Nochmal zum Dieselfahrverbot

Erinnern Sie sich eigentlich an Sisyphos? Diesen mytho­lo­gi­schen König, dem die Götter aufer­legten, in alle Ewigkeit einen schweren Stein immerzu einen Berg herauf­zu­rollen, und kurz vor dem Gipfel rollt der Fels wieder zu Boden. So ähnlich muss sich die Bundes­re­gierung bei dem Versuch fühlen, Diesel­fahr­verbote in Städten auf Biegen und Brechen zu verhindern. Der letzte Versuch, dies durch eine Änderung des Bundes­im­mis­si­ons­schutz­gesetz (BImSchG) zu bewerk­stel­ligen, nach der Fahrverbote bei einer Grenz­wert­über­schreitung von maximal 10 µg/m3 Luft bei Stick­stoff­dioxid als unver­hält­nis­mäßig (und damit unzulässig) gelten sollte, darf als gescheitert gelten: Nachdem schon mehrere Verwal­tungs­ge­richte (u. a. Berlin, Gelsen­kirchen und Köln) obiter dictum erklärten, die Geset­zes­än­derung ändere nichts an ihrer Rechts­auf­fassung, hat sich mit dem VGH Mannheim auch ein Oberge­richt zu dieser (auch von uns geteilten) Rechts­auf­fassung bekannt.

Was war passiert? Das schwä­bische Reutlingen versucht seit mehreren Jahren, die Einhaltung des Grenz­werts für Stick­oxide von 40 µg zu gewähr­leisten. Dies ist zuletzt zwar wieder nicht gelungen. Aber der neue, vierte Luftrein­hal­teplan soll den Durch­bruch bringen, aller­dings erst 2020, wie Reutlingen zugab. Fahrverbote hielt die Stadt als Beigeladene und das Land als Beklagter aber deswegen nicht für nötig.

Der Blick auf 2020 genügte dem VGH Mannheim aber nicht. Der Zeitraum der Nicht­ein­haltung der Grenz­werte sei so kurz wie möglich zu halten. Ansonsten schrieb der VGH den Reutlingern ins Stammbuch, dass ihre letzte Prognose ja nun auch nicht einge­troffen sei. Außerdem sei die vorge­legte Prognose höchst speku­lativ. Dann kommt das Gericht zur Frage, ob das Fahrverbot – wie das BVerwG  es verlangt – das letzte Mittel darstellt und wendet sich dann ab Rz. 71 der Geset­zes­än­derung zu, nach der bei bis zu 10 µg Überschreitung Fahrverbote im Regelfall unange­messen wären.

Zunächst merkt der Senat an, dass schon der Tatbe­stand der neuen Norm nicht erfüllt ist. Denn in Reutlingen wurde der Grenzwert um mehr als 10 µg überschritten. Entspre­chend klar ist das Urteil des Senats ab Rz. 81: Eine faktische Grenz­wert­erhöhung sei gemein­schafts­rechts­widrig und komme deswegen nicht in Betracht. In der Richt­linie 2008/50/EG über Luftqua­lität und saubere Luft für Europa ist nämlich nicht von 50 µg, sondern von 40 µg die Rede, und zwar laut Art. 13 Abs. 1 ab dem 1. Januar 2010.

Dass die Europäische Kommission die neue Regelung notifi­ziert hat, beein­druckt den VGH auch nicht. Als mitglieds­staat­liches Gericht sei er nämlich aufge­rufen, gemein­schafts­rechts­widrige Normen nicht anzuwenden. In Umsetzung dieses Grund­satzes hat er das Land – und damit auch die Beigeladene – verpflichtet, ein weiteres Mal nachzu­bessern, ohne dass dabei Diesefahr­verbote generell ausge­schlossen sein könnten.

 

2019-06-06T18:09:48+02:006. Juni 2019|Umwelt, Verkehr, Verwaltungsrecht|

Fahrverbot erst ab 50 Mikrogramm?

Die Bundes­re­gierung will, dass Fahrverbote in der Regel nur in Gebieten in Betracht kommen, in denen die Belastung durch Stick­stoff­dioxid 50 µg/Kubikmeter Luft im Jahres­mittel überschreitet. Soweit, so gut. Das Problem an der Sache: In der Richt­linie 2008/50/EG über Luftqua­lität und saubere Luft für Europa ist nicht von 50 µg, sondern von 40 µg die Rede. Und in Art. 13 Abs. 1 Unter­absatz zwei dieser Richt­linie heißt es, dass die in Anhang XI festge­legten Grenz­werte für Stick­stoff­dioxid und Benzol von dem dort festge­legten Zeitpunkt an nicht mehr überschritten werden dürfen. Der dort festge­legte Zeitpunkt war der 1. Januar 2010.

