Fitness- vs. Tattoo-Studio

Die Gerichts­barkeit muss sich inzwi­schen mit vielen Detail­fragen des Infek­ti­ons­schutzes befassen. So hatte beispiels­weise das Oberver­wal­tungs­ge­richt (OVG) Lüneburg in den letzten Tagen sowohl über einen Eilantrag über die Schließung von Fitness- als auch über Tattoo-Studios zu entscheiden. Auf den ersten Blick vielleicht überra­schend hat das OVG mit Beschluss vom 14. Mai 2020 bezüglich der Schließung der Tattoo-Studios den Vollzug vorläufig ausge­setzt, die Fitness-Studios mussten nach einem Beschluss vom selben Tag dagegen geschlossen bleiben.

Die Begründung zeigt, dass sich die Richter dabei zumindest etwas gedacht hatten, auch wenn ihre Beschrei­bungen der „Studios“ manchmal etwas weltfremd klingen. Bezüglich der Fitness-Studios wird auf die besonders infek­ti­ons­träch­tigen Aerosole abgestellt: Unter Berück­sich­tigung des bishe­rigen Infek­ti­ons­ge­schehens und der Wirkung bereits getrof­fener Maßnahmen sei die Schließung von Fitness-Studios weiterhin wichtig. Denn in Fitness-Studios käme es aus Sicht der Richter zu „Ansamm­lungen körperlich trainie­render Personen“. Aus dem „deutlich gesteigerte(n) Atemver­halten“ und dem „stoßar­tigen Ausatmen unter körper­licher Belastung“ (mit anderen Worten: dem Keuchen und Stöhnen) der Trainie­renden resul­tiere ein hohes Infek­ti­ons­risiko, gerade wegen des üblicher­weise schlechten Luftaus­tau­sches und des eng begrenzten Raums, auf dem trainiert würde.

Die Schließung der Tattoo-Studios könne dagegen nicht mehr als notwendige Schutz­maß­nahme im Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG angesehen werden. Denn das Infek­ti­ons­ge­schehen habe sich auch aufgrund der Maßnahmen der letzten Zeit verlangsamt. Dadurch habe sich die Zahl der Neuin­fek­tionen und der Infizierten deutlich verringert. Die Gefahr einer Überlastung des Gesund­heits­systems sei zwar noch vorhanden, jedoch nicht mehr in dem Maße wie vor einigen Wochen. Inzwi­schen seien daher auch andere Dienst­leis­tungs­be­triebe wie Friseure, Nagel- und Kosme­tik­studios wieder geöffnet, bei denen der Abstand ebenfalls nicht einge­halten werden könne. Dass die Präzi­si­ons­arbeit beim Tätowieren eine besondere Nähe erfordere, die über die im Nagel- oder Kosme­tik­studio hinausgehe, konnten die Richter nicht nachvoll­ziehen. Ebenso gäbe es bei Einhaltung von Hygie­ne­maß­nahmen keine Anhalts­punkte für eine erhöhte Übertragung durch Blut oder Wunden, die beim Tätowieren entstehen. Unter Anwendung effek­tiver Hygie­ne­maß­nahmen sei insofern auch in Tattoo-Studios das Risiko einer Infektion ausrei­chend vermindert.

Um übrigens keine Missver­ständ­nisse aufkommen zu lassen: Aus der entspann­teren Haltung gegenüber den Maßnahmen folgt offenbar nicht, dass sie den Richtern egal seien: Sich selbst nehmen die Verwal­tungs­ge­richte entspre­chend nicht aus: So ermahnt das OVG Lüneburg alle Bürger das Gericht nur in dringenden Fällen zu betreten und alle Besucher müssen ihre Kontakt­daten hinter­legen. Außerdem ist im gesamten Gericht, auch im Sitzungssaal, Masken­pflicht angeordnet.

