­fi­zierte Gefah­renlage zu begründen. Damit ist die Voraus­setzung für die Anordnung von Tempo 30 gegeben.

In dem Fall hatte jemand gegen die Geschwin­dig­keits­be­grenzung auf einem Teilstück einer Kreis­straße geklagt. Die Klage war bereits vor dem Verwal­tungs­ge­richt Freiburg abgewiesen worden. Zu Recht, wie der Verwal­tungs­ge­richtshof befunden hat. Was die Gefah­ren­pro­gnose angeht, sei in der konkreten Situation eine an Sicherheit grenzende Wahrschein­lichkeit vermehrter Schadens­fälle dann nicht erfor­derlich, wenn es um hochrangige Rechts­güter wie Leib, Leben und bedeu­tende Sachwerte geht. Ein behörd­liches Einschreiten sei auch nach den Maßstäben des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO bereits bei einer gerin­geren Wahrschein­lichkeit des Schadens­ein­tritts zulässig und geboten.

Aller­dings gibt die Entscheidung den Behörden keineswegs einen pauschalen Freibrief, verkehrs­be­schrän­kende Maßnahmen überall dort anzuordnen, wo ein Schulweg die Straße quert. Vielmehr muss die konkrete Gefahr immer anhand der örtlichen Gegeben­heiten begründet werden, z.B. Ausbau und Funkti­ons­fä­higkeit der Fußver­kehrs­in­fra­struktur einschließlich vorhan­dener sicherer Querungs­mög­lich­keiten, Einseh­barkeit und Übersicht­lichkeit des Straßen­ver­laufs und typischer­weise gefah­rener Geschwin­dig­keiten. Eine genaue Prüfung durch Juristen ist daher weiterhin sinnvoll, um die Voraus­set­zungen einer Anord­nungen zu klären.

Trotzdem könnte die Entscheidung zu einem Umdenken im Bereich der Straßen­ver­kehrs­ver­waltung beitragen. Selbst an Straßen, an denen ein Zugang der Schule vorhanden ist und daher die Ausnahme des § 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 6 StVO greifen könnte, weigern sich Straßen­ver­kehrs­be­hörden aktuell in manchen Fällen standhaft, zugunsten der Schul­weg­si­cherheit Tempo 30 anzuordnen. Die Entscheidung des VGH Baden-Württemberg zeigt, dass ein Tempo­limit sogar dann angezeigt sein kann, wenn ein Straßen­ab­schnitt nicht direkt an der Schule liegt, aber häufig als Schul­wegstrecke frequen­tiert wird. (Olaf Dilling)

2024-05-17T13:31:01+02:0017. Mai 2024|Allgemein|

VG Berlin: Eilantrag gegen Schul­straße abgelehnt

Seit einiger Zeit entstehen in Frank­reich, Öster­reich und inzwi­schen auch in Deutschland sogenannte Schul­straßen. Das sind Straßen­ab­schnitte oder Straßen rund um Schulen, die (zumindest zu manchen Zeiten) ganz dem Fuß- und Fahrrad­verkehr gewidmet sind. In Öster­reich gibt es für Schul­straßen sogar ein offizi­elles Verkehrs­zeichen, nachdem der neue § 76d vor weniger als zwei Jahren in die Öster­rei­chische StVO aufge­nommen worden ist.

Verkehrsschild aus Österreich mit zwei Schulkindern und der Aufschrift "Schulstraße".

In Deutschland dagegen müssen die Verkehrs­be­hörden mit dem altbe­kannten-berüch­tigten einge­schränkten Möglich­keiten arbeiten, die das Straßen­recht und das Straßen­ver­kehrs­recht so zur Verfügung stellt.

Es muss jedoch in einer Straße nicht immer erst zu schweren Verkehrs­un­fällen gekommen sein, damit die Einrichtung einer Schul­straße möglich ist. Zum Beispiel gibt es in Berlin-Mitte seit letztem Jahr eine erste Schul­straße, die dort „Schulzone“ genannt wird. Das passt insofern, als der entspre­chende Abschnitt der Singer­straße für Kraft­fahr­zeuge dauerhaft und rund um die Uhr gesperrt wurde, so dass dort aktuell eine Art Fußgän­gerzone besteht. Perspek­ti­visch soll sie Teil einer Fahrrad­straße werden, was bei der Ausweisung der Fußgän­gerzone bereits berück­sichtigt wurde.

