Kein Tempo­limit wegen Schildermangel?

Wenn man manche Talkshow­gäste reden hört, dann könnte man denken, dass zum ersten Mal eine Energie­krise auf Deutschland zukommt. So viel Verun­si­cherung besteht über die Auswir­kungen von Liefer­eng­pässen und Preis­stei­ge­rungen. In den 1970er Jahren, manche werden sich noch erinnern, gab es aber schon mal so etwas Ähnliches. Auch damals war die Abhän­gigkeit von einem Energie­träger, dem Erdöl, groß, auch damals war es ein Krieg, der Anlass gab für drastische Preis­stei­ge­rungen und Verrin­gerung der Importe. 

Bis die alten Ölhei­zungen durch moderne Gashei­zungen ersetzt und die Häuser energie­ef­fi­zi­enter renoviert waren, war einige Zeit zu überbrücken. Anders als vorher von einigen Ökonomen und Teilen der Presse voraus­gesagt worden war, kam es dabei nicht zum kompletten wirtschaft­lichen Zusam­men­bruch. Aber es war durchaus eine ernst­hafte Heraus­for­derung für Wirtschaft und Politik. Unter anderem hat die damalige Regierung unter Willy Brandt mit dem Energie­si­che­rungs­gesetz gegen­zu­steuern versucht. 

Schweizer Bürger beim Autofreien Sonntagsspaziergang in den 1970ern

Von Comet Foto AG (Zürich), CC-BY 4.0 (https://commons.wikimedia.org)

Wir hatten bereits kürzlich schon einmal darüber berichtet. Dieses Gesetz sah unter anderem vier autofreie Sonntage vor und auch – befristet auf ein halbes Jahr – ein Tempo­limit: 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen. Auch aktuell wird wieder über entspre­chende Maßnahmen, Tempo­limits oder autofreie Sonntage, disku­tiert. In einem Interview mit der Hamburger Morgenpost hat der Bundes­ver­kehrs­mi­nister Wissing ein eher origi­nelles Argument gegen ein Tempo­limit gebracht:  So viele Schilder hätten sie gar nicht auf Lager.

Vielleicht sollte sich Wissing mal bei erfah­renen Kräften in der Rechts­ab­teilung seines Minis­te­riums erkun­digen, wie in Deutschland die zulässige Höchst­ge­schwin­digkeit geregelt ist: Die werden ihn dann vermutlich schnell auf § 3 Abs. 3 StVO verweisen. Je nach Dienst­alter oder rechts­ge­schicht­lichem Interesse finden sie vielleicht sogar noch das Energie­si­che­rungs­gesetz, das in der Fassung von 1975 immer noch in Kraft ist (Olaf Dilling).

2022-04-05T19:39:11+02:005. April 2022|Energiepolitik, Umwelt, Verkehr|

Energie­recht im Krisenfall – Das Energie­si­che­rungs­gesetz 1975

Ein echtes Fossil des Energie­rechts ist das „Gesetz zur Sicherung der Energie­ver­sorgung“ vom 20. Dezember 1974 (Energie­si­che­rungs­gesetz 1975). Man könnte es als einen etwas kuriosen recht­lichen Quasten­flosser betrachten, ein Gesetz das zwar noch in Kraft ist, aber irgendwie aus der Zeit gefallen wirkt – wenn wir uns nicht vor dem Hinter­grund des Ukrai­ne­krieges plötzlich in einer Diskussion über Import­stopps von Gas und Öl und Energie­knappheit wieder­finden würden.

Das Energie­si­che­rungs­gesetz war ursprünglich eine Reaktion des Gesetz­gebers auf die Ölkrise in den 70er Jahren. Zweck des Gesetzes ist

die Deckung des lebens­wich­tigen Bedarfs an Energie für den Fall zu sichern, daß die Energie­ver­sorgung unmit­telbar gefährdet oder gestört und die Gefährdung oder Störung der Energie­ver­sorgung durch markt­ge­rechte Maßnahmen nicht, nicht recht­zeitig oder nur mit unver­hält­nis­mä­ßigen Mitteln zu beheben ist“ (§ 1 EnSiG 1975).

Für diesen Krisenfall räumt das Gesetz dem Staat weitge­hende Regelungs- und Eingriffs­be­fug­nisse ein. Insbe­sondere kann vorge­sehen werden, dass

die Abgabe, der Bezug oder die Verwendung der Güter zeitlich, örtlich oder mengen­mäßig beschränkt oder nur für bestimmte vordring­liche Versor­gungs­zwecke vorge­nommen werden darf

– der Staat kann also im Krisenfall eine Ratio­nierung der Energie­ver­sorgung vornehmen.

Im Zuge dieser Ratio­nie­rungen könnte er dann auch den motori­sierten Indivi­du­al­verkehr beschränken, denn das Energie­si­che­rungs­gesetz erlaubt „die Benutzung von Motor­fahr­zeugen aller Art kann nach Ort, Zeit, Strecke, Geschwin­digkeit und Benut­zer­kreis sowie Erfor­der­lichkeit der Benutzung“ einzu­schränken (§ 1 Abs. 3 EnSiG 1975).

Auf dieser Basis erfolgten 1973 Fahrverbote („autofreie Sonntage“) und besondere Geschwin­dig­keits­be­gren­zungen. Das wäre auch heute möglich.

Entspre­chende Rechts­ver­ord­nungen im Krisenfall erläßt die Bundes­re­gierung. Sie kann diese Befugnis durch Rechts­ver­ordnung ohne Zustimmung des Bundes­rates auf das Bundes­mi­nis­terium für Wirtschaft und Energie sowie in Bezug auf die leitungs­ge­bundene Versorgung mit Elektri­zität und Erdgas auf die Bundes­netz­agentur übertragen, wenn die Energie­ver­sorgung im Sinne des § 1 Abs. 1 Energie­si­cher­heits­gesetz gefährdet oder gestört ist.

Wider­spruch und Anfech­tungs­klage gegen Verfü­gungen, gegen entspre­chende Maßnahmen haben nach § 5 EnSiG haben keine aufschie­bende Wirkung. Für enteig­nende Eingriffe besteht ein Entschä­di­gungs­an­spruch nach § 11 EnSiG.

Christian Dümke

2022-03-10T21:12:55+01:0010. März 2022|Energiepolitik|