Klima­klage gegen Länder nicht angenommen

Wir hatten hier letzten Sommer schon einmal über Klima­klagen gegen mehrere Bundes­länder berichtet, die vor dem Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) anhängig gemacht worden waren. Inzwi­schen wurden die Klagen allesamt vom BVerfG in einem Nicht­an­nah­me­be­schluss nicht zur Entscheidung angenommen.

Bei den Klagen hatten mehrere Minder­jährige unter­stützt durch einen Umwelt­verband gegen die Landes­kli­ma­schutz­ge­setze in Baden-Württemberg, Bayern, Nieder­sachsen, Nordrhein-Westfalen geklagt. Außerdem wollten sie dagegen vorgehen, dass die Landes­ge­setz­geber in Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt gesetz­liche Festle­gungen bisher gänzlich vermieden hätten.

Bereits beim Einreichen der Klage war zum einen unklar, ob die Kläger tatsächlich in eigenen Rechten betroffen sein können. Dies vor allem vor dem Hinter­grund, dass das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt auch bei der erfolg­reichen Klima­klage gegen den Bund nicht von einer Schutz­pflicht des Staates ausge­gangen war. Vielmehr hatte der Erste Senat des BVerfG argumen­tiert, dass angesichts einer Festlegung von Klima­zielen in § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2, eine gerechte Aufteilung der daraus resul­tie­renden Lasten erfor­derlich sei. Mit anderen Worten dürfen wir heute nicht auf Kosten der nächsten Genera­tionen CO2 verbrauchen, sondern müssen auf einen ausge­wo­genen Reduk­ti­onspfad achten.

Die Länder sind, so hat das BVerfG nun festge­stellt, von dieser Pflicht nicht gleicher­maßen betroffen. Denn den einzelnen Landes­ge­setz­gebern sei keine wenigstens grob überprüfbare Gesamt­re­duk­ti­ongröße vorge­geben, die sie – auch auf Kosten grund­rechtlich geschützter Freiheit – einzu­halten hätten. Damit entfällt auch die rechtlich vermit­telte eingriffs­ähn­liche Vorwirkung von bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zugelas­senen oder tatsächlich erfol­genden Emissionen. Diese hatte das BVerfG für die Bundes­ebene noch angenommen, hinsichtlich der Länder besteht sie nach dem Beschluss des BVerfG dagegen nicht (Olaf Dilling).

2022-02-09T22:53:51+01:009. Februar 2022|Allgemein, Umwelt|

Sind Schul­schlie­ßungen verfas­sungs­konform – eine erste Analyse

Das BVerfG hat am 30. November 2021 einen Beschluss über die Zuläs­sigkeit der Schul­schlie­ßungen im Frühling 2021 im damaligen § 28b IfSG getroffen (1 BvR 971/21, 1 BvR 1069/21). Ein erster Blick: Was steht drin, was hat das für heute und die Zukunft zu bedeuten?

Absolut breaking im ersten Schritt: Das BVerfG erkennt das Recht auf schulische Bildung an. Es soll aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 GG fließen. Das ist mal ein Wort. Der Staat hat also nicht nur diesen Auftrag, der Schüler kann seine Erfüllung auch einfordern. Ob der Staat das in manchen maroden Schulen überhaupt noch einlöst? Wie sieht es bei Behin­de­rungen aus? 

In dieses Grund­recht hat der Staat durch Schul­schlie­ßungen einge­griffen. Anders als die Hobby­ju­risten von der Telegram-Univer­sität glauben, bedeutet das nicht, dass die Maßnahme deswegen verfas­sungs­widrig wäre. Nein, wir fragen im nächsten Schritt nach der Recht­fer­tigung. Eingriffe müssen nämlich formell und materiell verfas­sungs­konform sein: Formell ist alles fein, Bund für IfSG zuständig, Gesetz auch nicht zustim­mungs­be­dürftig durch den Bundesrat.