Vor ein paar Tagen hat das Verwal­tungs­ge­richt (VG) Berlin den Eilantrag eines an der Straße liegenden Betriebs abgelehnt (Beschluss vom 10.01.2024, Az VG 1 L 408/23). Der Antrag schei­terte bereits an der Zuläs­sigkeit. Denn der Betrieb hatte sich auf seinen Anlie­ger­ge­brauch und private Parkplätze berufen. Er hatte aber von einer anderen, nicht gesperrten Straße einen Zugang zu den auf seinem Betriebs­ge­lände vorhan­denen Stell­plätzen. Das Verwal­tungs­ge­richt begründete seine Ablehnung damit, dass ein weiterer, bloß der Bequem­lichkeit oder der Leich­tigkeit dienender Zugang nicht durch den sogenannten Anlie­ger­ge­brauch geschützt sei. Nur der notwendige Zugang zu einem Grund­stück sei davon umfasst.

Auch der Gemein­ge­brauch von Straßen, also die allge­meine Benutzung für den fließenden und ruhenden Verkehr, insbe­sondere die Nutzung öffent­licher Parkplätze, ist ebenfalls nicht vor Einschrän­kungen durch das Straßen­recht geschützt. Das geht bereits aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 2 Satz 2 Berliner Straßen­gesetz (BerlStrG) hervor.

Die Fußgän­gerzone wurde vom Bezirksamt Mitte im Wege einer Teilein­ziehung einge­richtet. Diese straßen­recht­liche teilweise Entwidmung hat gegenüber straßen­ver­kehrs­recht­lichen Anord­nungen den Vorteil, dass keine Gefah­renlage begründet werden muss. Vielmehr kann die Einrichtung der Fußgän­gerzone durch eine Teilein­ziehung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 BerlStrG mit überwie­genden Gründen des öffent­lichen Wohls begründet werden.

Die Entscheidung zeigt, dass eine Einrichtung von Schul­straßen rechtlich zulässig sein kann und sich notfalls auch vor Gericht vertei­digen lässt. (Olaf Dilling)

2024-01-16T18:42:29+01:0016. Januar 2024|Rechtsprechung, Verkehr, Verwaltungsrecht|

Gehweg­radeln geboten

Kaum eine Frage im Verkehr setzt so Emotionen frei, wie das Radfahren auf dem Gehweg. Dass es rücksichtslose Menschen gibt, die Rad fahren, ist unbestritten. Aller­dings sollte auch klar sein, dass das Gefahren- und Schadens­po­tential weitaus geringer ist, als bei etlichen anderen häufigen Verkehrsverstößen.

Nicht umsonst ist das Radeln auf dem Gehweg in bestimmten Ausnah­me­fällen sogar gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 StVO geboten. Dies ist dann der Fall, wenn kein durch baulich von der Fahrbahn getrennter Fahrradweg vorhanden ist. Falls es einen entspre­chenden Weg gibt, haben die Kinder als Ausnahme zu der Radweg­be­nut­zungs­pflicht § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO die Wahl.

Kleines Mädchen auf Landstraße mit dem Fahrrad

Dass dies für Kinder unter 8 Jahren gilt, ist vielen Leuten noch bekannt. Weniger bekannt ist, dass auch eine Begleit­person, also die Eltern oder andere geeignete Sorge­be­rech­tigte ab 16 Jahren mit auf dem Gehweg fahren dürfen.  Nach den Vorschriften der StVO muss auf zu Fuß gehende besondere Rücksicht genommen werden. Außerdem muss bei der Gehweg­be­nutzung vor dem Überqueren jeder Fahrbahn abgestiegen werden.

Aus der Pflicht der Gehweg­be­nutzung durch Kinder unter 8 Jahren ergeben sich unter Umständen auch Haftungs­ri­siken für die Eltern. Denn wenn diese ihre Grund­schul­kinder auf der Fahrbahn oder auf nicht baulich getrennten Radfahr­streifen fahren lassen, dann gilt dies als Aufsichts­pflicht­ver­letzung. Wenn ein Auto durch ein auf der Fahrbahn fahrendes Kind beschädigt wird, müssen die Eltern den Schaden dann gemäß § 832 Abs. 1 Satz 2 BGB ersetzen.

In einem Fall, in dem dies kürzlich so entschieden wurde, war das Kind von einem Radfahr­streifen auf die Fahrbahn ausge­wichen, weil ein weiterer Pkw dort rechts­widrig abgestellt worden war. Bezeich­nen­der­weise wurde ein eventu­elles Mitver­schulden des Dritten nicht thema­ti­siert, obwohl dieser für den Schaden auch eine Ursache gesetzt hat.

Insgesamt gibt es, was die Möglich­keiten angeht, mit Kindern Fahrrad zu fahren, in vielen Städten große Defizite. Dies liegt oft an engen oder zugeparkten Gehwegen und nicht vorhan­denen baulich getrennten Radwegen. Hier sollten Kommunen ihre recht­lichen Möglich­keiten nutzen, um Platz auf Gehwegen zu schaffen oder sichere und ausrei­chend breite Radwege auszu­weisen (Olaf Dilling).

2022-04-25T21:32:56+02:0025. April 2022|Verkehr|