Die Bundes­re­gierung hält die zusätz­lichen zehn µg trotzdem für zulässig. Sie geht offenbar davon aus, dass ein so einschnei­dender Schritt wie ein Fahrverbot aufgrund seines Charakters als aller­letzte Möglichkeit zur Einhaltung der Grenz­werte nicht schon bei jeder Überschreitung, sondern nur bei schweren Überschrei­tungen in Frage kommt. Dass das Fahrverbot nicht ein belie­biges Mittel, sondern die aller­letzte Waffe zur Durch­setzung der Luftqua­lität ist, hat das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt im Februar klargestellt.

Doch kann eine faktische Anhebung des Grenz­werts richtig sein? Die Frage nach dem richtigen Instrument zur Durch­setzung der Luftqua­lität hat nichts mit dem Ziel an sich zu tun. Mit anderen Worten: Dass nicht gleich alle denkbaren Maßnahmen ergriffen werden dürfen, ändert den Zielwert rein gar nicht. Und die Richt­linie enthält auch keine Regelung, auf die die Bundes­re­publik eine Grenz­wert­ab­wei­chung stützen könnte. Dass Grenz­wert­über­schrei­tungen an sich bereits Verlet­zungen von Art. 13 der Richt­linie darstellen, hat der EuGH im Übrigen bereits Bulgarien ins Stammbuch geschrieben. Wenn dem so ist, dann muss die Bundes­re­publik alles tun, damit die 40 µg gehalten werden, notfalls eben per Fahrverbot.

Es spricht also Einiges dafür, dass das Vorgehen der Bundes­re­gierung vielleicht den Zeitgewinn dient, aber dem scharfen Blick der Gemein­schafts­ge­richte mit einiger Wahrschein­lichkeit nicht gewachsen sein wird.

2018-10-31T00:15:29+01:0031. Oktober 2018|Verkehr|

Von Leipzig nach Hamburg und vielleicht noch weiter

Nun liegen sie also endlich auf dem Tisch, die Begrün­dungen der durch die Deutsche Umwelt­hilfe (DUH) erstrit­tenen Urteile des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts (BVerwG) zu Fahrver­boten für ältere Diesel­fahr­zeuge in den stark belas­teten Großstädten Düsseldorf und Stuttgart. Wie von vielen Autofahrern befürchtet (hier mehr zu recht­lichen Hinter­gründen), sieht das höchste deutsche Verwal­tungs­ge­richt Fahrverbote als zulässig an, wenn die Grenz­werte für Stick­oxide und Feinstaub in den betrof­fenen urbanen Ballungs­räumen ohne eine solche drastische Maßnahme einfach nicht einzu­halten sind. Anders als die beklagten Bundes­länder halten die Richter eine blaue Plakette oder eigens für Diesel­fahr­verbote vorge­sehene Straßen­schilder nicht für notwendig. Aus Verhält­nis­mä­ßig­keits­gründen halten die Leipziger Richter aller­dings großflä­chige Fahrverbote in ganzen Zonen für nicht ohne Weiteres zulässig: Aktuell kommen Fahrverbote für ganze Innen­stadt­be­reiche „nur“ für Fahrzeuge der Abgas­klasse bis 4 (Diesel) in Betracht. Für die Diesel-Abgas­klasse 5 wäre dies erst ab dem 1. September 2019 zulässig.

Diese Einschränkung bedeutet aber nicht, dass neuere Diesel­fahr­zeuge sich bis zum Herbst 2019 sicher fühlen können. Vielmehr unter­streicht das BVerwG, dass schon heute Haupt­straßen für diese Wagen gesperrt werden können. Mit solchen Sperrungen müssten Autofahrer einfach rechnen.

Wer einen Diesel fährt, muss also sehr schnell mit erheb­lichen Behin­de­rungen rechnen. Hamburg plant auf einem Teilstück der vielbe­fah­renen Max-Brauer-Allee Fahrverbote für ältere Diesel­fahr­zeuge, die nicht der Abgas­klasse 6 entsprechen. Hamburg geht von rund 168.000 betrof­fenen PKW aus, dazu kommen noch die Pendler aus Schleswig-Holstein und Nieder­sachsen. Auf der Strese­mann­straße sollen zumindest für LKW entspre­chende Einschrän­kungen gelten.

Es ist anzunehmen, dass andere Städte nun schnell nachziehen, ob nun (halb) freiwillig oder gezwungen durch die vielen noch laufenden Prozesse. Für die betrof­fenen Autofahrer bleibt zu hoffen, dass einzelne Strecken­sper­rungen reichen, denn ansonsten müssten spätestens im nächsten Jahr die ersten Städte ältere Diesel großflächig aussperren. Spätestens dann wären viele Diesel wohl vollends wertlos. Aber vielleicht dauert es ja auch gar nicht mehr so lange, bis die Europäische Kommission vorm Europäi­schen Gerichtshof (EuGH) die Diesel-PKW noch weitge­hender aus den Städten drängt.

2018-05-21T22:32:35+02:0022. Mai 2018|Verkehr|