Schüler, Corona, Virus, Lernen, Covid-19, Epidemie

Der für materiell verfas­sungs­kon­forme Eingriffe erfor­der­liche Zweck ist die Erfüllung staat­licher Schutz­pflichten nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG: Der Staat hat einen Schutz­auftrag für Leben und Gesundheit. Das BVerfG sieht die Schul­schließung als geeignet an, diesen Zweck zu erreichen: Kinder können anste­ckend sein und das Virus verbreiten. Wenn sie nicht zur Schule gehen, reduziert sich diese Verbreitung: Check! Das BVerfG hat also die Fremd­nüt­zigkeit dieser Einschränkung akzep­tiert, was im Vorfeld auch bezweifelt worden ist.

Die Schul­schließung muss das mildeste von poten­tiell gleich geeig­neten Mitteln sein. Hier hat der Senat Sachver­ständige gefragt, ob Tests und Hygie­ne­maß­nahmen nicht gleich geeignet wären. Die Sachver­stän­digen haben das mehrheitlich abgelehnt, zumindest für Schnell­tests. Nun wird es aber haarig: War die Schul­schließung auch angemessen? Das BVerfG erkennt in Step 1 an, dass oft nicht digital unter­richtet wurde und Kinder Lernrück­stände und Defizite in der Persön­lich­keits­ent­wicklung erlitten hätten. 

Aber: Der Senat meint, dass Gemein­wohl­be­lange von überra­gender Bedeutung – Leben und Gesundheit – diese Nachteile überwiegen. Er argumen­tiert mit steigenden Inten­siv­pa­ti­en­ten­zahlen, Mutationen, die Impfkam­pagne war gerade erst gestartet. Nach dem BVerfG ist Präsenz­un­ter­richt also besonders wichtig, aber es gibt NOCH wichtigere Rechts­güter. Trotzdem muss der Gesetz­geber dem wichtigen Unter­richt Rechnung tragen. Das hat er aber auch getan: Schulen sollten erst bei Inzidenz 165 (haha …) statt wie andere Einrich­tungen bei 100 schließen. Der Gesetz­geber hat den Kinder­rechte auf Schule auch durch Ausnahmen Rechnung getragen (Abschluss­klassen, Notbe­treuung auch für Kinder mit schwie­rigen Start­be­din­gungen), was das BVerfG weiter milde stimmt.

Inter­essant für die kommenden Wochen: Der Senat meint, dass dort, wo es keinen vernünf­tigen Distanz­un­ter­richt gab, Schüle­rinnen und Schüler entspre­chende Vorkeh­rungen verlangen konnten. Das wird manche Eltern aufhorchen lassen. Nochmal kommen die Schulen nicht so leicht davon. Für April 2021 meint das BVerfG jeden­falls, dass der Bund auch keine freiheits­scho­nen­deren Maßnahmen versäumt hat, wie Luftfilter etc. Da fragt man sich, wie das heute aussieht. Aber der Senat formu­liert hier sehr vorsichtig, das ist kein Drop Out Kriterium.

Wichtig für das BVerfG: Die kurzzeitige Beschränkung der Schul­schlie­ßungen. Die Impfkam­pagne lief damals an. Das BVerfG weist daraufhin, dass bei fortschrei­tender Impfkam­pagne die Schul­schlie­ßungen an Recht­fer­tigung verlieren würden. Spontan fragt sich der Leser an dieser Stelle, ob damit heute Schul­schlie­ßungen nicht unver­hält­nis­mäßig wären, weil Erwachsene sich impfen lassen können. Ist eine Impfpflicht evtl. milderes Mittel? Auf der anderen Seite hat auch der Lebens­schutz bei Inzidenzen >400 eine andere Bedeutung.

Auch in das Famili­en­grund­recht nach Art. 6 Abs. 1 GG sieht der Senat keinen Eingriff. Zwar hätten Eltern bis zu 2,3 Std. am Tag mehr Aufwand gehabt, aber der Staat hätte die erfor­der­lichen Maßnahmen der Famili­en­för­derung getroffen, v. a. Notbe­treuung, auch Entschädigungsansprüche. 