Fazit: Während es bei Eilan­trägen gegen die Corona-Maßnahmen anfänglich vor den Verwal­tungs­ge­richten kaum Erfolgs­aus­sichten gab, kommt es inzwi­schen darauf an. Mit anderen Worten, wenn es gute Argumente gibt, die Notwen­digkeit einer Maßnahme anzuzweifeln, kann sich der Weg zu den Gerichten lohnen (Olaf Dilling).

2020-06-11T14:41:10+02:0025. Mai 2020|Verwaltungsrecht|

Corona: Das BVerfG nimmt erste Beschwerde nicht zur Entscheidung an (1 BvR 712/20)

Gerade in Ballungs­räumen, in denen viele Menschen eng zusam­men­leben, besteht eine erhöhte Gefahr einer Ausbreitung des Corona­virus. Deswegen wohl ist die Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, die SARS-CoV-2-EindmaßnV, hier besonders streng, auch wenn der Senat gestern noch einmal abgemildert hat.

Insofern ist es nicht erstaunlich, dass Kritiker ihre Grund­rechte gefährdet sehen und sich mit Eilan­trägen ans Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) gewandt haben. In einer ersten Entscheidung hat das BVerfG in der vergan­genen Woche den Antrag des Beschwer­de­führers mit einem Nicht­an­nah­me­be­schluss (1 BvR 712/20) aller­dings zurückgewiesen.

Der Beschwer­de­führer hatte breit vorge­tragen: Er sah seine Religi­ons­freiheit verletzt, denn derzeit können ja keine Gottes­dienste statt­finden. Weiter sah er seine Versamm­lungs- und Verei­ni­gungs­freiheit verletzt. Die Verordnung verletze auch das Wesent­lich­keits­gebot, nach dem der Gesetz­geber alle wesent­lichen Entschei­dungen selbst zu treffen habe. Vor allem aber sei die Verordnung unver­hält­nis­mäßig. Mit dem selben Argment wandte er sich auch gegen die Kontakt­sperre, die in Berlin u. a. Besuche verbietet.

Das BVerfG stützte seine Nicht­an­nah­me­ent­scheidung auf formale Bedenken. Der Beschwer­de­führer habe das Subsi­dia­ri­täts­gebot verletzt. Er hätte sich erst um verwal­tungs­ge­richt­lichen Rechts­schutz bemühen müssen. Zwar gibt es in Berlin keine Möglichkeit, Verord­nungen mit einer verwal­tungs­ge­richt­lichen Normen­kon­troll­klage anzugreifen. Aber der Beschwer­de­führer könnte – so die Karls­ruher Richter – eine negative Feststel­lungs­klage nach § 43 VwGO erheben. Zudem gehe es hier auch nicht ausschließlich um Verfas­sungs­recht, sondern auch und vor allem um Sachver­halts­fragen rund um die Pandemie.

Doch auch abseits der Frage der Rechts­weg­er­schöpfung hält das BVerfG die Beschwerde nicht für hinrei­chend. Ganz am Ende des Nicht­an­nah­me­be­schlusses (Rdnr. 18ff.) führt es aus, dass die Beschwerde auch nicht ausrei­chend begründet sei. Der Beschwer­de­führer hatte behauptet, es gebe mildere Mittel als die in Berlin gewählten. Dazu führt das Gericht aus:

Der Beschwer­de­führer belässt es insoweit bei einer bloßen Behauptung, ohne die von ihm in diesem Zusam­menhang angespro­chenen Maßnahmen zur Isolation Erkrankter und Erkran­kungs­ver­däch­tiger sowie zum Schutz von Risiko­gruppen zu spezi­fi­zieren und deren gleiche Eignung auch nur ansatz­weise zu plausibilisieren“

Damit legt Karlsruhe die Latte hoch. Eine Begrün­dungs­schrift, die mit dem nach Ansicht des Senats erfor­der­lichen Detail­lie­rungsgrad darlegt, dass es auch anders und weniger belastend geht, dürfte ad hoc kaum machbar sein. Es mag sein, dass das BVerfG eines Tages zu dem Ergebnis kommen wird, dass die Maßnahmen nicht alle den gesetz­lichen Erfor­der­nissen entsprachen. Doch während der Pandemie ist eine Entscheidung Karls­ruhes hiernach nicht besonders wahrscheinlich (Miriam Vollmer).

