Wie böse ist die Scheibenpacht?

Eine „Milli­arden-Abzocke“ sei die Schei­ben­pacht, steht im Spiegel, der die Modelle mit den Cum-Ex-Fällen vergleicht, in denen Unter­nehmen sich Steuern haben erstatten lassen, die sie nicht bezahlt haben. Doch während es bei Cum-Ex auf der Hand liegt, dass eine Erstattung nicht höher sein kann, als die eigent­liche Zahlung, auf die sie sich bezieht, ist die Situation bei der Schei­ben­pacht deutlich komplexer und führt tief in die Vergan­genheit des EEG und des Energie­rechts generell. Ein paar Worte deswegen zur Einordnung:

Anders als Verbraucher beziehen Unter­nehmen ihre Energie oft nicht von Dritten, sondern erzeugen sie selbst. Das hat keinen irgendwie „anrüchigen“ Hinter­grund, sondern hängt mit dem Wärme­bedarf von Unter­nehmen zusammen, die Wärme für mecha­nische oder chemische Prozesse oder zum Trocknen benötigen. Strom aus diesem Prozess auszu­koppeln ist dann nur konse­quent. Zudem spart ein Unter­nehmen im besten Fall natürlich auch Geld, wenn sein Strom nicht über ein Netz trans­por­tiert werden muss, so dass keine Netzent­gelte anfallen, und auch kein anderes Unter­nehmen mitver­dient. Indus­trie­kraft­werke sind also eine ganz normale, energe­tisch, ökolo­gisch und wirtschaftlich sinnvolle und deswegen verbreitete Angelegenheit.

Doch wie kommt nun die EEG-Umlage hier ins Spiel? Bis 2014 musste man für seine eigene Erzeugung keine EEG-Umlage zahlen. Das erschien damals jedem logisch, schließlich zahlte das Unter­nehmen auch keine Netzent­gelte für die Nutzung der eigenen Leitungen, es bezog einfach Erdgas oder einen anderen Brenn­stoff, und was hinter dem Werkszaun stattfand, ging die große, weite Welt des Energie­rechts nichts an. Erst seit Inkraft­treten des EEG 2014 fällt auch für eigen­erzeugten Strom EEG-Umlage an, weil der Gesetz­geber es ungerecht fand, dass manche EEG-Umlage zahlen und andere nicht.

Dies allein hätte vermutlich keinen Hund hinterm Ofen vorge­lockt. Zum Skandal wird die Befreiung von der EEG-Umlage offenbar dann, wenn nicht ein Unter­nehmen ein Kraftwerk betreibt, um sich mit Strom zu versorgen. Sondern sich mehrere Unter­nehmen ein Kraftwerk teilen, indem sie Anteile an dieser Anlage pachteten. Manchmal sind diese Unter­nehmen – gerade in gewach­senen Indus­trie­an­sied­lungen – aus einem Konzern hervor­ge­gangen, manchmal wurde nur die Energie­ver­sorgung gesell­schafts­rechtlich verselb­ständigt, bisweilen hatte der Betreiber im recht­lichen Sinne mit dem Kraftwerk tatsächlich gar nicht so viel zu tun, weil ein anderes Unter­nehmen die technische Betriebs­führung innehatte. Was an den verär­gerten Reaktionen jeden­falls zutrifft: Die Unter­nehmen zahlten als „Schei­ben­pächter“ keine EEG-Umlage, so wie andere Eigen­erzeuger auch.

Um Ruhe in die Rechts­strei­tig­keiten rund um die Schei­ben­pacht zu bekommen, erließ der Gesetz­geber mit dem § 104 Abs. 4 EEG 2017 eine Art „Deckel-drauf“-Regelung: Die Schei­ben­pacht sollte keine Eigen­erzeugung gewesen sein, aber die Unter­nehmen sollten die volle EEG nicht nachträglich an die (mit dem Einsammeln der EEG-Umlage gesetzlich betrauten) Übertra­gungs­netz­be­treiber (ÜNB) zahlen müssen, wenn das belie­ferte Unter­nehmen Anspruch auf eine EEG-Umlage­be­freiung bzw. ‑privi­le­gierung gehabt hätte, wenn es vor 2014 allei­niger Betreiber des nie relevant geänderten Kraft­werks gewesen wäre und recht­zeitig eine nachträg­liche Meldung der Mengen erfolgt ist.