Alles fein also für die Vergan­genheit. Für eine Schul­schließung heute muss der Gesetz­geber aber darlegen, dass er alles getan hat, um diesen Schritt zu vermeiden. Unser Tipp: Impfpflicht als milderes Mittel. Und Schul­schlie­ßungen erst, wenn alles, wirklich alles andere dicht ist (Miriam Vollmer).

2021-11-30T11:04:22+01:0030. November 2021|Allgemein|

Flugha­fen­er­wei­terung: Guter Fall, schlechte Beschwerde

Gangway auf leerem Rollfeld

Nicht nur in den englisch­spra­chigen Ländern mit ihrem Common Law, auch in Deutschland hangelt sich die Rechts­ent­wicklung von Fall zu Fall. Daher bleibt es manchmal dem Zufall überlassen, ob sich eine an sich sinnvolle Entwicklung in der Recht­spre­chung durch­setzt: „Hard cases make bad law“, heißt es in der Common Law-Tradition sehr treffend. „Extreme“ Fälle, die nicht reprä­sen­tativ für die breite Masse der Fälle sind, sind manchmal keine gute Vorlage für richter­liche Weiter­bildung des Rechts. Denn dann nimmt die Rechts­ent­wicklung manchmal eine Wendung, die sich in der Folge als wenig hilfreich erweist.

Manchmal ist es aber auch schlicht so, dass der Fall eigentlich gut ist, aber die Partei, die Möglich­keiten, die ihr zur Verfügung stehen nicht ausge­reizt hat. So war es wohl im Fall der Klage eines Natur­schutz­ver­bands gegen den Bau und Betrieb einer dritten Startbahn am Flughafen München.

Eigentlich hatte die Klage einen guten Punkt. Denn nach Auffassung des Natur­schutz­ver­bands war die Prognose der Flugver­kehrs­ent­wicklung weder besonders gut und trans­parent begründet, noch hatte sie zwischen­zeitlich als zutreffend erwiesen. Daher hatte er, nach einer erfolg­losen verwal­tungs­ge­richt­lichen Klage, beim Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) Verfas­sungs­be­schwerde eingelegt.

Das BVerfG nahm die Beschwerde nicht zur Entscheidung an. Zum einen, weil der Verband zum Nachweis, dass die Prognose metho­disch nicht nachvoll­ziehbar sei, nicht ausrei­chend Material vorgelegt habe. Dies ist bei Verfas­sungs­be­schwerden entscheidend: Denn das Gericht ermittelt nicht selbst und zieht auch keine Akten bei, sondern kann den Fall nur auf Grundlage der vorge­legten Unter­lagen entscheiden. Zum anderen machte das Gericht geltend, dass es die Sachlage zum Zeitpunkt der letzten Behör­den­ent­scheidung zu beurteilen habe. Dass danach noch Änderungen einge­treten seien, sich die Fluggast­zahlen also nicht wie prognos­ti­ziert entwi­ckelt hätten, könne zwar rechtlich relevant sein. Es beträfe zwar nicht die streit­ge­gen­ständ­liche Entscheidung der Behörde, könne aber einen Anspruch auf Aufhebung des Verwal­tungsakts begründen. Das zu prüfen sei Sache der Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Die eigentlich inter­es­santen Punkte des Falls wären gewesen, wie detail­liert Gerichte die Methodik und Tatsa­chen­grundlage von Prognosen überprüfen müssen.  Und was für Konse­quenzen es hat, wenn eine Prognose als Grundlage einer Geneh­migung offen­sichtlich von der Realität widerlegt wurde. Da die Verfas­sungs­be­schwerde aber nicht ausrei­chend vorbe­reitet wurde, warten wir vergeblich auf Antworten des Gerichts. Den Natur­schutz­verband dürften sie ohnehin nicht mehr inter­es­sieren. Denn das Projekt der Flugha­fen­er­wei­terung wurde bis auf Weiteres auf Eis gelegt (Olaf Dilling).

2021-07-27T08:49:47+02:0027. Juli 2021|Naturschutz, Umwelt, Verkehr, Verwaltungsrecht|