2020-04-03T20:43:53+02:003. April 2020|Allgemein, Verwaltungsrecht|

Verdienst­ausfall bei Kita- und Schulschließungen

Während wir hier bisher oft über neue Wendungen in verschleppten Recht­set­zungs- und Gerichts­ver­fahren berichtet haben, geht in den letzten Tagen plötzlich Vieles ganz schnell. So schnell, dass Beiträge, die wir vor ein, zwei Wochen verfasst haben, schon wieder überholt oder unvoll­ständig sein können. Zum Beispiel über die Ansprüche von Arbeit­nehmern und Selbstän­digen bei Kita-Schlie­ßungen. Jeden­falls was den Verdienst­ausfall angeht, gibt es Neuig­keiten vom Gesetz­geber. So plant das Bundes­ka­binett laut Presse­mit­teilung des Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­terium vom Montag umfas­sende Geset­zes­pakete, die aktuell im Schnell­ver­fahren von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden. Damit reagiert der Gesetz­geber auf die Corona-Epidemie in Deutschland.

Enthalten in den Paketen sind umfas­sende Änderungen des Infek­ti­ons­schutz­ge­setzes (IfSG). Zum Teil geht es um Maßnahmen zur Ertüch­tigung des Gesund­heits­systems, zum Teil um weitrei­chende Ermäch­ti­gungen des Gesund­heits­mi­nis­te­riums per Allge­mein­ver­fügung oder Rechts­ver­ordnung, Maßnahmen zum Schutz der Bevöl­kerung zu treffen.

Schließlich sollen wie bereits erwähnt auch Härten ausge­glichen werden, zu denen es durch die Präven­ti­ons­maß­nahmen kommt. Konkret betrifft dies Eltern, die wegen Kita- und Schul­schlie­ßungen nicht arbeiten können. Für sie soll § 56 IfSG um einen Absatz 1a ergänzt werden. Demnach erhalten die Eltern bei Kita- und Schul­schlie­ßungen bei Verdienst­ausfall unter Umständen eine Entschä­digung in Geld.

Voraus­set­zungen sollen sein,

  1. dass deren Kinder das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder behindert und auf Hilfe angewiesen sind,
  2. dass die Eltern in diesem Zeitraum die Kinder selbst betreuen, weil sie keine ander­weitige zumutbare Betreu­ungs­mög­lichkeit sicher­stellen können,
  3. dass sie dadurch einen Verdienst­ausfall erleiden.

In Absatz 2 werden diese Entschä­di­gungs­zah­lungen aller­dings gedeckelt: Auf  67 Prozent des dem erwerbs­tä­tigen Sorge­be­rech­tigen entstan­denen Verdienst­aus­falls für längstens sechs Wochen; für einen vollen Monat wird höchstens ein Betrag von 2.016 Euro gezahlt.

Die Eltern müssen gegenüber der Behörde und ggf. dem Arbeit­geber darlegen, dass sie in diesem Zeitraum keine zumutbare Betreu­ungs­mög­lichkeit für das Kind sicher­stellen können. Eine Betreuung durch die Großeltern ist im Kontext der Corona-Krise selbst­ver­ständlich keine zumutbare Betreu­ungs­mög­lichkeit, denn Menschen im Renten­alter gelten als eine unbedingt vor der Infek­ti­ons­gefahr zu schüt­zende Risiko­gruppe (Olaf Dilling).

2020-03-27T09:57:19+01:0027. März 2020|Allgemein|