Architektur, Stahlwerk, Fabrikgebäude, Alt, Fabrik

Doch dann entwi­ckelten sich die Dinge nicht so, wie der Gesetz­geber es sich vorge­stellt hatte: Die ÜNB entwi­ckelten einigen Verfol­gungs­eifer, statt Rechts­frieden brachen diverse juris­ti­schen Handge­menge aus (die zB in diese Entscheidung des LG Duisburg mündeten), und so legte der Gesetz­geber noch einmal nach: Der heutige § 104 Abs. 5 EEG 2021 enthält einen Anspruch auf einen Vergleich bei Strei­tig­keiten, ob die EEG-Umlage zu zahlen ist, wenn es noch keine rechts­kräf­tigen Urteile gibt. Die Unter­nehmen müssen dann nicht für die Vergan­genheit bis 31. Dezember 2020 nachzahlen, aber ab dem 1. Januar 2021 müssen sie ihre Zahlungs­pflicht anerkennen.

Ist dies nun unmora­lisch? Vielfach wurde tatsächlich weniger EEG-Umlage gezahlt, als wenn ein einwandfrei drittes Unter­nehmen geliefert hätte. Auf der anderen Seite: Hätten die Unter­nehmen exklusiv ein Kraftwerk betrieben, stünden sie noch besser da als wenn sie sich eins geteilt haben.

Uns persönlich scheint der Vergleich mit Cum-Ex jeden­falls ausge­sprochen streng (Miriam Vollmer).

2021-11-03T09:17:57+01:002. November 2021|Allgemein, Erneuerbare Energien, Industrie, Strom|

BesAR und Insolvenz: Zu VG FFM v. 11.05.2021 (5 K 2097/18.F)

Im Januar 2015 meldete ein Unter­nehmen, das Sicher­heitsglas herstellt, Insolvenz an. Die Fabrik wurde im April 2015 mit allem Zubehör bis auf das Grund­stück verkauft. Die früheren Mitar­beiter übernommen. Im Juni beantragt der neue Investor frist­gemäß die Begrenzung der EEG-Umlage (hier kurz erläutert) und stützte diesen Antrag auf die Daten des insol­venten früheren Stand­ort­be­treibers aus den Geschäfts­jahren 2013 und 2014.

Nun kann sich ein Unter­nehmen nicht in jedem Fall auf Daten eines Vorgän­ger­un­ter­nehmens am Standort berufen. Die Begrenzung der EEG-Umlage (genauer zur besAR hier) ist keine anlagen­be­zogene Privi­le­gierung. Sondern nur dann, wenn die Voraus­set­zungen einer Umwandlung im Sinne des EEG vorliegt. Dieser Begriff ist zwar weiter als der gesell­schaft­liche Umwand­lungs­be­griff. Aber in diesem Fall meldete das zuständige BAFA umgehend Bedenken an. Denn die Voraus­set­zungen beschreibt der damals geltende § 67 Abs. 1 EEG 2014 wie folgt:

Wurde das antrag­stel­lende Unter­nehmen in seinen letzten drei abgeschlos­senen Geschäfts­jahren vor der Antrag­stellung oder in dem danach liegenden Zeitraum bis zum Ende der materi­ellen Ausschluss­frist umgewandelt, so kann das antrag­stel­lende Unter­nehmen für den Nachweis der Anspruchs­vor­aus­set­zungen auf die Daten des Unter­nehmens vor seiner Umwandlung nur zurück­greifen, wenn die wirtschaft­liche und organi­sa­to­rische Einheit dieses Unter­nehmens nach der Umwandlung nahezu vollständig in dem antrag­stel­lenden Unter­nehmen erhalten geblieben ist“

Hatte sich der Investor wirklich „umgewandelt“, als er den Standort gekauft hatte? Oder – so sah es das BAFA in seinem Ableh­nungs­be­scheid vom 30. März 2016 – doch eher eine Neugründung ohne eine solche Konti­nuität? Diese Diffe­ren­zierung ist alles andere als rein akade­misch. Denn ohne Umwandlung kann nicht auf die Stand­ort­daten zurück­ge­griffen werden, sondern es muss wie bei Neugrün­dungen auf ein Rumpf­ge­schäftsjahr abgestellt werden.

Einfach umschwenken konnte das Unter­nehmen aber nicht mehr, denn dafür war die Ausschluss­frist bereits abgelaufen. Das Unter­nehmen zog also nach erfolg­losem Wider­spruchs­ver­fahren 2018 zu Gericht. Das VG FFM aber wies die Klage mit Datum vom 11. Mai 2021 ab.

