Keine Energiecharta-Klagen zwischen Mitgliedstaaten: Zu OLG Köln, Az. 19 SchH 14/21 und 19 SchH 15/21.
Investitionsschutzabkommen haben keinen guten Ruf: Unternehmen aus einem Vertragsstaat des Abkommens, die in einem anderen Staat aktiv werden, können gestützt auf so ein Abkommen Schadensersatz geltend machen, wenn sich vor Ort die Gesetze so ändern, dass die Investition entwertet würde. Investitionsschutzabkommen sind also konservativ: Sie schützen bestehende Geschäftsmodelle und erhöhen die Hürden, sich von überkommenen Strukturen zu lösen, weil ein Kurswechsel möglicherweise Schadensersatzansprüche nach sich zieht (hierzu auch hier).
Der Ausstieg aus der Atomenergie hat der Bundesrepublik eine Klage der Vattenfall wegen angeblicher Verletzung der Energiecharta, des wohl derzeit bekanntesten Investitionsschutzabkommens, eingetragen. Doch Deutschland ist nicht nur Ziel solcher Klagen. Auch deutsche Unternehmen berufen sich gegenüber anderen Staaten auf die Energiecharta: Die Niederlande wollen – das ergibt sich aus einem 2019 verabschiedeten Gesetz – bis 2030 ihre Kohlekraftwerke abschalten. Doch erst 2016 hatte Uniper in den Niederlanden das Kohlekraftwerk Maasvlakte in Betrieb genommen. Das Kraftwerk hatte rund 1,6 Mrd. EUR gekostet und muss nun lange vor dem Ende seiner technischen Lebensdauer stillgelegt werden.
Auch RWE betreibt ein Kraftwerk in den Niederlanden: Das 2015 in Betrieb gegangene Kraftwerk Eemshaven, den größten Emittenten der Niederlande. Auch diese Anlage muss nach dem Gesetz aus 2019 lange vor seinem natürlichen Ende vom Netz genommen werden. Abschreibungszeiträume betragen bei solchen Anlagen normalerweise 30 Jahre. Das bedeutet: Beide Unternehmen kostet der niederländische Kohleausstieg viel Geld. Dieses Geld verlangten sie vom niederländischen Staat und zogen 2021 vor ein internationales Schiedsgericht, um die Niederlande zur Zahlung verurteilen zu lassen.
Ob diese Forderung wirklich zu recht geltend gemacht wird, ist alles andere als unumstritten. Maßnahmen im öffentlichen Interesse, die keine diskriminierende Wirkung haben und verhältnismäßig sind, ziehen nämlich keine Entschädigungsverpflichtungen nach sich. Und: Hätte man nicht schon 2015/2016 absehen können, dass die Niederlande nicht über weitere 30 Jahre Kohle verstromen würden? Doch auf diese Fragen stellte das OLG Köln in seiner Entscheidung vom 1. September 2022 gar nicht ab: Schiedsrichterliche Verfahren zwischen Unternehmen aus einem EU-Mitgliedstaat und einem anderen EU-Mitgliedstaat seien generell unzulässig.
Doch wie kommt eigentlich das OLG Köln dazu, auf Betreiben der Niederlande eine solche Entscheidung über die Zulässigkeit eines Schiedsverfahrens vor einem Investitionsschiedsgericht in Washington zu fällen? Diese Zuständigkeit des OLG Köln beruht auf § 1032 Abs. 2 ZPO, wo es heißt:
„Bei Gericht kann bis zur Bildung des Schiedsgerichts Antrag auf Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens gestellt werden.“
Exakt dies hatten die Niederlande getan: Sie hatten die Feststellung der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts beantragt, und das OLG Köln ist diesem Antrag gefolgt.
Das OLG Köln steht mit seiner Ansicht, innergemeinschaftliche Schiedsverfahren seien unzulässig, nicht allein. Der EuGH hat bereits in seiner Entscheidung Achmea (C‑284/16) festgehalten, dass innergemeinschaftliche Schiedsverfahren basierend auf bilateralen Investitionsschutzvereinbarungen unzulässig sind. U. a. in der Entscheidung Komstroy (C‑741/19) hat er im September 2021 dies auch für multilaterale Investitionsschutzklauseln ausgeurteilt.
Ist die Sache damit nun klar? Nicht ganz, denn streng genommen gibt es keine Hierarchie zwischen Völkerrecht und Gemeinschaftsrecht. Es ist also durchaus denkbar, dass RWE und Uniper ihre Verfahren vorm Schiedsgericht fortführen und möglicherweise sogar obsiegen. Doch sollten die Niederlande eine zugesprochene Entschädigung nicht zahlen, könnten Uniper und RWE wohl nicht vollstrecken lassen, weil die Gerichte Gemeinschaftsrecht beachten müssen.
Immerhin: Es ist schwer vollstellbar, dass eine demnächst staatliche Uniper einen anderen Mitgliedstaat wegen des Kohleausstiegs anzählt. Doch über diesen Fall hinaus ist ausgesprochen fraglich, ob das Investitionsschutzsystem nicht einer grundlegenden Reform bedarf (Miriam Vollmer)