Firma, Fabrik, Produktion, Maschine Produktionslinie

Wie bereits das BAFA stellte sich das Gericht auf den Stand­punkt, dass keine Umwandlung vorliegt, sondern eine Neugründung. Hierbei stützt sich der Richter auf die Legal­def­nition in § 5 Nr. 32 EEG 2014, wo die Umwandlung bestimmt wird als

jede Umwandlung von Unter­nehmen nach dem Umwand­lungs­gesetz oder jede Übertragung sämtlicher Wirtschafts­güter eines Unter­nehmens oder Unter­neh­mens­teils im Wege der Singularsukzession,“

Dies sah das VG FFM hier nicht für gegeben an. Der Investor hatte nämlich nicht „sämtliche“ Wirtschafts­güter übernommen, sondern das Grund­stück nur langfristig gepachtet. Das reichte dem Gericht nicht: Die Klage wurde abgewiesen. Das Unter­nehmen muss für das Jahr 2016 die volle, unbegrenzte EEG-Umlage zahlen.

Für die Zukunft ist die Entscheidung – zum Glück – nur noch einge­schränkt aussa­ge­kräftig. Denn schon 2016 wurde die Definition der Umwandlung geändert. Statt der Übertragung „sämtlicher“ Wirtschafts­güter reicht seitdem eine „nahezu vollständige“ Übertragung (§ 3 Nr. 45 EEG 2021). Doch gerade die relative Unschärfe dieses Begriffs sollte Unter­nehmen zu erhöhter Sensi­bi­lität motivieren (Miriam Vollmer).

2021-08-10T00:34:20+02:0010. August 2021|Erneuerbare Energien, Industrie, Verwaltungsrecht|

COVID19 und die besAR

Inzwi­schen hat sich unter Unter­nehmen, die Anspruch auf die Begrenzung der EEG-Umlage nach den §§ 63, 64 EEG 2017 haben, herum­ge­sprochen, dass der Gesetz­geber sie in Zeiten der COVID19-Pandemie nicht vergessen hat. Gemäß § 103 Abs. 8 EEG 2017 können sie im laufenden Jahr die Wirtschafts­prü­fer­be­schei­nigung und das Zerti­fikat gemäß § 64 Abs. 3 Nr. 1c und Nr 2 EEG 2017 nachreichen. Die Dokumente müssen dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhr­kon­trolle (BAFA) erst am 30.11.2020 vorliegen. Dies gilt aber nicht für den Antrag selbst! Dieser muss wie immer bis zum 30.06.2020 bei der Behörde sein, ansonsten ist es nicht mehr möglich, für das Jahr 2021 die Erleich­terung in Anspruch zu nehmen.

Doch Corona wirkt sich nicht nur auf das Jahr 2020 aus. § 64 EEG 2017 knüpft den Anspruch auf die Begrenzung der EEG-Umlage an die im letzten abgeschlos­senen Kalen­derjahr bezogene Strom­menge. Mindestens 1 GWh muss das Unter­nehmen bezogen haben. Hier kann sich also ein radikaler Rückgang der Produktion wegen der weltweit einge­bro­chenen Nachfrage auswirken, wenn auf einmal der Schwel­lenwert unter­schritten wird. Aber auch auf die Strom­kos­ten­in­ten­sität kann der unerwartete Rückgang sich auswirken. Da hilft es dann auch nicht mehr viel, dass die EEG-Umlage im nächsten Jahr auf 6,5 Cent/kWh begrenzt werden soll.

Die Hoffnungen vieler Unter­nehmen liegen damit auf dem Gesetz­geber. Parallel denken manche darüber nach, ob eine letztlich durch hoheit­liche Maßnahmen ausge­löste Verfehlung der Anspruchs­vor­aus­set­zungen wirklich keinen Nieder­schlag bei der Anspruchs­be­messung findet. Unter­nehmen, die selbst behördlich geschlossen wurden, könnten über die Entschä­di­gungs­an­sprüche des Infek­ti­ons­schutz­ge­setzes nachdenken. Andere lassen prüfen, ob das Recht der öffentlich-recht­lichen Ersatz­leis­tungen nicht ander­weitig Möglich­keiten bietet, um pande­mie­be­dingt nicht den Begren­zungs­an­spruch zu verlieren (Miriam Vollmer).

2020-06-17T17:02:11+02:0017. Juni 2020|Industrie, Strom|